Deutsche Minderheit in Polen Geiseln anti-deutscher Politik
Polens Regierung hat sich auf Deutschland als Feindbild eingeschossen. Darunter leidet auch die deutsche Minderheit im Land. Eine Begründung dafür: Berlin tue zu wenig für die Polen in Deutschland.
Ein zehnjähriges Mädchen steht auf der Bühne des Kulturhauses in "Guttentag", so heißt das kleine Städtchen östlichen von Opole, zu deutsch Oppeln, in Schlesien. Schüchtern-zaghaft singt sie auf Deutsch mit deutlich polnischem Akzent das Kinderlied "Ich habe einen kleinen Papagei". In der Region rund um Oppeln lebt mit etwa 30.000 Menschen ein Großteil der deutschen Minderheit in Polen. Und in Guttentag steht heute ein deutschsprachiges Liederfest auf dem Programm. Viele der Kinder, die hier mitmachen, gehören der deutschen Minderheit an.
Rafal Bartek sitzt im Publikum und klatscht. Es sei wichtig, die deutsche Sprache auch hier zu erhalten, sagt der Vorsitzende des "Verbands der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen". Praktisch ist Bartek eine Art Sprecher der deutschen Minderheit. Erst seit dem Ende der Volksrepublik Polen vor mehr als zwanzig Jahren kann die Gemeinschaft auch wieder offiziell Sprache und Kultur pflegen.
Spiel mit Ressentiments
Bartek befürchtet, dass vieles, was sie seitdem erreicht haben, jetzt wieder verloren gehen könnte. Zwar habe die Tatsache, dass es ein gemeinsames Europa gebe, die Bevölkerung und die Völker einander sehr viel näher gebracht. Doch andererseits "erleben wir gerade eine sehr kritische Phase, wo die Politik, gerade hier in Polen, wieder sehr stark mit den antideutschen Ressentiments spielt und so Politik betreibt", sagt Bartek.
"Schwarz-Weiß-Politik" nennt Bartek den Stil der polnischen Regierung, die immer einen Schuldigen brauche - und im Moment seien das leider die Deutschen. Denn in Polen ist Wahlkampf, und vor allem der Vorsitzende der regierenden PiS-Partei, Jaroslaw Kaczynski, hat sich auf Deutschland als Feindbild eingeschossen. Und damit auch auf die Deutschen in Polen.
Der übermächtige Nachbar
Bei einem Wahlkampfauftritt Ende November erklärte Kaczynski beispielsweise, man habe ihm ja jahrelang nicht geglaubt, aber Deutschland plane ein vereinigtes Europa unter deutscher Führung: "Der Hauptstaat wäre Deutschland, dahinter vielleicht Frankreich und die Niederlande, aber andere Staaten sollen sich einfach unterordnen."
Kaczynski sagt, Polen müsse sich ohnehin unterordnen, das sei ein altes Mitteleuropakonzept der Deutschen. Deutschland als übermächtiger Feind, diese Politik hat ganz praktische Folgen, nicht nur außenpolitisch.
Streichung von Geldern für deutsche Minderheit
Für die deutsche Minderheit bedeutet sie, dass die Zuwendungen aus dem polnischen Staatshaushalt in diesem Jahr um umgerechnet gut 8,5 Millionen Euro gekürzt wurden. Die sollten eigentlich für muttersprachlichen Deutschunterricht zur Verfügung stehen. Zwei von drei Stunden pro Wochen fallen damit weg.
In der Grundschule in Dębska Kuźnia, rund 15 Kilometer von Oppeln entfernt, versuchen sie trotz der fehlenden Gelder aus Warschau, den Unterricht irgendwie aufrecht zu erhalten. Denn für die Kinder hier sei die Sprache auch Teil ihrer Identität, sagt die Direktorin der Schule, Krystyna Jakuczek: "Die Kinder haben mit Deutschland eine kulturelle Verbindung, die wurde doch von der Geschichte geprägt."
Deshalb sei es wichtig, dass sie die Traditionen und Bräuchen kennen und bewahren können. "Wenn sie aufhören, Deutsch zu lernen, würden sie ihre Wurzeln verlieren." Jakuczek hatte Erfolg auf Gemeindeebene. Die Behörden hier übernehmen nun die Finanzierung für die fehlenden zwei Stunden in der Woche.
Forderung von Mitteln für Polen in Deutschland
In Warschau begründet man die Kürzung damit, dass die Bundesregierung zu wenig für die polnische Gemeinschaft in Deutschland tue. Die sei allerdings eine immigrierte Gruppe und keine nationale Minderheit im formalen Sinne, erklärt die Bundesregierung.
Trotzdem wirkt der Druck aus Polen jetzt: Der Bundestag hat im Haushalt gebilligt, im Jahr 2023 eine Million Euro und in den Jahren 2024 und 2025 jeweils zwei Millionen Euro für den Polnischunterricht für Kinder polnischer Einwanderer bereitzustellen. Bisher kam das Geld von den Bundesländern.
Weiter polnischer Druck
Gleichzeitig gehen fünf Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt für den Deutschunterricht an die deutsche Minderheit in Polen. Die PiS-Partei besänftigt das nicht. Erst vergangene Woche hat der polnische Bildungsminister Czarnek bekräftigt, dass Polen jährlich 50 Millionen Euro für den Unterricht in Deutsch als Muttersprache ausgebe. Und erst wenn Deutschland seine Ausgaben für den Polnischunterricht auf einen ähnlichen Betrag erhöhe, werde Warschau die Finanzierung des Deutschunterrichts insgesamt wieder aufnehmen.
Für Rafal Bartek von der deutschen Minderheit ist es eine dramatische Situation. Die Deutschen in Polen würden instrumentalisiert. "Wir wurden zu Geiseln genommen dieser antideutschen Politik, womit die Deutschen in Berlin gemeint sind, letztlich nicht wir. Aber wir sind zu Opfern geworden - in diesem Fall die Kinder."
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