EU-Gipfel zu Corona-Hilfen Erster Erfolg in Brüssel
Tag vier der Verhandlungen - und es bewegt sich etwas: Offenbar gibt es keinen Streit mehr zwischen den EU-Staaten über die Höhe der Zuschüsse bei den geplanten Corona-Hilfen. Das ist ein erster Schritt - aber viele Streitpunkte sind weiterhin ungelöst.
Beim EU-Finanzgipfel sind sich die 27 Staats- und Regierungschefs über die Höhe der Zuschüsse bei den geplanten Corona-Hilfen einig geworden. Statt der von Deutschland und Frankreich geforderten 500 Milliarden Euro sollen nur 390 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Damit liegt ein wichtiger Baustein für die Lösung des Finanzstreits vor.
An der Gesamtsumme des Fonds soll sich offenbar nichts ändern - es bleibt bei 750 Milliarden Euro. 360 Milliarden Euro soll an Krediten zur Verfügung gestellt werden. Lediglich das Verhältnis von Zuschüssen und Krediten wird also verändert.
Formel zur Rechtsstaatlichkeit vereinbart
Am späten Abend nahmen die EU-Staaten dann eine weitere Hürde auf dem Weg zum milliardenschweren Finanzpaket gegen die Corona-Krise und kamen einer Gesamteinigung näher. Sie verständigten sich nach Angaben von Diplomaten auf eine Formel, wie die Auszahlung von EU-Geldern künftig an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit gekoppelt werden soll. Alle Staats- und Regierungschefs hätten zugestimmt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus EU-Kreisen in Brüssel.
Die Koppelung von EU-Geldern an die Einhaltung von EU-Grundwerten wie Rechtsstaatlichkeit war eines der umstrittensten Themen in der Debatte um das milliardenschwere Corona-Hilfspaket und den siebenjährigen EU-Finanzrahmen. Östliche Staaten wie Ungarn und Polen, gegen die Verfahren wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit laufen, versuchten die Koppelung zu verhindern. Einige andere Staaten pochten jedoch darauf.
Zugeständnis an die "Sparsamen"
Für eine Verringerung der Zuschuss-Hilfen, die nicht zurückgezahlt werden müssen, hatten sich Österreich, Dänemark, Schweden, die Niederlande - die selbsterklärten "Sparsamen Vier" -, aber auch Finnland eingesetzt. Für sie ist die Einigung ein Verhandlungserfolg. Die Nettozahler befürchten, dass bei hohen, von ihren Steuerzahlern finanzierten Zuschusszahlungen Reformen in den Empfängerländern verschleppt werden. Sie wollten ursprünglich am liebsten nur Kredite und gar keine Zuschüsse vergeben, um Länder wie Italien zu einer nachdrücklicheren Reformpolitik zu bewegen.
Besonders kritisch wurden die Pläne der Kommission auch deswegen gesehen, weil die EU für das Konjunktur- und Investitionsprogramm erstmals in großer Dimension gemeinsame Schulden aufnehmen will.
Zuversicht bei EU-Ratspräsident Michel
Die Corona-Hilfen fallen also deutlich kleiner aus als von Deutschland und Frankreich gefordert. Und sie sind nur ein Teil des Gesamtpakets, um das noch immer gerungen wird.
EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich aber zuversichtlich, dass es auch bei den übrigen Streitpunkten zu einer Einigung kommen könne. Dafür legte Michel nach eigenen Angaben den 27 EU-Staaten einen umfassenden neuen, 66 Seiten umfassenden Kompromissvorschlag vor - die sogenannte Verhandlungsbox. Diese sei das Ergebnis unglaublich intensiver Gespräche mit allen Beteiligten und "die Frucht kollektiver Arbeit". Die letzten Schritte seien immer die schwierigsten, so der Ratspräsident, es sei aber wichtig, die Arbeit forzusetzen.
Schon am Mittag hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vorsichtig positiv zum Verlauf der Verhandlungen geäußert. Man habe in der Nacht einen Rahmen für eine mögliche Einigung erarbeitet. Das gebe Hoffnung, "dass es heute vielleicht zu einer Einigung kommt oder jedenfalls eine Einigung möglich ist." Zuvor waren die Verhandlungen zum wiederholten Mal unterbrochen worden.
"Verhandlungsbox" sieht offenbar Rabatte auf Beitragszahlungen vor
Den "Sparsamen Vier" hat Michel deutlich höhere Rabatte auf ihre Beitragszahlungen in den EU-Haushalt angeboten. Wie nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP aus dem neuen Vorschlag des EU-Ratspräsidenten hervorgeht, sollen die Niederlande künftig einen Nachlass von 1,92 Milliarden Euro jährlich erhalten. Dies sind 345 Millionen Euro mehr als bisher geplant. Schweden soll nun 1,07 Milliarden Euro Rabatt bekommen, 271 Millionen mehr als in Michels letztem offiziellen Verhandlungsvorschlag von vor dem Gipfel. Österreich würde seinen Rabatt nach dem Plan auf 565 Millionen Euro mehr als verdoppeln. Und Dänemark kommt nun auf 322 Millionen Euro - 125 Millionen Euro mehr als bisher.
Auch Deutschland als Beitragszahler in der EU erhält einen deutlichen Rabatt auf seine Beiträge. Er war aber von dem Corona-Streit nicht betroffen und bleibt unverändert bei 3,67 Milliarden Euro pro Jahr.
1,8 Billionen Euro Verhandlungsmasse
Beim EU-Sondergipfel verhandeln Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs seit Freitagvormittag in Brüssel über ein milliardenschweres Konjunkturprogramm, das die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abfedern soll. Zudem muss eine Einigung über den langfristigen EU-Haushalt erzielt werden. Insgesamt geht es um rund 1,8 Billionen Euro.
Eigentlich sollte der Gipfel nur zwei Tage dauern. Noch offen ist bislang eine Einigung über den langfristigen EU-Haushalt. Sie ist die Voraussetzung für den Start des Hilfspakets. Weiterer Streit ist programmiert. So ist zum Beispiel über die Frage, wie beziehungsweise ob die Vergabe von EU-Mitteln künftig vom Engagement beim Klimaschutz und von der Einhaltung rechtsstaatlicher EU-Standards abhängig gemacht werden soll. Insbesondere die zunehmend autoritär regierten Visegrad-Staaten Ungarn und Polen sträuben sich dagegen.