Gipfel in Brüssel Gemeinsamer Nenner: Abschottung
Staats- und Regierungschefs der EU diskutieren in Brüssel über Auffanglager für Migranten. Italiens Premier Conte droht schon vorab mit Boykott. Merkels Wunsch nach einer gesamteuropäischen Lösung stößt auf geteiltes Echo.
Auf dem EU-Gipfeltreffen in Brüssel liegt erstmals ein konkretes Konzept für sogenannte Anlandestellen vor, in denen Migranten außerhalb der EU bis zur Entscheidung ihrer Asylgesuche untergebracht werden könnten.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini teilte mit, das Konzept sei in den vergangenen Tagen gemeinsam mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erarbeitet worden.
Details zum Inhalt nannte Mogherini nicht - sie betonte lediglich, die geplanten Zentren verstießen weder gegen internationales Recht noch gegen Menschenrechte.
Österreich rechnet mit Beschluss von Auffangzentren
Wieviel Zustimmung die Idee der Anlandestellen auf dem Gipfel finden wird, ist ungewiss. Bundeskanzlerin Merkel meinte, darüber könne man diskutieren - jedoch nur mit einer Einschränkung. "Man muss mit den Ländern sprechen, nicht über sie!"
Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte: "Nordafrikanische Länder mögen es nicht, fremdbestimmt zu werden. Wenn dieses Signal von uns ausgehen sollte, dann geht die Sache schief!"
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz zeigte sich hingegen zuversichtlich, dass man sich auf dem Gipfel bereits auf die sogenannten Anlandeplattformen einigen werde.
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte vor Gipfelbeginn mit einem Veto gegen die möglichen Beschlüsse des Treffens gedroht, falls Italiens Forderungen darin nicht berücksichtigt würden. Eine Blockade der Entscheidungen sei von ihm zwar nicht gewünscht, aber "eine Möglichkeit", sagte er. Zuvor hatte Conte einen Zehn-Punkte-Plan zur Migrationskrise vorgelegt, der eine Reform des EU-Aslyrechts vorsieht.
Merkel kam mit Conte zu einem bilateralen Gespräch zusammen, über die Inhalte wurde zunächst nichts bekannt.
CSU entscheidet nicht, "wie Europa funktioniert"
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel geht es neben dem Handelsstreit mit den USA, der Lage der Eurozone und den Sanktionen gegen Russland insbesondere um die Frage, ob die EU-Staaten im Umgang mit Migranten zu einer gemeinsamen Richtung finden oder auf nationale Lösungen setzen.
Gemeinsam ist den Mitgliedsstaaten nur, dass sie Migranten den Zuzug in die EU erschweren wollen: Die Hauptankunftsländer Italien, Griechenland und Spanien verwehren sich zunehmend dagegen, die Versorgungslast allein tragen zu müssen, während Deutschland und Frankreich eine Weiterreise nach Mitteleuropa verhindern wollen und sich die osteuropäischen Mitgliedsstaaten gänzlich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sperren.
Merkel plädiert in der Flüchtlingspolitik für eine gesamteuropäische Lösung und liegt darüber im Streit mit Bundesinnenminister Horst Seehofer und dessen Partei CSU, die in einem nationalen Alleingang die Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze planen.
Auf dem EU-Gipfel erhielt Merkel sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Es könne nicht sein, "dass irgendeine bayerische Partei entscheidet, wie Europa funktioniert", sagte Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel. Dies könne in Europa einen "Domino-Effekt" in Gang setzen. Er erwarte in Brüssel schwierige Gespräche.
Rückendeckung für Merkel von Griechenland, Absage von Tschechien
Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras stellte Merkel eine Vereinbarung in Aussicht: "Wenn es hilft, macht es uns nichts aus, dass wir vielleicht einige Rückführungen aus Deutschland haben werden", sagte er der "Financial Times" mit Blick auf Migranten, die bereits in Griechenland registriert und nach Deutschland weitergereist sind.
Auch Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron trat für eine Zusammenarbeit auf der Basis der bestehenden Abmachungen ein. Er hatte Merkel bereits auf dem Treffen im brandenburgischen Meseberg zugesagt, Flüchtlinge zurückzunehmen.
Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis erteilte Merkels Plänen hingegen eine klare Absage. Eine Rücknahmevereinbarung mit Deutschland werde er "definitiv" nicht unterzeichnen, sagte Babis: Die EU schwenke in der Migrationspolitik immer mehr auf die Linie der Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei ein, die eine Aufnahme von Flüchtlingen rigoros ablehnen.
Ob es in Brüssel zu einem Beschluss kommt, den alle EU-Staaten mittragen wollen, ist offen. Doch der Druck steigt - auch auf Staaten mit einer defensiven Haltung. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani warnte: "Wenn wir heute nicht weiterkommen, ist Europa irgendwann in Gefahr."
Mit Informationen von Andreas Meyer-Feist, ARD-Studio Brüssel