Eine Schule des Un-Hilfswerks UNWRA in Gaza-Stadt
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Finanzierungsstopp für UNRWA Warum das Palästinenserhilfswerk unter Druck steht

Stand: 28.01.2024 19:40 Uhr

Mehrere Staaten - auch Deutschland - haben ihre Zahlungen für das UN-Palästinenserhilfswerk gestoppt. Was wird Mitarbeitern im Gazastreifen vorgeworfen - und weshalb ist das UNRWA so umstritten?

Warum steht das UNRWA aktuell in der Kritik?

Die israelische Regierung hat dem UN-Hilfswerk Informationen vorgelegt, wonach zwölf seiner Mitarbeiter in den Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 verwickelt gewesen sein sollen, bei dem etwa 1140 Menschen getötet und rund 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden sind.

Von den zwölf Beschuldigten seien neun umgehend entlassen worden, einer sei nicht mehr am Leben und die Identität der beiden anderen werde derzeit ermittelt, so UN-Generalsekretär António Guterres. Er kündigte an, die Beschuldigten würden zur Rechenschaft gezogen, auch durch eine strafrechtliche Verfolgung. "Die abscheulichen Taten dieser Mitarbeiter müssen Konsequenzen haben."

Die Vereinten Nationen selbst gaben bislang keine weiteren Details zu den Vorwürfen bekannt. Das Nachrichtenportal Axios zitierte einen ranghohen israelischen Beamten, demzufolge Geheimdienstinformationen auf eine "aktive Beteiligung" von UNRWA-Mitarbeitern hinwiesen. Außerdem sollen demnach Fahrzeuge und Einrichtungen von UNRWA genutzt worden sein.

Was ist das UNRWA?

Das UNRWA wurde 1949 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegründet. Das Hilfswerk kümmert sich um die Belange der als Flüchtlinge registrierten Palästinenser und ihrer Nachkommen, die im Zuge der Staatsgründung Israels 1948 und des darauffolgenden ersten arabisch-israelischen Krieges vertrieben wurden oder geflohen sind. Die Zahl stieg von rund 750.000 im Jahr 1948 auf mittlerweile 5,9 Millionen Menschen an. 

Die in den palästinensischen Gebieten, im Libanon, in Jordanien und in Syrien tätige Organisation hat das Mandat der Vereinten Nationen, den in ihrem Einsatzgebiet offiziell registrierten palästinensischen Flüchtlingen humanitäre Hilfe und Schutz zu gewähren, "bis eine gerechte und dauerhafte Lösung für ihre Situation gefunden ist". Die UNRWA-Angebote reichen dabei von Bildung, Gesundheitsfürsorge und Sozialdienstleistungen bis hin zu Infrastruktur, Mikrofinanzierung und Nothilfe während bewaffneter Auseinandersetzungen.

In den UNRWA-Schulen lernen mehr als 540.000 palästinensische Kinder. Insgesamt verwaltet die UNRWA rund 60 sogenannte Flüchtlingslager, darunter 19 im von der palästinensischen Autonomiebehörde verwalteten Westjordanland. 

Wie arbeitet UNRWA im Gazastreifen?

Von den insgesamt 30.000 UNRWA-Mitarbeitern sind allein 13.000 im Gazastreifen in mehr als 300 Einrichtungen tätig. Nach UN-Angaben sind von den 2,4 Millionen Einwohnern des Gazastreifens rund 1,7 Millionen als Flüchtlinge registriert. Insgesamt gibt es demnach in dem von der Hamas beherrschten Palästinensergebiet acht Flüchtlingssiedlungen. 

Im Gazastreifen war die humanitäre Lage schon lange vor Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas kritisch. Laut UN-Daten vom August 2023 litten zu diesem Zeitpunkt 63 Prozent der Einwohner unter Ernährungsunsicherheit und waren auf internationale Hilfe angewiesen. Mehr als 80 Prozent lebten demnach unterhalb der Armutsgrenze.

Wer zahlt wie viel?

2022 beliefen sich die US-Hilfszahlungen an UNRWA auf 344 Millionen US-Dollar, zweitgrößtes Geberland war Deutschland mit 202 Millionen, gefolgt von der EU, Schweden, Norwegen, Japan und Frankreich.

