EU-Ratspräsidentschaft Das Ungarn-Dilemma der EU
Am EU-Innenministertreffen zeigt sich die Schwierigkeit, Ungarns Ratspräsidentschaft zu boykottieren: Einerseits will sie weitere Publicity-Punkte für Orban verhindern, andererseits darf nicht zu viel liegenbleiben.
Das Trauerspiel freundlich zu ignorieren - diese Taktik konnte Gastgeber Sándor Pintér nicht lange durchhalten. Bei der offiziellen Begrüßung musste er vor allem ausländischen Regierungsbeamten aus der zweiten und dritten Reihe die Hände schütteln. Danach eilte Ungarns Innenminister mit einem dürren "Good morning" vorbei an den wartenden Journalisten, von denen sich keiner an eine ähnliche Situation bei früheren Ratspräsidentschaften erinnern konnte.
"Viele Minister haben entschieden, nicht zu kommen. Vielleicht wegen der Hitze in Budapest, vielleicht aber auch wegen der außenpolitischen Alleingänge Ungarns", meinte Litauens stellvertretender Innenminister Arnoldas Abramavičius. Ansonsten gab es aber kaum offene Kritik. Man wollte die Gastgeber offensichtlich nicht zusätzlich brüskieren, weshalb sich anders als sonst bei solchen Treffen, überhaupt nur wenige Teilnehmer offiziell äußerten.
Und wenn, dann zumeist nur, um den eigenen Minister zu entschuldigen, wobei die französische Staatsekretärin Sabrina Agresti-Roubache mit dem Verweis auf die Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris kommenden Freitag, noch die beste Ausrede für die Abwesenheit ihres Chefs vorbringen konnte.
Im schlimmsten Fall: Ein halbes Jahr Stillstand
Ohnehin ist es nur allzu offensichtlich, dass die selbsternannte Ukraine-Friedensmission des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und vor allem seine Gespräche mit Kremlchef Wladimir Putin und Chinas Machthaber Xi Jinping, in den meisten EU-Mitgliedsstaaten viel Unmut auslöste - was zu diesem Teilboykott führte. Vor allem, weil Ungarns Ministerpräsident durch das Verwenden des EU-Logos suggerierte, er spreche für die EU, was in Moskau und Peking auch propagandistisch ausgeschlachtet wird.
Keiner der zuständigen EU-Kommissare wird deshalb nach Budapest reisen und bei diesem Innen-Rat sind insgesamt nur zehn von 27 Ressortchefs dabei. Bundesinnenministerin Nancy Faeser ließ sich aus Termingründen entschuldigen. Und auch Bundesjustizminister Marco Buschmann hat für den morgigen Justizrat abgesagt, für den bisher noch weniger Minister als heute zugesagt haben.
Das lässt wenig Gutes ahnen für die 230 Veranstaltungen, die im Rahmen der ungarischen Ratspräsidentschaft in Budapest geplant sind; darunter 16 informelle Ratssitzungen, ein EU-Gipfel und eine Tagung der Europäischen Politischen Gemeinschaft, an der neben den 27 Mitgliedsländern noch weitere 18 weitere Staaten teilnehmen sollen. Im schlimmsten Fall droht der Europäischen Union nun ein halbes Jahr Stillstand.
Vage Vereinbarungen, eine einsame PK
Das aber wäre fatal, gerade auch für die Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, sagte Belgiens Migrationsministerin Nicole de Moore am Rande des Innenministertreffens. Österreichs Innenminister Gerhard Karner mahnt, dass Themen wie die Zusammenarbeit mit Drittstaaten oder der Datenaustausch zwischen den EU-Staaten vorangetriebenen werden müssen: Er sei daher sehr froh, dass das Treffen stattfinde und nehme selbstverständlich teil - "weil die Diskussion notwendig ist, damit wir hier Fortschritte machen".
Danach sieht es allerdings nach diesem Rat für Inneres nicht aus. Anders als üblicherweise ging man bereits am frühen Nachmittag wieder auseinander, Ungarns Innenminister musste die kurze Abschluss-Pressekonferenz allein bestreiten. Auch wenn bei solchen informellen Treffen keine Beschlüsse gefasst werden, geht es doch um wichtige Absprachen in Vorbereitung der formellen Sitzungen, die in Brüssel und Luxemburg stattfinden.
Aber inhaltlich gab es offensichtlich keine Fortschritte. So bleibt es bei der Absichtserklärung, bis Jahresende eine für alle Mitgliedsstaaten zugängliche Ein- und Ausreise-Datenbank in Betrieb zu nehmen. Ebenso hält man an dem Ziel fest, den Informationsaustausch zu verbessern, wobei es vor allem um das reformierte Eurodac-System geht, das die Daten von Asylbewerbern speichert und verarbeitet.
Neben diesen vagen Vereinbarungen ist es der EU auf der anderen Seite zweifelsohne gelungen, Ungarn mit einer sozusagen halben Ratspräsidentschaft jede Chance auf Glanz, Glamour und schöne Fotos zu nehmen. Wobei auch nicht zu erwarten ist, dass dies die Führung in Budapest so beeindruckt, dass sie ihren Kurs ändert. Hinzu kam die Meldung, dass der Plan des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell offensichtlich endgültig gescheitert ist, das für die jeweilige EU-Ratspräsidentschaft prestigeträchtige Treffen der EU-Außen- und Verteidigungsminister Ende August nach Brüssel zu verlegen. Zu viele Mitgliedsstaaten sind dagegen, Ungarn komplett unter Quarantäne zu stellen - weil es vor allem jenen Recht gäbe, die behaupten, dass die EU nicht funktioniere.