Russischer Angriff auf die Ukraine "Heute wird der härteste Tag"
Die russischen Truppen rücken weiter in Richtung Kiew vor. Die ukrainische Regierung rechnet im Laufe des Tages mit Panzerangriffen auf die Hauptstadt. Präsident Selenskyj wirft Russland vor, auch zivile Ziele anzugreifen.
Der Beschuss der ukrainischen Hauptstadt Kiew durch russische Truppen geht weiter. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, seine Regierung habe Informationen, dass subversive Gruppen vorhätten, in die Stadt vorzudringen. Das ukrainische Militär berichtete von erheblichen Kämpfen in Iwankiw, etwa 60 Kilometer nordwestlich von Kiew. Eine Brücke über einen Fluss sei zerstört worden.
Offenbar versuchten russische Truppen von Norden nach Kiew vorzustoßen. Russland plane anscheinend, mit Panzern von Iwankiw und Tschernihiw nach Kiew durchzubrechen, sagte der Berater des Innenministeriums, Anton Geraschtschenko, im Messenger-Dienst Telegram. Einige Panzer seien mit Raketen in Brand geschossen worden. "Heute wird der härteste Tag", sagte er.
Russische Einheiten bereits in Kiew?
Im nördlichen Stadtteil Kiews, Obolonsky, waren Explosionen zu hören, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Menschen rannten demnach weg, um sich in Sicherheit zu bringen. Schüsse waren dem AFP-Reporter zufolge dort zu hören und bis ins Stadtzentrum auch größere Explosionen.
Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums handelte es sich um eine Sabotageaktion eines russischen Aufklärungstrupps. Das Ministerium rief die Zivilisten in dem Viertel zu den Waffen. "Wir bitten die Bürger, uns über feindliche Bewegungen zu informieren, Molotowcocktails zu werfen und die Besatzer zu neutralisieren", hieß es in einer Erklärung auf Facebook.
Selenskyj wirft Russland Angriffe auf zivile Ziele vor
Der ukrainische Präsident Selenskyj warf der russischen Armee vor, bei ihren Angriffen auch auf zivile Gebiete zu zielen. Gleichzeitig lobte der Staatschef in einer Videoansprache die Ukrainer für ihren "Heldenmut" angesichts des russischen Vormarsches. Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums traf Russland in den vergangenen 24 Stunden 33 zivile Ziele. Zwei Kinder seien getötet worden.
Die ukrainischen Streitkräfte "tun alles, was sie können", um das Land zu verteidigen, versicherte Selenskyj. Russland müsse früher oder später mit der Ukraine sprechen, um die Kämpfe zu beenden, sagte er weiter. "Je früher dieses Gespräch beginnt, desto geringer werden die Verluste für Russland selbst sein", fügte er hinzu. Selenskyj rief zudem die russische Bevölkerung zum Protest gegen den Angriff auf die Ukraine auf.
Selenskyj mutmaßte, dass der russische Angriff ihn stürzen solle. "Nach unseren Informationen hat mich der Feind zum Ziel Nummer Eins erklärt, meine Familie zum Ziel Nummer Zwei", sagte er - eine Einschätzung, die die US-Regierung teilt. Er beklagte, dass die NATO die Ukraine nicht aufnehmen wolle und das Land auf sich gestellt sei.
Abgeschossenes Flugzeug über Kiew
An Tag zwei des russischen Angriffs meldete die Ukraine in der Nacht Raketenbeschuss auf die Hauptstadt Kiew. Unter anderem wurde ein mehrstöckiges Wohnhaus getroffen, wie die Stadtverwaltung mitteilte. "Schreckliche russische Raketenangriffe auf Kiew", twitterte Außenminister Dmytro Kuleba.
Nach den Worten von Selenskyj nahm Russland um 04.00 Uhr Ortszeit die Raketenangriffe wieder auf. Beschossen würden sowohl zivile als auch militärische Ziele, teilte er in einer im Fernsehen übertragenen Rede mit. Der Vormarsch der russischen Truppen sei an den meisten Stellen gestoppt worden.
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko veröffentlichte im sozialen Netzwerk Telegram ein Video, das Brände in mehreren Etagen eines getroffenen Gebäudes zeigt. Die Stadtverwaltung meldete drei Verletzte, einer davon sei in Lebensgefahr. Ukrainische Kräfte hätten ein Flugzeug abgeschossen, schrieb ein Berater des ukrainischen Innenministers. Noch sei unklar, ob das Flugzeug bemannt war.
Wrack eines nicht identifizierten Flugzeugs in einem Wohngebiet in Kiew.
Raketenbeschuss auch im Süden gemeldet
Auch aus anderen Landesteilen wurden Gefechte gemeldet. In der Region Saporischschja im Süden meldete das ukrainische Verteidigungsministerium ebenfalls russischen Raketenbeschuss. Bei dem Angriff auf eine Einheit des Grenzschutzes habe es Tote und Verletzte gegeben. Medienberichten zufolge griffen russische Truppen zudem den Flughafen der Stadt Riwne im Westen an. Auch aus Sumy im Nordosten des Landes nahe der russischen Grenze wurden Kämpfe gemeldet. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Russland zerstörte bei seinen Angriffen eigenen Angaben zufolge 118 ukrainische Militärstandorte, teilte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, mit. Fallschirmjäger würden nach Tschernobyl gebracht, um dort das Atomkraftwerk zu bewachen. Unabhängig überprüfen lassen sich solche Aussagen nicht. Konaschenkow sagte außerdem, dass Separatistenkämpfer aus der ostukrainischen Region Donezk mittlerweile neun Kilometer in bislang von ukrainischen Regierungstruppen kontrolliertes Gebiet weit vorgerückt seien.
Russische Truppen nahmen nach Angaben des Verteidigungsministeriums eine Insel vor der ukrainischen Hafenstadt Odessa ein. Die 13 ukrainischen Grenzschützer der Schlangeninsel im Schwarzen Meer seien durch Beschuss eines russischen Kriegsschiffs getötet worden. 82 ukrainische Soldaten hätten sich ergeben.
Offenbar viele Opfer auf beiden Seiten
Präsident Selenskyj sagte, die ukrainische Armee habe am ersten Tag der russischen Invasion 137 Soldaten verloren, 316 Soldaten seien verletzt worden. Russland habe das gesamte Gebiet der Ukraine angegriffen.
Die russischen Truppen erlebten nach ukrainischen Angaben ebenfalls schwere Verluste. Das Verteidigungsministerium in Kiew sprach von 30 zerstörten russischen Panzern, 130 Panzerfahrzeugen, sieben Flugzeugen und sechs Hubschraubern. Etwa 800 russische Soldaten seien getötet worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die russische Seite äußerte sich dazu nicht.
Macron telefoniert mit Putin
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete ein weiteres Telefonat mit dem russischen Präsidenten Putin als "offen, direkt und kurz". Er habe Putin in dem Gespräch auf Bitten des ukrainischen Präsidenten Selenskyj aufgefordert, die Kämpfe in der Ukraine so rasch wie möglich zu beenden, sagte Macron.
Er gestand mit Verweis auf den anhaltenden Krieg in der Ukraine ein: "Es hat keine Wirkung gezeigt, das sehen Sie im Moment ganz deutlich, da der russische Präsident den Krieg gewählt hat."