Assad auf dem Gipfel der Arabischen Liga Der Paria als Partner
Nach zwölf Jahren der Isolation wird Syrien beim Gipfel in Saudi-Arabien wieder in die Arabische Liga aufgenommen. Für Machthaber Assad ein diplomatischer Coup. Für die, die unter ihm gelitten haben, eine Schande.
Ob er als Mensch jemals über das hinwegkommen wird, was er erleben musste? Omar Alshogre atmet tief durch und macht eine Pause. "Das ist eine sehr gute Frage", sagt er und man spürt, wie schwer ihm die Antwort fällt. "Nein, ich werde niemals damit abschließen, aber ich nehme die Erinnerungen mit und ich versuche, sie für mich zu nutzen. Als Antrieb für mein Leben."
Omar Alshogre verbrachte als Jugendlicher drei Jahre in syrischen Gefängnissen, wurde grausam gefoltert, nachdem er als 15-Jähriger zu Beginn des damals sogenannten Arabischen Frühlings an Demonstrationen gegen das Assad-Regime teilgenommen hatte. Sein Vater und mehrere Cousins wurden getötet. Der heute 27-Jährige verließ Syrien als Flüchtling, studiert inzwischen an der renommierten US-Universität Georgetown und engagiert sich im Exil für eine syrische Oppositionsgruppe.
Es sind Leidtragende wie Omar Alshogre, die mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Abscheu auf das blicken, was da gerade in ihrer Heimatregion passiert. Zwölf Jahre nach seinem Ausschluss wird Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen. Beim Gipfeltreffen in der saudischen Hafenstadt Dschidda betritt Präsident Baschar al-Assad die Bühne, von der ihn das Staatenbündnis 2011 aus Protest gegen sein brutales Vorgehen gegen das eigene Volk ausgeschlossen hatte. Nach mehr als einem Jahrzehnt im Abseits wird so aus dem Paria wieder ein Partner.
Zynismus oder Realpolitik?
Wie konnte es dazu kommen? Folter, Fassbomben, Giftgas - sind die Verbrechen, die Assad vorgeworfen werden, den anderen Mächtigen im Nahen und Mittleren Osten inzwischen so egal, dass sie den syrischen Präsidenten wieder mit am Tisch sitzen lassen? Die Entscheidung der Arabischen Liga zeige, dass "diese Region so oft so zynisch ist", sagt Joseph Bahout, Politikwissenschaftler an der American University in Beirut.
Was die einen Zynismus nennen, bezeichnen andere als strategisches Kalkül oder schlicht als Realpolitik. Schon vor einem Jahr hatten die Vereinigten Arabischen Emirate damit begonnen, Assad zu rehabilitieren und luden ihn zum Staatsbesuch ein. Während sich die bis auf wenige Ausnahmen international isolierte syrische Regierung darüber freuen konnte, dringend benötigte Kontakte für ihr wirtschaftlich schwer angeschlagenes Land zu knüpfen, war es den Machthabern in Abu Dhabi wichtig, Assad zumindest etwas von dessen großem Unterstützer, dem Iran, loszueisen.
Andere arabische Staaten zogen nach. Selbst die, die lange auf eine militärische Niederlage Assads gesetzt und oppositionelle und islamistische Gruppen in Syrien unterstützt hatten, scheinen inzwischen zu der Erkenntnis gekommen zu sein, dass Assad den Krieg gewonnen hat. Nachbarn wie der Libanon und Jordanien hoffen, dass man sich mit Damaskus einig wird, was eine Rückführung von Flüchtlingen betrifft. Assad zeigt sich gesprächsbereit, spekuliert auf Finanzhilfen, die in Syrien nach mehr als einer Dekade Krieg und dem verheerenden Erdbeben Anfang dieses Jahres, auch dringend benötigt werden.
Riad demonstriert Machtwillen
Der Beschluss der Arabischen Liga, Syrien wiederaufzunehmen, hat aber auch noch eine andere Botschaft. Er ist ein Zeichen der Stärke - und zwar des Gipfel-Gastgebers Saudi-Arabien. Gestützt auf den Reichtum ihrer Öl- und Gasvorkommen versucht die Monarchie am Golf unter Kronprinz Mohammed bin Salman schon seit Längerem, als Machtzentrum der Region in Erscheinung zu treten. Als ein Player, der selbstbewusst eigene und arabische Interessen vertritt, auf Augenhöhe Allianzen mit Staaten wie China und Russland schmiedet. Als ein Land, das sich vom Westen nicht beeindrucken oder belehren lässt. Schon gar nicht in Menschenrechtsfragen.
Die Arabische Liga wurde 1945 gegründet und hat mit Syrien nun wieder 22 Mitglieder. Ziel ist eine noch stärkere Zusammenarbeit etwa in Politik und Wirtschaft sowie die Schlichtung von Konflikten. Beim Gipfel dürfte es neben der Lage im Sudan und im Jemen auch wieder um die Lage in Syrien gehen. Offiziell ist nicht bekannt, ob Syriens Rückkehr in die Liga an Bedingungen geknüpft ist. Zu den drängendsten Fragen zählen aber die Rückkehr syrischer Flüchtlinge, mögliche Gespräche mit der Opposition, humanitäre Hilfen, der Wiederaufbau und die Eindämmung des Drogenschmuggels. Syrien war im November 2011 im Zuge der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten im Land ausgeschlossen worden. Anfang Mai beschlossen die Mitglieder die Wiederaufnahme Syriens.
Was sagen die Menschen in der arabischen Welt zu der Entscheidung, Syrien wieder in das Staatenbündnis aufzunehmen? Omar Alshogre, der gefolterte Demokratie-Aktivist aus Syrien, vermisst Proteste in der Bevölkerung der Länder der Region. "Das ist meine größte Enttäuschung", sagt er. "Solange wir Araber nicht lernen, Empathie untereinander zu zeigen, wie es etwa die Europäer in Bezug auf die Ukraine getan haben, werden wir nie Demokratie und Freiheit erreichen."
Von den größtenteils autokratischen Staatschefs der Arabischen Liga habe er allerdings nichts anderes erwartet, sagt er. So richtig deren Beschluss vor zwölf Jahren gewesen sei, Syrien auszuschließen, so wenig überraschend komme jetzt die Kehrtwende. "Sie haben sich auf ihre wahre Position besonnen - die auf der falschen Seite der Geschichte."