Polen Neues Lehrfach Partei-Ideologie?
In Polen beginnt heute das Schuljahr. Schon im Vorfeld sorgte das neue Fach "Geschichte und Gegenwart" für Wirbel: Im Lehrbuch steht statt Schulwissen, was die Regierungspartei PiS als "normal" vermittelt wissen will.
"Geschichte und Gegenwart" ersetzt an polnischen Schulen von heute an das Fach Gesellschaftskunde. Das zunächst einzige Lehrbuch dazu aber löste schon in den Sommerferien Kontroversen aus - derart große, dass der Verlag Passagen nachträglich streichen ließ.
Sie bezogen sich auf die In-Vitro-Methode bei Kinderwunschbehandlungen. Die aktuelle politische Führung des Landes, die Regierungspartei PiS, lehnt künstliche Befruchtung im Reagenzglas ab. Im Buch findet sich etwa die Suggestivfrage: "Wer soll auf diese Weise hergestellte Kinder lieb haben?"
An anderer Stelle heißt es mit Blick auf die 68er-Bewegung, diese habe die Bewegung zur rechtlichen Gleichstellung Homosexueller mit - Zitat - "normalen Familien" initiiert.
Katarzyna Lubnauer von der rechtsliberalen Oppositionspartei PO kommentierte das Buch so: "Das ist ein Lehrbuch, das derart voller ideologischer Inhalte ist, dass nur der Umschlag übrig bleiben würde, würden wir sie alle herausschneiden."
"Kein Lehrbuch im herkömmlichen Sinne"
Zahlreiche liberal regierte Städte und Gemeinden riefen Lehrer dazu auf, das Lehrwerk wegen seiner tendenziösen Ausrichtung und Nähe zur Parteiideologie der Regierungspartei PiS nicht zu verwenden; einige wollen es sogar verbieten lassen.
Der Breslauer Stadtpräsident Jacek Sutryk erinnert in einem persönlich gehaltenen Protestbrief daran, dass der Buchautor Wojciech Roszkowski eigentlich für ihn wie für viele Polen eine intellektuelle Instanz gewesen sei: Die Werke des Historikers waren sehr populär. "Das war einmal", schreibt Sutryk, "und nun lässt Professor Roszkowski Fakten hinter sich - warum?".
Historiker Andrzej Friszke machte grundsätzliche Einwände geltend. "Das ist kein Lehrbuch im herkömmlichen Sinne, denn es ist einerseits überladen mit Informationen, die ein 15-Jähriger gar nicht erfassen kann", sagt er - zu viele Details, zu viele Meinungsbeiträge des Autors weit vom eigentlichen Thema. "Ein Lehrbuch für die Schule muss nachvollziehbar sein und strukturiert, es braucht Karten und Grafiken, präzise Fragen, auf die Schüler eine Antwort finden, aber so ist es nicht ausgearbeitet."
Bildungsminister: "Man kann nichts tun"
Der Vorwurf der Ideologisierung wirkt umso schwerer, als Bildungsminister Przemyslaw Czarnek, ein erklärter Gegner der Regenbogenbewegung sexueller Minderheiten, der "Ideologisierung der Schule" den Kampf angesagt hat - meist mit Blick auf die Ideen der LGBTQI-Bewegung.
Zum umstrittenen Lehrbuch meinte er, er finde in jedem Schulbuch etwas, das ihm nicht gefalle, auch im Lehrbuch für "Geschichte und Gegenwart". Auch gebe es viele Geschichtsbücher, die er "stellenweise inakzeptabel" finde, und doch würden sie zugelassen - "und man kann nichts tun. Aber eine derartige Hetzjagd auf ein Buch gab es noch nie." In Kürze soll ein anderes Buch für das neue Schulfach erscheinen.
Erkennt eine "Hexenjagd" gegen das neue Lehrbuch: Przemyslaw Czarnek
Auch der Krieg beeinflusst die Schulen
Derweil bringt das neue Schuljahr für Schüler der 8. und 9. Klasse in Polen weitere Veränderungen, die direkt mit dem Krieg gegen die Ukraine zu tun haben, aber weniger kontrovers diskutiert werden. Das Lehrfach "Sicherheitserziehung" wird ergänzt durch sogenanntes "Verteidigungstraining". Darin geht es um Verhalten im Kriegsfall und auch ums Schießen - zunächst theoretisch, dann auch in praktischen Übungen.
Und nach wie vor gibt es an polnischen Schulen auch um die 200.000 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, die nicht per Fernunterricht von daheim aus unterrichtet werden; viele ältere, bereits pensionierte Pädagogen, oft mit Russisch-Kenntnissen, engagieren sich freiwillig - berichten aber, die Fluktuation sei aber groß wegen der vielen Rückkehrer in die Ukraine. Und vor allem junge ukrainische Männer brächen oft mit 18 ihren Bildungsweg ab, um in der Ukraine ihr Land zu verteidigen, heißt es in der Schulverwaltung.