Das britische Unterhaus in London
Analyse

Analyse zum Brexit-Termin EU-Wahl setzt Unterhaus unter Druck

Stand: 11.04.2019 04:48 Uhr

Nicht der neue Brexit-Termin am 31. Oktober setzt Großbritannien unter Druck, sondern die Europawahl im Mai. An der Wahl müssen die Briten teilnehmen, wenn das Parlament sich weiterhin weigert, dem Austrittsvertrag zuzustimmen.

Eine Analyse von Ralph Sina, ARD Brüssel

Mit tiefen Ringen unter den Augen und mit schleppender Stimme trat Bundeskanzlerin Angela Merkel um kurz vor drei Uhr in Brüssel ans Mikrofon: Der Brexit-Sondergipfel tagte bis tief in die Nacht - und heraus kam ein neuer virtueller Termin. Der 31. Oktober ist jetzt der neue Brexit-Day, an dem die Briten die EU verlassen.

Den 29. März hatten wir schon, den 12. April auch. Jetzt baut die EU Ende Oktober als neue Drohkulisse auf. Halloween. Doch ein Gruseltermin ist dieser 31. Oktober nicht. Die virtuellen Brexit-Termine häufen sich lediglich. Und eines ist allen diesen Terminen gemeinsam: Sie sind nicht sonderlich ernst zu nehmen. Weil die EU bisher geeint und entschlossen ist, den Briten so lange Zeit zur Selbstfindung zu geben, bis die Albtraum-Version des harten Chaos-Brexits, also einer Scheidung ohne Scheidungsvertrag, vom Tisch ist.

Theresa May

Premierministerin May: Die Europawahl rückt näher - und setzt sie unter Druck.

Vom Friedensprojekt zum möglichen Konfliktstifter

In dem Moment, in dem die Briten ohne ein Austrittsabkommen die EU verlassen, würde das Friedensprojekt EU zum potenziellen Konfliktstifter in Nordirland. Ein harter Brexit würde nämlich automatisch eine neue harte EU-Außengrenze auf der irischen Insel bedeuten. Wenn sich das zur EU gehörende Irland weigern würde, diese harte EU-Außengrenze zu errichten, dann müsste die EU-Kommission die Regierung in Dublin vor dem Europäischen Gerichtshof dazu zwingen, weil der europäische Binnenmarkt und seine 500 Millionen Verbraucher nur durch engmaschige Grenzkontrollen vor gesundheitsgefährdenden Importen aus Drittstaaten geschützt werden können.

Die berühmt-berüchtigten Chlorhühnchen und Hormonrinder sind nur ein Symbol für das, was einem EU-Markt droht, der nach einem Brexit ohne harte Außengrenze zu Nordirland kein Binnenmarkt mehr wäre.

Briten haben EU terminlich in der Hand

Die Briten haben wegen des latenten Nordirland-Konfliktes die EU also terminlich weitgehend in der Hand: Solange sich die Staats-und Regierungschefs einig sind, dass ein harter Brexit ein um fast jeden Preis zu vermeidendes Übel ist, kann London darauf bauen, dass es auch beim kommenden Oktober-Gipfel zur Not einen erneuten Aufschub des bereits mehrfach aufgeschobenen Austrittstermins gibt.

Zwar hätte diese erneute Fristverlängerung Ende Oktober für die derzeitige Juncker-Kommission den Nachteil, dass sie in ihrer Amtszeit das Scheidungskapitel des Brexits nicht mehr abschließen könnte, dass britische Abgeordnete bei der Wahl des Juncker-Nachfolgers mitmischen würden - und dass das Vereinigte Königreich auch mit einem Kommissar während der britischen EU-Restlaufzeit in Brüssel vertreten wäre. Aber diese Schönheitsfehler lassen sich verschmerzen, wenn ein Ausstieg noch in diesem Jahr gelingt. Besonders in Anbetracht dessen, dass vor Jahresende ohnehin nur Mehrheitsentscheidungen in Brüssel auf der Tagesordnung stehen - und die Briten nichts per Veto blockieren können.

Der wirkliche Halloween-Termin für London in dem Gipfel-Ergebnis ist nicht der 31. Oktober, sondern die Europawahl im Mai, an der die Briten teilnehmen müssen, wenn ihr Parlament sich weiterhin weigert, dem von Theresa May unterzeichneten Austrittsvertrag zuzustimmen. Die Teilnahme an der kommenden Europawahl ist für die Pro-Brexit-Briten weit gruseliger als jedes Halloween.

Merkel und Macron bauen Druck auf

Darauf setzen Angela Merkel und Emmanuel Macron: Dass die näher rückende Europawahl May und Jeremy Corbyn unter Handlungsdruck setzt, dass Tory und Labour doch noch mehrheitlich zu einer Einigung über das zukünftige Verhältnis zur EU kommen - und es damit dem Parlament in London leichter fällt, dem bereits vorliegenden Austrittsabkommen zuzustimmen.

Wenn jetzt schnell Bewegung in die Londoner Parlamentsfronten kommt, müssen die Briten nicht an der Europawahl teilnehmen, sondern sind im Juni raus aus der EU. Dann könnten sie am 31. Oktober entspannt Halloween feiern.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. April 2019 um 04:55 Uhr.