Gipfel zu Corona-Hilfen Frischer Wind durch neuen Vorschlag
Weniger Zuschuss, mehr Kredit: Mit einem Kompromissvorschlag will EU-Ratspräsident Michel Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen bringen. Bei dem EU-Gipfel geht es um milliardenschwere Corona-Hilfen.
Ob sich im Streit um das größte Finanzpaket der EU-Geschichte heute etwas bewegt? Angela Merkel ist ganz offensichtlich sehr daran interessiert. Die deutsche Bundeskanzlerin war jedenfalls als erste zurück im europäischen Ratsgebäude - und saß kurz danach mit Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron an einem Tisch.
Auch die Hauptkontrahenten waren dabei, nämlich die Ministerpräsidenten aus Spanien und Italien, Pedro Sánchez und Giuseppe Conte, sowie auf der Gegenseite der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Der pocht nach wie vor auf Sparsamkeit - und will die geplanten Milliardenhilfen für die besonders von der Corona-Pandemie getroffenen Länder an strenge Auflagen koppeln. "Ein Punkt, der mir wichtig ist, sind die Reformen. Die müssen jetzt tatsächlich stattfinden, um dafür zu sorgen, dass die Länder bei der nächsten Krise - ob das nun eine Wirtschaftskrise oder eine andere ist - dann besser in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen."
Kurz drängt auf Reformen
Soll heißen: Solidarität in der Krise ja, aber keine Blankoschecks, etwa für Spanien oder Italien. "Geizig ist das", schreibt Polens Ministerpräsident Morawiecki auf Twitter. Aber die Niederlande sind mit ihrer Position nicht allein. Auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz verlangt, dass sich die Empfängerländer im Süden Europas als Gegenleistung für die Finanzhilfen gründlich modernisieren. Dabei verweist er auf große Unterschiede innerhalb der EU in Sachen Arbeitsmarkt, Rentensysteme, Korruptionsbekämpfung oder Bürokratie.
Vor allem in Italien sind einschneidende Reformen nötig, sagte Kurz dem österreichischen Fernsehen ORF: "Wenn die Gelder, die in die Hand genommen werden, in Digitalisierung, Ökologisierung und Reformen gesteckt werden, macht das Sinn." Wenig bringen würden die Investitionen hingegen, wenn sie im System versanden, in Banken fließen oder schlimmstenfalls in der Korruption untergehen würden. "Darüber wird gerade bis ins Detail debattiert."
Weniger an Zuschüssen, mehr an Krediten
Nach wie vor umstritten ist aber auch, wie viel für die Corona-Hilfen überhaupt ausgegeben werden soll, welche Kontrollen es gibt, und ob das Geld später wieder zurückgezahlt werden muss. Die Niederlande wollen, dass die 27 EU-Staaten gemeinsam und einstimmig darüber entscheiden, welche Projekte gefördert werden und welche nicht. Das würde praktisch für jedes Land ein Vetorecht bedeuten.
Nun bemüht sich EU-Ratspräsident Charles Michel mit neuen Vorschlägen, frischen Wind in die Verhandlungen zu bringen. Wie zu hören ist, soll bei den geplanten Zuschüssen gekürzt und dafür bei den Krediten aufgestockt werden. Von den angesetzten 750 Milliarden Euro sollen nun nur 450 Milliarden als Zuschüsse fließen statt den zuvor verhandelten 500 Millionen. Das wäre ein Zugeständnis an die "Sparsamen Vier", also Dänemark, Schweden, Österreich und die Niederlande.
Ausgang ungewiss
Michel, der offizielle Gastgeber des Gipfels, steht unter Druck. Schließlich war schon die erste Verhandlungsrunde zum EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre im Februar ohne Ergebnis auseinandergegangen. Und auch hier sind noch viele Fragen offen. Ungarn und Polen etwa wollen verhindern, dass Geld aus Brüssel an die Einhaltung der Grundrechte geknüpft wird. Außerdem fordern unter anderem Tschechien und Frankreich ein Ende der Beitragsrabatte für die sogenannten Nettozahler, zu denen auch Deutschland gehört.
Denkbar ist heute vieles. Ein schneller Durchbruch, eine Verlängerung bis morgen oder übermorgen, aber auch: ein erneutes Scheitern. Dann wäre ein weiterer Sondergipfel nötig, vermutlich Ende des Monats. Bis dahin hätten alle noch einmal Zeit zum Nachdenken. So wie die Gespräche bisher verlaufen sind, ist das wohl die wahrscheinlichste Variante.