Die Niederlande vor der Wahl Der Charme des Aktenfressers
Nach der Parlamentswahl am kommenden Mittwoch bekommen die Niederlande einen neuen Regierungschef. Langzeit-Premier Rutte tritt nicht mehr an - und die Wähler scheinen sich nach einem anderen Politiker-Typ zu sehnen.
Pieter Omtzigt ist ein Gegenentwurf zu Rechtspopulisten mit vermeintlich einfachen Rezepten wie Geert Wilders. Und zum überaus geschmeidigen Regierungschef Mark Rutte, der nach 13 Jahren im Amt nicht noch mal antritt.
Omtzigt wirkt nicht geschmeidig, sondern etwas spröde. Er ist kein fesselnder Redner; er spricht nicht in Schlagzeilen, sondern legt auch auf Einzelheiten Wert.
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb steht seine neu gegründete Partei in den Umfragen sehr gut da. Denn viele Niederländerinnen und Niederländer wünschen sich Seriosität und Solidität nach den vielen Skandalen der Rutte-Jahre. Omtzigt gilt als "Anti-Rutte".
Grundlegende Erneuerung
Nach Omtzigts Darstellung haben sich Regierung und Verwaltung in den Niederlanden in den vergangenen Jahren immer weniger um die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger gekümmert. Er verspricht, das zu ändern und Regierungsführung und Verwaltungspraxis grundlegend zu erneuern.
So will er nach eigenen Worten erreichen, dass sich weniger Menschen von Politik und Gesellschaft abwenden. "Neuer Gesellschaftsvertrag" (NSC) heißt Omtzigts vor einem Vierteljahr gegründete Partei. Sie möchte unter anderem ein Verfassungsgericht einrichten, wo Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte überprüfen lassen können.
Eine grundlegende Reform der politischen und behördlichen Strukturen - das kann dauern, gibt Omtzigt selbst zu: "Was in 10, 15 oder 20 Jahren kaputt gegangen ist, kann man nicht in vier Jahren reparieren. Aber wenn wir mit einer besseren Regierung beginnen, dann wird man in den nächsten Jahren die ersten Veränderungen sehen."
Eine Pause mit Symbolwert: Denn wenn man so will, scheint politisch gesehen die Sonne derzeit auf Pieter Omtzigt.
Mit der CDA gebrochen
Omtzigt ist seit 19 Jahren Abgeordneter in der Zweiten Kammer, die meiste Zeit für die christdemokratische CDA. Vor drei Jahren versuchte er vergeblich, deren Vorsitzender zu werden. Danach hat er mit seiner früheren politischen Heimat gebrochen. Omtzigt fühlte sich nicht gut behandelt.
Der 49-jährige Wirtschaftswissenschaftler lebt in Enschede, einer Industriestadt an der Grenze zu Deutschland - auch das in gewisser Weise ein Statement: Weiter weg kann man von Den Haag, dem etablierten Zentrum der politischen Macht in den Niederlanden, nicht entfernt sein.
Omtzigt gilt als Aktenfresser, der sich in Probleme hineinwühlt. Das ist normalerweise für Wählerinnen und Wähler nicht unbedingt attraktiv, aber Omtzigt kokettiert im Wahlkampf sogar mit seinem Image als detailverliebter Arbeiter.
Kein Teamplayer
Omtzigt ist kein Lautsprecher, sagen Leute, die ihn im niederländischen Parlament erlebt haben. Sie beschreiben ihn als Mann mit schneller Auffassungsgabe, der auch komplexe Probleme der Steuer- und Rentenpolitik durchdringt. Dabei ist ihm Korrektheit wichtig. Das macht ihn beliebt, aber im politischen Betrieb unbequem.
Omtzigt ist kein Teamplayer. Er hat geholfen, den Skandal um Kinderbetreuungsgeld aufzuklären, das der Staat zu Unrecht von Tausenden Familien zurückverlangte. In der Öffentlichkeit ist er dadurch zum Sinnbild des aufrechten Parlamentariers geworden, der die Regierung kontrolliert - und die eigene Partei. Bei Koalitionsverhandlungen vor zweieinhalb Jahren sollte er kaltgestellt werden.
Dass das herauskam hat Rutte schwer geschadet und Omtzigts Popularität noch gesteigert.
Nicht durchgerechnet
Sein Wahlprogramm passt nicht ins gängige Links-Rechts-Schema: Omtzigt will Steuern für Geringverdiener senken, den Mindestlohn und die Vermögenssteuer erhöhen und mehr Wohnraum schaffen. Woher das Geld dafür kommen soll, lässt er allerdings offen - was für einen Finanzfachmann erstaunlich ist.
Gleichzeitig fordert er, die Zuwanderung auf 50.000 Menschen pro Jahr zu begrenzen. Nach Ansicht von Politikexperten spricht Omtzigt damit Wählerinnen und Wähler links und rechts von der Mitte an.
Bei einem Wahlerfolg will er nicht Ministerpräsident werden, sondern als Fraktionschef in der Zweiten Kammer bleiben. Auch darin ist Omtzigt ein Gegenentwurf zum herkömmlichen Politikermodell: ein Volksvertreter, der die Macht nicht umarmt, falls er sie bekommt.