Amnesty International Menschenrechte so bedroht wie seit Jahrzehnten nicht
Unterdrückung, Verfolgung, Kriegsverbrechen - Amnesty International prangert eine massive Zunahme an Verstößen gegen Menschenrechte weltweit an. Im Fokus stehen die Kriege in der Ukraine und in Nahost.
Es ist ein düsteres Bild, das die Nichtregierungsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht zur weltweiten Einhaltung von Menschenrechten zeichnet: mehr Verstöße in mehr Ländern - nicht nur in bereits bekannten Krisenregionen, auch die Kriege in Nahost und gegen die Ukraine haben zu einer Verschlechterung der internationalen Lage geführt. Auch an Deutschland übt die Organisation scharfe Kritik.
"Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind weltweit so bedroht wie seit Jahrzehnten nicht mehr", zieht Amnesty International Bilanz. Im Vorwort des Berichts spricht Agnès Callamard, die Internationale Generalsekretärin der NGO, sogar von deutlichen Rückschritten bei der Wahrung von Menschenrechten. Der Stand der Menschen, die in Demokratien leben, sei weltweit auf den Stand von 1985 zurückgegangen. Als Demokratie zählen dabei Länder, die rechtsstaatliche Prinzipien einhalten, etwa die Trennung von Exekutive, Judikative und Legislative und in denen bürgerliche Grundrechte gewahrt werden. 1985 - "das ist die Zeit vor der Entlassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis, vor dem Fall der Berliner Mauer, vor dem Ende des Kalten Krieges und vor all den damit verbundenen Hoffnungen auf eine neue Ära für die Menschheit", schreibt Callamard.
Kriege in Ukraine und Nahost verschärfen Missstände
Zur Verschlechterung der weltweiten Lage haben aus Sicht von Amnesty International auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Krieg in Nahost beigetragen. Russland greife gezielt dicht besiedelte zivile Gebiete an sowie Infrastruktur, die für die Energieversorgung notwendig sei. Laut der NGO sind zudem Fälle von Folter und Misshandlungen von Kriegsgefangenen durch das russische Militär dokumentiert.
Mit Blick auf den Nahen Osten wirft Amnesty International sowohl der militant-islamistischen Hamas als auch der israelischen Armee Kriegsverbrechen vor. Das Leid der Opfer des Überfalls der Hamas auf Israel Anfang Oktober des vergangenen Jahres sei "durch nichts zu relativieren", betonte die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Julia Duchrow.
Doch gleichzeitig kritisierte sie, dass der Militäreinsatz Israels im Gazastreifen "jedes Maß verloren" habe. Es würden Kriegsverbrechen verübt und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in Kauf genommen. Ein Vorwurf, mit dem sich Israel bereits von mehren Seiten konfrontiert sieht. Auch die USA und die Vereinten Nationen haben wiederholt gemahnt, dass das israelische Militär bei seiner Offensive die im Gazastreifen lebende zivile Bevölkerung besser schützen müsse. Zuletzt hatte die Kritik angesichts einer drohenden Offensive auf Rafah erneut zugenommen. In dem Ort nahe der Grenze zu Ägypten haben mehr als eine Million Bewohnerinnen und Bewohner aus Gaza Zuflucht gesucht.
Viele Verstöße seit Langem in der Kritik
Doch auch andere Krisen- und Konliktherde greift Amnesty International im Jahresbericht auf. Darunter den Sudan, in welchem seit mehr als einem Jahr ein Bürgerkrieg tobt und die beiden um Macht ringenden Konliktparteien ebenso gezielte und wahllose Angriffe auf Zivilisten verüben würden.
Viele der von Amnesty International thematisierten Menschenrechtsverstöße prangert die Organisation schon seit längerem an. In Afghanistan seien die Möglichkeiten für Mädchen, eine Schule zu besuchen, weiter eingeschränkt worden. Der Iran geht verschärft gegen Frauen vor, die sich der Verschleierungspflicht widersetzen. In mehr als 60 Ländern werden gleichgeschlechtliche Handlungen nach wie vor kriminalisiert und unter Strafe gestellt.
Auch die USA und die dort verschärften Gesetze zu Abtreibungen nimmt Amnesty International in seinem Bericht ins Visier
Bundesregierung "schweigt zu Kriegsverbrechen" Israels
Im Umgang mit dem Nahost-Krieg gerät auch die Bundesregierung in die Kritik der NGO - allen voran Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die für eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik stehen wolle. Und doch schweige die Bundesregierung "zu den Kriegsverbrechen der israelischen Armee und verspielt damit ihre Glaubwürdigkeit", mahnte Duchrow.
Mit Blick auf Deutschland ist es nicht der einzige Kritikpunkt des Jahresberichts. Die Bundesrepublik erkenne strukturellen Rassismus zu wenig an und setze sich zu wenig für den Schutz der Bevölkerung vor Hasskriminalität ein. Auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit droht in der Bundesrepublik laut Organisation teils eingeschränkt zu werden. Als Beispiel nennt die Organisation Verbote von pro-palästinensischen Demonstrationen.
Ein anderes Beispiel: das Vorgehen gegen die Klimaschutzbewegung "Letzte Generation". In Bayern können Mitglieder der Bewegung bis zu 30 Tage in Präventivhaft genommen werden, in mehreren Bundesländern wird gegen die Gruppierung wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. "Das ist ein Angriff auf das Recht auf friedlichen Protest und die Zivilgesellschaft", warnt Amnesty-Generalsekretärin Duchrow.
Künstliche Intelligenz als Risikofaktor
Zu einer Gefahr für Menschenrechte könnte sich auch die Nutzung von Künstlicher Intelligenz entwickeln, warnt Amnesty International. So werde derzeit über die Nutzung von Videoüberwachung und Gesichtserkennung sowohl bei den Olympischen Spielen in Frankreich als auch bei der Fußball-Europameisterschaft debattiert - entgegen dem von Deutschland in Aussicht gestellten Verbot der Gesichtserkennung. In einer solchen Praxis sieht die NGO einen möglichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Menschen.
Eine andere von Amnesty International kritisierte Einsatzmöglichkeit von Systemen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, ist die biometrische Erfassung von nach Europa Geflüchteten. Auch bei der Verbreitung von Hetze könnten Systeme wie etwa ChatGPT genutzt werden, um Hassreden zu erstellen.