Streit zwischen Kosovo und Serbien "Die EU ist als Vermittlerin nicht glaubwürdig"
Im Streit zwischen dem Kosovo und Serbien versucht die EU-Kommission zu vermitteln. Doch ihre Taktik, den serbischen Präsidenten Vucic zu umwerben und vom russischen Einfluss wegzulocken, gehe nicht auf, sagt Balkan-Experte Bieber.
tagesschau.de: Die EU versucht, zwischen dem Kosovo und Serbien zu schlichten. Klappt das gut?
Florian Bieber: Die aktuelle Rolle der EU ist sehr schwierig, weil sie eigentlich sehr wenig Glaubwürdigkeit hat. Sie hat in den letzten Wochen sehr stark auf Serbien gesetzt. Man bekommt den Eindruck, dass die Europäische Union recht unkritisch gegenüber dem serbischen Präsidenten Alexander Vucic vorgeht.
Offensichtlich versucht man, ihn wegzulocken von einer zu engen Umarmung durch Wladimir Putin. In der Hoffnung, dass Serbien sich vielleicht sogar den EU-Sanktionen gegen Russland anschließen könnte. Aber bei dem Versuch, Präsident Vucic zu umwerben, riskiert man, unkritisch gegenüber der serbischen Politik zu sein und unverhältnismäßig viel Kritik an der Politik des Kosovos zu üben.
tagesschau.de: Ist das wirklich so? Oder ist das nicht eher ein Argument des Kosovos?
Bieber: Das scheint ganz offensichtlich der Fall zu sein. Man merkt es auch in den Aussagen der Vereinigten Staaten. In der Hinsicht ist die Politik der USA und der EU relativ eindeutig. Man will wirklich versuchen, auf dem Balkan Putin zu isolieren und Vucic auf die westliche Seite zu bringen. Und Vucic nutzt das ganz gezielt aus.
Er ist konfrontiert mit den größten Massenprotesten, seitdem er im Amt ist. Es gibt sehr viele kritische Stimmen in Serbien gegenüber seiner Politik. Er nutzt diese westliche Unterstützung, um seinen eigenen Spielraum zu vergrößern. Dass er alle Beziehungen zu Putin deshalb kappen würde, halte ich für eher unwahrscheinlich. Er nutzt, wie er das schon seit vielen Jahren tut, dieses Spiel zwischen den Großmächten, um seinen eigenen Manövrierraum zu vergrößern.
"EU-Mitgliedschaft ist nicht mehr attraktiv genug"
tagesschau.de: In Brüssel hört man, dass der kosovarische Premierminister Albin Kurti im Gegensatz zu seinen Vorgängern als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung gesehen wird. Ist das berechtigt?
Bieber: Kurti ist sicherlich sehr viel sturer und auch sehr viel weniger bereit, auf seine westlichen Partner zu hören. Er hat seine Karriere damit begonnen, zu sagen, der Kosovo muss eigenständig entscheiden und darf nicht zu sehr auf westliche Partner hören. Diese Sturheit ist ein klares Ziel seiner Politik.
Man muss aber auch bedenken, dass seine Vorgänger deshalb auch eher auf den Westen gehört haben, weil sie selber korrupt waren und in Kriegsverbrechen verwickelt waren und deshalb leichter erpressbar waren. Kurti ist eben nicht erpressbar. Und da muss man sich schon fragen: Ist jetzt die westliche Politik vielleicht auch ein Teil des Problems?
Ich glaube, Kurti hat sich auch falsch verhalten in der aktuellen Situation. Aber zu glauben, dass man da einfach einen willfährigen Ministerpräsidenten hat, der das tut, was man will, ist vielleicht auch eine etwas fehlgeleitete Politik. Da hat man, glaube ich, zu sehr gesagt: Der Kosovo ist eh auf unserer Seite und macht alles, was wir wollen.
tagesschau.de: Die EU bemüht sich seit Jahren um eine Annäherung zwischen Serbien und dem Kosovo und setzt auf eine Verhandlungslösung.
Bieber: Das Problem ist, dass die EU nicht mehr die Glaubwürdigkeit hat, der es bedarf, um wirklich eine Verhandlungslösung herbeizuführen. Denn zu Beginn des Prozesses stand das Versprechen einer schnelleren EU-Mitgliedschaft. Das heißt, wenn beide Staaten sich auf eine Normalisierung der Beziehungen einigen, können Serbien und der Kosovo schneller in die EU.
Das wirkt nur heute nicht mehr realistisch. In Serbien gibt es keine Mehrheit mehr für einen EU-Beitritt. Es ist kein gesellschaftliches Ziel mehr. Und der Kosovo kann sich nicht darauf verlassen, dass nicht einer der EU-Mitgliedsstaaten eben doch wieder den Prozess blockiert. Das heißt, die EU-Mitgliedschaft ist einfach nicht mehr attraktiv genug für die Staaten oder auch nicht mehr realistisch genug, um wirklich positiv auf eine Verhandlungslösung einzuwirken. Und damit hat die EU eigentlich das wichtigste Argument verloren, um beide Staaten zu überzeugen, Kompromisse einzugehen.
"Die EU kann nicht ersetzt werden"
tagesschau.de: Wenn die EU nicht glaubwürdig ist. Wer soll es sonst machen?
Bieber: Es gibt niemanden anders. Die Europäische Union verhandelt eng mit den Vereinigten Staaten zusammen. Beide ziehen an einem Strang. Das ist positiv im Moment. Das war nicht so während der Trump-Präsidentschaft, wo die USA ihr eigenes Süppchen auf dem Balkan gekocht haben. Aber das Problem ist, die EU kann nicht ersetzt werden. Es gibt niemand anders, der es tun könnte. Die EU muss glaubwürdiger werden.
Das heißt die Beitrittsperspektive muss realer werden. Das ist wichtig, nicht nur für Serbien und den Kosovo. Das ist auch wichtig mit Blick auf die Ukraine. Man kann der Ukraine kein realistisches Beitrittsangebot machen, wenn man den Westbalkan nicht integrieren kann. Und dann bedarf es eben auch klarer Worte. Dass man wirklich klarer identifiziert, was die Probleme sind, wer verantwortlich ist, klare Ziele setzt und dann auch klare Belohnungen anbietet. Die EU muss ihre Hausaufgaben besser machen, um wirklich ein glaubwürdiger Vermittler zu sein.
Das Interview führte Merle Tilk, ARD-Studio Brüssel