EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht Wen die EU kritisiert und wen sie lobt
Seit 2020 analysiert die EU-Kommission jedes Jahr eingehend, wie es um die Rechtsstaatlichkeit der Länder steht. Bei Ungarn und den Beitrittskandidaten findet sie gravierende Mängel. Aber auch an Deutschland gibt es Verbesserungswünsche.
Seit 2020 nimmt die EU-Kommission in den Mitgliedsländern vier Schlüsselbereiche unter die Lupe. Untersucht wird, wie es um das Justizsystem, Maßnahmen gegen Korruption, Medienfreiheit und die Kontrolle und Funktionsfähigkeit wichtiger Institutionen steht. Dabei hebt die Kommission Fort- und Rückschritte im Vergleich zum vorherigen Bericht hervor.
So jetzt auch bei dem inzwischen fünften Report. Die Analyse fußt auf einem Fragebogen, den die Kommission an die Länder verschickt hat, aber auch auf Einschätzungen von Interessensträgern und Vertretern der Zivilgesellschaft. Rund 640 Treffen hat die EU-Kommission dazu gehabt. Auf den Analysen aufbauend formuliert die Kommission Empfehlungen, was die Mitgliedstaaten besser machen können. In der Vergangenheit reagierte die EU-Kommission auch auf Befunde in den Mitgliedstaaten, brachte unter anderem ein europäisches Gesetz zur Medienfreiheit auf den Weg.
Zwei Drittel der Empfehlungen umgesetzt
Die EU-Kommission lobt in diesem Jahr, dass etwa zwei Drittel ihrer Empfehlungen zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit umgesetzt worden seien. Sieben Mitgliedstaaten hätten Maßnahmen zur Stärkung der Gerichte ergriffen, darunter Spanien und Polen, erklärte Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova. Gegenüber Polen habe man deshalb das Artikel-7-Verfahren zum Entzug des Stimmrechts eingestellt.
Gleichzeitig registriert die Kommission in mehreren Ländern auch Rückschritte. Handlungsbedarf sieht die Brüsseler Behörde bei der Bekämpfung von Korruption, vor allem verweist die Kommission auf ein Glaubwürdigkeitsproblem. Einer Eurobarometer-Umfrage zufolge würden 65 Prozent der EU-Bürger glauben, dass Korruptionsfälle auf höchster Ebene nicht ausreichend verfolgt würden.
Bezüglich der Medienfreiheit meldet die EU-Kommission in mehreren Mitgliedstaaten Bedenken an, auch was die unabhängige Führung oder finanzielle Ausstattung von öffentlich-rechtlichen Medienanstalten geht. Ebenso sei das Recht auf Zugang zu öffentlichen Dokumenten nicht überall gewährleistet.
Kaum Fortschritte in Ungarn
In allen vier Schlüsselbereichen der Rechtsstaatlichkeit attestiert die EU-Kommission Ungarn weitestgehend Stillstand. Kaum eine der Empfehlungen der Behörde sei umgesetzt worden. Für Budapest hat das auch finanzielle Folgen: "Es sind wegen der Situation in Ungarn zur Zeit mehr als zwanzig Milliarden Euro an EU-Mitteln eingefroren", sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders. Der Belgier betonte jedoch, dass man auch bei kleinen Fortschritten entscheiden müsse, welche finanziellen Folgen das haben kann.
Aufgrund einiger Änderungen im Justizwesen hatte die EU-Kommission in der Vergangenheit bereits eingefrorene Gelder wieder locker gemacht. Aus Sicht des FDP-Europaabgeordneten Moritz Körner war das ein Fehler: "Wenn die EU-Kommission zehn Milliarden Euro an eingefrorenen EU-Mitteln für die vermeintliche Verbesserung der Rechtsstaatssituation in Ungarn freigibt, braucht sie sich nicht wundern, dass Viktor Orban seine Ignoranz gegenüber den EU-Grundwerten nicht aufgibt", meint er.
Körner kritisiert außerdem, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Präsentation des Berichts verschoben hatte. Aus seiner Sicht sollte so ihre Wiederwahl durch Kritik an den Mitgliedsländern nicht gefährdet werden.
Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund meint, es sei an der Zeit, nicht nur Ungarn wegen fehlender Rechtsstaatlichkeit Folgen spüren zu lassen: "In Italien, in der Slowakei, wo wir negative Entwicklungen vor allem bei der Pressefreiheit sehen, gibt es bisher keine Konsequenzen, und damit verpasst Ursula von der Leyen, verpasst die EU-Kommission, frühzeitig einzugreifen."
Anzeichen einer Kehrtwende in Polen
Jahrelang schimpfte die EU-Kommission über die fehlende Unabhängigkeit der Gerichte in Polen im Zuge der Justizreform der ehemaligen PiS-Regierung. Bemängelt wurden unter anderem Disziplinarmaßnahmen und Zwangsversetzungen von Richtern, ebenso, dass der Justizminister auch gleichzeitig der Generalstaatsanwalt war.
Seit dem Machtwechsel unter Premier Donald Tusk habe es nun erste Fortschritte gegeben, verdeutlicht der Bericht. Die EU-Kommission lobt, dass die Regierung in Warschau versprochen habe, die Richterschaft in alle Entscheidungen über die Besetzung von Schlüsselpositionen in den ordentlichen Gerichten einzubeziehen und transparente Ernennungsverfahren auf Grundlage offener Auswahlverfahren zu schaffen. Ebenso sollen Justizminister und das Amt des Generalstaatsanwalts in Zukunft getrennt werden.
Gutes Zeugnis für Deutschland
Deutschland stellt die EU-Kommission ein überwiegend positives Zeugnis aus. Sie lobt unter anderem Pläne der Ampelregierung und der Union, das Bundesverfassungsgericht gegen politische Einflussnahme besser zu schützen.
Auch betont die EU-Kommission, dass eine Reihe von Reformen für mehr Transparenz zur Korruptionsbekämpfung in Kraft getreten seien, erwähnt namentlich das Lobbyregister. Wörtlich heißt es: "Die Korruption auf hoher Ebene wird angegangen, ohne dass systemische Schwachstellen festgestellt wurden." Allerdings müsse noch weiter an einem "legislativen Fußabdruck" gearbeitet werden, der den Einfluss von Interessensträgern auf Gesetze besser offenlegt.
Erstmals auch Beitrittskandidaten geprüft
Erstmals analysiert die EU-Kommission auch die Lage der Rechtsstaatlichkeit bei den Beitrittskandidaten Albanien, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Demnach wurden in den Ländern wichtige Reformen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz festgestellt. Probleme gebe es aber nach wie vor unter anderem bei den Selbstverwaltungsorganen der Justiz und bei der Ernennung der Richter, heißt es in dem Bericht. Auch passiere in den Ländern zu wenig, um Korruptionsfälle zu untersuchen und zu verfolgen.
Ein Beispiel: Was die Korruptionsbekämpfung betrifft, habe Montenegro immerhin eine Korruptionsbekämpfungsstrategie verabschiedet, in Nordmazedonien jedoch fehle es an politischem Willen, bei dem Thema Fortschritte zu erzielen. In Albanien sei eine entsprechende Strategie gegen Korruption nicht weitreichend genug. Auch hat die EU-Kommission Zweifel an der Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien in den Staaten.