Debatte um EU-Erweiterung Baerbock für tiefgreifende Reformen der EU
Die Erweiterung der Europäischen Union verspricht geopolitische Stärke - ein zu großes Bündnis birgt aber die Gefahr der Handlungsunfähigkeit. Um in Zukunft ohne innere Blockade agieren zu können, wirbt Außenministerin Baerbock für eine umfassende Umstrukturierung.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Vorschläge für eine tiefgreifende Reform der Europäischen Union (EU) unterbreitet. Es sei eine Veränderung nötig, um nach dem angestrebten Beitritt weiterer Länder die Handlungsfähigkeit der EU zu erhalten, sagte Baerbock. Ziel müsse es sein, die EU auch angesichts der Kriege in der Ukraine und in Nahost geopolitisch zukunftsfest zu machen.
"Gerade jetzt brauchen wir Kraft, gemeinsam gegen diesen Krisenstrudel anzuschwimmen", sagte die Grünen-Politikerin bei einer Konferenz mit zahlreichen europäischen Außen- und Europaministerinnen und -ministern zur Erweiterung der EU in Berlin.
Die EU solle einen Fahrplan aufstellen, mit dem im Laufe der nächsten Legislaturperiode des Europaparlaments - also zwischen 2024 und 2029 - und vor dem Hintergrund der Erweiterungsdebatte zentrale Reformen umgesetzt werden könnten.
Baerbock: Reform der Funktionsweise der EU ist notwendig
Baerbock formulierte auf der Konferenz die Kernfrage: "Wie schaffen wir es, dass unsere Institutionen auch dann noch funktionieren, wenn fast ein Dutzend neue Mitgliedstaaten in der EU sind?" Sie beschrieb dabei das Risiko einer drohenden inneren Blockade, sollten zu viele unterschiedliche Interessen innerhalb des Bündnisses aufeinander treffen.
Die Bundesaußenministerin stellte in ihrer Rede daher eine Reihe von Ideen vor, mit denen sie nach eigenen Worten einen EU-internen Diskussionsprozess anstoßen will.
Die Vorschläge zielen darauf ab, dass in einer erweiterten EU mehr Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip gefällt werden sollten. Zudem sollten die EU-Kommission und das EU-Parlament trotz einer Erweiterung nicht größer werden. Außerdem müsse man Verstöße von Mitgliedsstaaten, etwa bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit, schneller ahnden und beitrittswillige Staaten früher in EU-Entscheidungsprozesse einbinden, so Baerbock.
EU-Vorteile schon für Beitrittskandidaten
Einige der Reformvorschläge sehen daher Vorteile für Beitrittsländer vor, noch bevor sie vollwertiges Mitglied der EU sind. Baerbock stellte etwa erweiterte Erasmus-Studienprogramme zur Diskussion. Länder, die einzelne Kapitel im Beitrittsverfahren abgeschlossen hätten, könnten zudem als Beobachter zu den entsprechenden Ratssitzungen nach Brüssel eingeladen werden.
Es dürfe aber keine "Rosinenpickerei" und keine Abstriche am Wertefundament der EU geben, warnte Baerbock. "Rabatte oder Abkürzungen wird es im Beitrittsprozess nicht geben, schon gar nicht im Bereich des Rechtsstaats."
Die EU könne nur dann ein starker Akteur sein, "wenn wir das tun, wovor wir lange gezögert haben - eine Überarbeitung der Funktionsweise unserer Union", so die Außenministerin. "Denn wenn die Zahlen der EU-Länder um fast ein Drittel anwachsen wird, dann braucht unsere Gemeinschaft eine starke Struktur vom Keller bis zum Dach."
EU-Erweiterung trotz Hürden meistern
Baerbock beschrieb die EU-Erweiterung trotz aller Hürden als eine geopolitische Notwendigkeit. Russlands Präsident Wladimir Putin werde "weiter versuchen, einen imperialen Graben durch Europa zu pflügen, der nicht nur die Ukraine von uns trennen soll, sondern auch Moldau, Georgien und den westlichen Balkan", so die Außenministerin. Würden diese Länder dauerhaft von Russland destabilisiert, "macht es uns alle angreifbar".
Beitrittskandidaten der EU sind neben der Ukraine und Moldau derzeit Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Nordmazedonien und die Türkei. Baerbock sicherte vor allem auch der Ukraine und Moldau die Mitgliedschaft in der EU zu. "In Kiew schlägt das Herz Europas", sagte sie. "Wir wollen die Ukraine als Mitglied unserer Europäischen Union. Und ich bin überzeugt, dass auch der Europäische Rat im Dezember dieses Signal geben wird."
Die Reform der Union und ihrer Beitrittsprozesse sei dabei keine leichte Aufgabe und werde viel Zeit in Anspruch nehmen, gab Baerbock zu bedenken.