Warum ist die UNRWA generell umstritten?

Israel kritisiert die Hilfszahlungen seit Langem als mögliche indirekte Finanzierung der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas. Das Land und seine westlichen Verbündeten werfen der UNRWA zudem vor, eine Lösung der Flüchtlingsfrage zu verhindern und dadurch den israelisch-palästinensischen Konflikt zu verstetigen. Die UNRWA weist die Vorwürfe zurück.

Die Frage ist vor allem deshalb brisant, weil der Flüchtlingsstatus aus palästinensischer Sicht mit einem pauschalen Rückkehrrecht verbunden ist. Israel lehnt diese Sichtweise ab und sieht dadurch seine Existenz gefährdet.

Welche Reaktionen gibt es auf die jüngsten Vorwürfe?

Vertreter des Hilfswerks selbst und der Vereinten Nationen allgemein zeigten sich entsetzt über die mögliche Beteiligung von Mitarbeitern am Terrorangriff. International reagierten viele Länder besorgt. Als Konsequenz auf die Vorwürfe kündigten Länder wie die USA, Kanada, Australien, Großbritannien, Frankreich, Finnland und Italien an, ihre Hilfszahlungen auszusetzen. Deutschland schloss sich dem Zahlungsstopp an. Bis zum Ende der Aufklärung werde Deutschland temporär keine neuen Mittel für UNRWA im Gazastreifen bewilligen, teilten Auswärtiges Amt und Entwicklungsministerium (BMZ) mit.

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, Mahmoud Abbas, warf Israel hingegen eine Hetzkampagne gegen das UNRWA vor, mit dem Ziel, die Anliegen der palästinensischen Flüchtlinge unter den Tisch zu kehren. Auch die Terrororganisation Hamas sprach von einer Hetzkampagne Israels.

Norwegen und Irland teilten mit, sie würden das Hilfswerk trotz der Vorwürfe weiter unterstützen.

Was bedeuten die Zahlungsstopps für das UNRWA?

UN-Generalsekretär Guterres appellierte an die Staaten, die ihre Beiträge ausgesetzt haben, ihre Entscheidung zu überdenken. Die derzeitige Finanzierung des UNRWA reiche nicht aus, um die zwei Millionen Zivilisten im Gazastreifen im Februar zu unterstützen. Er bat darum, die Kontinuität der Arbeit des UNRWA zu gewährleisten. Die Zehntausenden Mitarbeiter sollten nicht bestraft werden. "Die dringenden Bedürfnisse der verzweifelten Bevölkerungsgruppen, denen sie dienen, müssen erfüllt werden."

Unterstützung kommt aus der Türkei: Vom Außenministerium in Ankara hieß es, ein Stopp der Gelder würde in erster Linie palästinensischen Zivilisten schaden. Ähnlich äußerte sich der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry.

Aus Sicht der UN-Sonderberichterstatterin für die Palästinensergebiete, Francesca Albanese, ist der Zahlungsstopp möglicherweise rechtswidrig. Die Entscheidung werde "rechtliche Verantwortung nach sich ziehen" und könne "das Ende des internationalen Rechtssystems" bedeuten, erklärte Albanese im Onlinedienst X. Auch Albanese kritisierte, die Länder bestraften mit ihrem Zahlungsstopp "kollektiv Millionen von Palästinensern zum kritischsten Zeitpunkt" und verletzten damit "wahrscheinlich ihre Verpflichtungen gemäß der Völkermordkonvention".

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hatte am Freitag mehr Hilfe für die Menschen im Gazastreifen angemahnt. Das höchste UN-Gericht rief Israel in einer vorläufigen Entscheidung zudem auf, alles dafür tun, dass es bei seinem Militäreinsatz gegen die Hamas im Gazastreifen nicht zu einem "Völkermord" kommt. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas dauert seit mehr als drei Monaten an - ausgelöst durch den Terrorangriff der Hamas.

Mit Informationen der AFP

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 28. Januar 2024 um 12:00 Uhr.