EU-Gipfel in Brüssel Viele Themen, viel Streitpotenzial
Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs sind Kontroversen zu erwarten - allen voran zum Thema Nahost. Auch weitere Ukraine-Hilfen und Russland-Sanktionen, Haushalt und Migration stehen auf ihrer Agenda.
Seit dem Angriff der Hamas hat die EU noch keine gemeinsame Haltung gefunden - auch, wenn alle Mitgliedsländer die barbarischen Attacken der Terrororganisation aufs Schärfste verurteilen. Einige, wie Deutschland, bekräftigen das Recht der Israelis auf Selbstverteidigung, andere, wie Spanien, sehen das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen kritisch und mahnen zur Einhaltung des Völkerrechts.
Einig ist man sich zwar, dass der notleidenden palästinensischen Bevölkerung geholfen werden muss - aber nicht über das Wie. Eine Reihe von EU-Ländern macht sich für eine sofortige Waffenruhe stark, damit die Menschen in Gaza versorgt werden können und nicht noch mehr Unschuldige ums Leben kommen - Irland und Belgien etwa, aber auch die Niederlande und Slowenien.
Eher zurückhaltend sind Österreich, Tschechien und Deutschland. Sie glauben, dass es weder Sicherheit noch Frieden geben kann, solange der Terror der Hamas weitergeht. Außerdem bezweifeln sie, dass sich die militanten Islamisten tatsächlich an Absprachen halten. Wahrscheinlich ist, dass der Gipfel zu befristeten Feuerpausen aufruft, um die Lieferung von Hilfsgütern zu ermöglichen.
Hilfen für die Ukraine
Vor allem die Länder in Osteuropa befürchten, dass die Nahost-Krise den russischen Angriffskrieg überschattet und die Unterstützung für die Ukraine schwindet. Um diese Sorgen zu zerstreuen, heißt es schon im Einladungsschreiben von EU-Ratspräsident Charles Michel: Europa werde unerschütterlich weiter helfen, so lange das nötig ist.
Eigentlich hätte schon bei diesem Gipfel darüber gesprochen werden sollen, ob - und wenn ja, wann - die Gespräche mit der Ukraine über einen EU-Beitritt beginnen können. Weil der Bericht der EU-Kommission über die Fortschritte des Landes auf dem Weg Richtung Europa noch nicht vorliegt, wird jetzt mit einer Entscheidung Ende Dezember gerechnet.
Ob für den Wiederaufbau der Ukraine eingefrorene russische Vermögen abgeschöpft werden sollen - wie das Belgien konkret plant -, ist nach wie vor umstritten. Unter anderem Deutschland hat rechtliche Bedenken. Thema beim Gipfel wird auch das zwölfte Sanktionspaket gegen Russland sein. Denkbar wäre ein Importstopp für russische Diamanten. Auch eine Senkung des Ölpreisdeckels ist im Gespräch.
Unmut über Finanzfragen
Geht der EU angesichts der vielen Krisen und Kriege weltweit auf lange Sicht das Geld aus? Der Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 ist nach Ansicht der EU-Kommission jedenfalls ausgereizt. Das Von-der-Leyen-Team will deshalb alleine für die Ukraine-Hilfe zusätzlich 50 Milliarden Euro bei den Mitgliedsstaaten einsammeln.
Außerdem soll der Europäische Friedensfonds, der unter anderem die Waffenkäufe für die ukrainische Armee finanziert, in den nächsten fünf Jahren um 20 Milliarden Euro aufgestockt werden. Viele EU-Länder wie Österreich oder die Niederlande sind aber nicht davon überzeugt, dass wirklich frisches Geld her muss und wollen stattdessen ungenutzte Haushaltsmittel umschichten. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat schon klargemacht, dass er keinerlei Spielraum für weitere Zahlungen Deutschlands an den EU-Haushalt sieht.
Handschlag in Peking: Diese Geste Viktor Orbáns und Wladimir Putins vom 17. Oktober nannte EU-Kommissionsvize Vera Jourova einen "Akt des Hochverrats".
Ärger über Orbán
Und dann ist da noch Viktor Orbán: Vor anderthalb Wochen hatte sich der ungarische Regierungschef in Peking mit Russlands Präsident Putin getroffen - um die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu bekräftigen, wie es nachher hieß, und um einen neuen Gas-Deal zu vereinbaren - obwohl die EU die russischen Energielieferungen eigentlich kappen will.
Ein Skandal, was Orbán da macht, finden in Brüssel und den anderen europäischen Hauptstädten viele. Zumal Ungarn auch bei den Russland-Sanktionen oder der Waffenhilfe für die Ukraine immer wieder auf der Bremse steht. EU-Kommissionsvize Vera Jourova nennt den Händedruck mit Putin sogar einen "Akt des Hochverrats". Orbán sollte sich also zumindest am Rande dieses Gipfels auf kritische Fragen gefasst machen.