Ex-Vize-Justizminister Flüchtiger polnischer Politiker bekommt Asyl in Ungarn
Marcin Romanowski war Vize-Justizminister der PiS-Regierung in Polen. Er soll Gelder veruntreut haben, wird per Interpol-Haftbefehl gesucht - und steht nun unter dem Schutz Ungarns. Ministerpräsident Tusk reagiert scharf.
Plötzlich zieht Viktor Orban ungewöhnlich scharf über die "liberale Regenbogenkoalition" in Polen her. Politisch Verfolgte würden in Ungarn Schutz finden, sagte Orban am Donnerstag. Da wurde man in Warschau hellhörig.
Denn als "politisch verfolgt" bezeichnet sich im Moment vor allem einer: Marcin Romanowski, gesucht per Interpol-Haftbefehl und seit gut einer Woche untergetaucht. Und tatsächlich, nachdem Orban persönlich die Vorarbeit geleistet hatte, meldete sich Romanowski am Donnerstagabend aus Budapest zu Wort - gleich in mehreren Interviews, etwa bei TV Republika.
"Ich habe den vielleicht schwierigeren, aber, ich denke, wirksameren Weg gewählt, hier an der Donau um Polen zu kämpfen", sagte Romanowski dem Sender. "Dieses Asyl, der Rechtsschutz, den mir der ungarische Staat erteilt, ist ein klares Signal, dass es im polnischen Staat unter der Regierung Tusk schlimm zugeht."
"An der Donau um Polen kämpfen"
Zu dem Zeitpunkt hatte Romanowski schon eine abenteuerliche Reise hinter sich. Bis Ende 2023, solange die nationalpopulistische PiS (Prawo i Sprawiedliwosc - "Recht und Gerechtigkeit") in Polen regierte, war er stellvertretender Justizminister. In dieser Funktion soll er Gelder in Millionenhöhe veruntreut haben, vor allem Mittel aus einem Fonds, der eigentlich für Verbrechensopfer gedacht ist.
Nur: In Polen unter der PiS war es ein offenes Geheimnis, dass auch Justizminister Zbigniew Ziobro und sein Stellvertreter Romanowski diese Gelder in Stiftungen und Projekte geleitet haben, die ihrer Partei "Souveränes Polen" nahe stehen.
Es drohen bis zu 15 Jahre Haft
Nach dem Regierungswechsel beantragte die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft, Romanowski drohen bis zu 15 Jahre Haft. Aber: Romanowski brachte sich, wie viele andere, in Sicherheit. Als Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Europarats genoss er Immunität. Vorerst. Im Oktober hob der Europarat diese Immunität auf.
Romanowski musste sich den polnischen Behörden stellen, täuschte aber eine lebensbedrohliche Krankheit vor, veröffentlichte ein blutverschmiertes Foto aus dem Krankenhaus - nach einer angeblich kritischen Operation, die sich später als mutmaßlicher Schönheitseingriff herausstellte. Als die Lüge auffiel, war Romanowski schon untergetaucht - europaweit gesucht mit einem Interpol-Haftbefehl. Bis jetzt.
Eine europäische Affäre
Polens Regierungschef Donald Tusk sagte: "Ich habe nicht damit gerechnet, dass korrumpierte Beamte, die vor der Justiz flüchten, jetzt zwischen Lukaschenko und Orban wählen können. Alle, die sich vorstellen, dass sie mit Tricks, mit Flüchten ungestraft bleiben, irren sich."
Tusks Innenminister, Tomasz Siemoniak, wies auf eine viel größere Dimension des Falls hin: "Wir haben es mit einer sehr ungewöhnlichen Situation zu tun, wenn die ungarische Regierung beschließt, europäische Vorschriften und einen europäischen Haftbefehl nicht umzusetzen." Das sei im Grunde noch wichtiger als der Fall von "Herrn Romanowski", der "früher oder später vor der polnischen Justiz stehen wird".
In Warschau wird am Freitag der ungarische Botschafter vorgeladen, der polnische Botschafter in Budapest wird vorerst abgezogen. Und aus dem Kriminalfall Marcin Romanowski wird eine europäische Affäre.