Nach Besuch in Russland Lindner kritisiert "Alleingänge" Orbans
Der Russlandbesuch des ungarischen Ministerpräsidenten Orban schlägt nach wie vor hohe Wellen in der Europäischen Union. Dies zeigte sich erneut beim Treffen der EU-Finanzminister, wo scharfe Kritik geäußert wurde.
Nach der Moskau-Reise des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban erhöhen Deutschland und die anderen EU-Partner den Druck auf Budapest. Bei einem Finanzministertreffen in Brüssel riefen die meisten Mitgliedsländer Ungarn, das derzeit die halbjährliche EU-Ratspräsidentschaft innehat, auf, die Ukraine-Hilfen weiter zur Priorität zu machen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) warf Orban "Alleingänge" vor. "Ungarn sollte wissen, dass in der Ukraine die Friedens- und Freiheitsordnung Europas insgesamt verteidigt wird", sagte Lindner in der öffentlichen Debatte. Auch unter Ungarns Ratsvorsitz müsse dies bis zum Jahresende eine "Top-Priorität" bleiben.
Schwedische Finanzministerin: Orbans Reise "eine Beleidigung"
Ungarns Finanzminister Mihaly Varga hatte zuvor sieben Prioritäten vom Kampf gegen die illegale Migration bis zur Wettbewerbsfähigkeit vorgestellt, die Ukraine aber nicht erwähnt.
Die schwedische Finanzministerin Elisabeth Svantesson äußerte sich "wütend". Dass Orban gegen alle Absprachen alleine zu Russlands Präsident Wladimir Putin gereist sei, seine "eine Beleidigung nicht nur für die Ukraine, sondern auch für alle anderen 26 Mitgliedsländer".
Forderung nach Gesprächen über Friedenskonferenz
Orban forderte die EU auf, zwischen der Ukraine und Russland zu vermitteln. In einem veröffentlichten Brief an EU-Ratspräsident Charles Michel verwies er auf seine umstrittenen Gespräche mit dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump sowie in der Ukraine, Russland und China.
Trump sei bereit, im Falle seiner Wahl im November "sofort" als Friedensvermittler im Russland-Ukraine-Krieg aufzutreten, schrieb er in dem Brief. Im "wahrscheinlichen Fall eines Sieges" von Trump werde eine große finanzielle Belastung auf die EU bei der Unterstützung der Ukraine zukommen, warnte Orban. Hintergrund ist die Annahme, dass Trump die US-Unterstützung für Kiew stoppen würde.
Der nationalkonservative Politiker forderte zudem, mit China über die Modalitäten einer Friedenskonferenz zu sprechen. Auch sollten die diplomatischen Kontakte mit Russland wieder forciert werden. Mit den Ländern der Südhalbkugel, dessen Unterstützung die EU in der Ukraine-Politik verloren habe, solle man reden.
Orban wirft EU "Pro-Kriegs-Politik" vor
Orban warf der EU vor, die "Pro-Kriegs-Politik" der derzeitigen US-Regierung nur zu kopieren. "In der gegenwärtigen Situation können wir (aber) ein Fenster der Gelegenheit mit einer starken moralischen und rationalen Basis finden, um ein neues Kapitel in unserer Politik aufzuschlagen", forderte er.
"Ich kann (...) mit Sicherheit sagen, dass er (Trump) kurz nach seinem Wahlsieg nicht bis zu seiner Amtseinführung warten wird. Er wird sofort bereit sein, als Friedensvermittler zu agieren. Er hat detaillierte und fundierte Pläne dafür", schrieb Orban in dem Brief.
Orban gilt im Kreis der 27 EU-Regierungen als weitgehend isoliert. Ihm wird Nähe nicht nur zu Trump, sondern auch zu Putin nachgesagt. Die EU-Kommission hat immer wieder Rechtsstaatsverstöße in Ungarn etwa in der Justiz- und Medienpolitik kritisiert. Nur der slowakische Ministerpräsident Robert Fico teilt offen seine Skepsis zu Waffenlieferungen an die Ukraine.
"Friedensmission" mit Konsequenzen für Ungarn
Der ungarische Regierungschef hatte die EU-Partner direkt zu Beginn des ungarischen Ratsvorsitzes ab dem 1. Juli mit einer selbst ernannten "Friedensmission" massiv verärgert. Neben Trump besuchte Orban in Moskau Kremlchef Putin sowie den chinesischen Staatschef Xi Jinping in Peking. EU-Vertreter hatten während dieser Reisen immer wieder betont, dass Orban dabei ohne EU-Mandat handelte. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hob hervor, dass Orban die Reisen nur als ungarischer Regierungschef unternehme und nicht für die EU spreche.
Als Reaktion kündigte die EU-Kommission einen Boykott der informellen Ministertreffen unter ungarischem Vorsitz an. Angesichts "der jüngsten Entwicklungen" habe Kommissionschefin Ursula von der Leyen entschieden, dass die Kommissare und Kommissarinnen nicht nach Ungarn reisen werden, sagte ihr Sprecher Eric Mamer. Stattdessen nehmen nur Beamte teil.
Einige EU-Regierungen planen außerdem, zu informellen EU-Ministergesprächen in Ungarn nur Spitzenbeamte und keine Ministerinnen oder Minister zu entsenden. Auch Lindner und Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) prüfen, ob sie im September zu Räten nach Ungarn reisen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell will zudem mit den europäischen Außenministerinnen und -Ministern diskutieren, ob ein informelles Treffen in Budapest Ende August nach Brüssel verlegt wird.
Darüber hinaus fordern 63 Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Ungarn das Stimmrecht in der Union zu entziehen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer brachte einen Entzug der EU-Ratspräsidentschaft ins Spiel.