Grenze des Gazastreifens zu Ägypten Warum der Philadelphi-Korridor umstritten ist
Der Philadelphi-Korridor zwischen dem Gazastreifen und Ägypten bleibt ein Streitpunkt bei den aktuellen Nahost-Verhandlungen. Was passiert dort und warum ist der Grenzstreifen für Israel so wichtig?
Stacheldraht, hohe Mauern, der Wind fegt über ödes Land. Eigentlich ist der Grenzstreifen zwischen Ägypten und Gaza eine Sicherheitszone - ursprünglich gebaut als Patrouillenstraße für das israelische Militär, rund 14 Kilometer lang und an der schmalsten Stelle gerade einmal etwa 100 Meter breit.
Zahlreiche Häuser wurden dafür abgerissen. Es gibt nur einen Durchgang: Den Grenzübergang Rafah, der Ägypten mit dem Gazastreifen verbindet.
Der Philadelphi-Korridor liegt zwischen dem Gazastreifen und Ägypten.
Tunnel der Hamas unter dem Korridor
"Israel und Ägypten haben 1979 Frieden geschlossen", erklärt Mustafa Kamal as-Sayyed von der Kairo Universität. "Im Friedensvertrag wurde vereinbart, dass die Grenzregion eine entmilitarisierte Zone wird, mit nur leichten Waffen zur Grenzsicherung. Als sich Israel 2005 aus Gaza zurückzog, übernahm Ägypten die Kontrolle des Grenzstreifens zu Gaza."
Als die Hamas 2007 die Macht im Gazastreifen übernahm, rutschte das Gebiet mehr und mehr in eine Schattenwelt ab. Tunnel durchzogen das Areal, die ursprünglich festungsgleiche Sicherheitszone wurde buchstäblich untergraben.
Waffen, Fahrzeuge, Lebensmittel, Bargeld - unzählige Schmuggel-Ladungen sollen durch die Tunnel von Ägypten Richtung Gazastreifen gegangen sein.
Der Name ist ein von Israel gewähltes Codewort ohne weitere Bedeutung - in Ägypten und bei den Palästinensern wird der Grenzstreifen Salaheddin-Korridor genannt. Geschaffen wurde der Korridor während der israelischen Besatzung des Gazastreifens zwischen 1967 und 2005, vor allem um Schmuggel zu verhindern und die Grenze leicht kontrollieren zu können.
Ägypten ließ Tunnel teilweise zerstören
Nach Amtsantritt des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al Sisi vor gut zehn Jahren ließ dieser viele Tunnel zerstören. Auch weil er angesichts seines harten Vorgehens gegen die ägyptische Muslimbruderschaft die Bedrohung aus der Gegenrichtung fürchtete. Islamistische Extremisten waren aus dem Gazastreifen auf die Sinai-Halbinsel gekommen, hatten dort Anschläge gegen Militärposten verübt und hatten sich dann durch die Tunnel wieder zurückgezogen.
"Es hat mehrere Angriffe von Terroristen auf dem Sinai gegeben, sodass Ägypten versucht hat, den Zugang von Gaza Richtung Ägypten zu unterbinden", erklärt Kamal as-Sayyed. Zahlreiche Tunnel seien geflutet worden.
Ägyptens Präsident al Sisi ging gegen Schmuggel durch den Korridor vor.
Medienwirksam zerstörten die Ägypter bis Juli 2014 angeblich mehr als 1.600 Tunnel. Doch das Schmuggel-Geschäft wurde nicht gestoppt, erklärt Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Ägypten hat seit dem israelischen Rückzug 2005 die faktische Kontrolle über den Philadelphi-Korridor", sagt Roll. "Die Bedingung damals war allerdings, dass Ägypten effektiv den Schmuggel in den Gazastreifen verhindert bzw. bekämpft. Und jetzt steht der Vorwurf im Raum, dass Ägypten hier versagt hat."
Israel wirft Ägypten Versagen vor
Der Vorwurf der Israelis: Das Versagen der ägyptischen Grenzschützer könnte Mitschuld sein am Erstarken der Hamas - und damit letztlich am Terrorangriff vom 7. Oktober.
Es wird angenommen, dass über den Philadelphi-Korridor erheblich Baumaterial und Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt wurden. Zwei Vorwürfe stehen im Raum. Erstens: Dass die Hamas über Tunnel den Schmuggel fortsetzen und sogar ausbauen konnte. Zweitens: Dass auch über den oberirdischen Grenzverkehr am Grenzübergang Rafah militärische Güter in den Gazastreifen gelangen konnten.
"Dort wurden vor dem 7. Oktober weit über 30 Prozent der Importe nach Gaza abgewickelt. Und es besteht hier der Verdacht, dass ägyptische Sicherheitskräfte Schmuggler-Netzwerke deckten und vom Handel vielleicht sogar selbst profitiert haben", sagt Stephan Roll.
Im Mai 2024 erobert Israel das Gebiet
Aus diesem Grund feierte die israelische Armee im Mai die vollständige Einnahme des Philadelphi-Korridors und die Kontrolle über den Grenzposten Rafah als militärischen Erfolg. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu will eine Kontrolle über die Südgrenze auch in Zukunft behalten. Ägypten reagiert empört - die ägyptisch-israelischen Beziehungen werden derzeit auf eine harte Probe gestellt.
Ägypten kritisiert Eingriff in Souveränität
"Eine Besatzung des Philadelphi-Korridors wird auf ägyptischer Seite als Eingriff in die eigene Souveränität gesehen", sagt Forscher Roll. "Einige ägyptische Kommentatoren und Politiker sehen hier sogar einen Bruch des Friedensvertrags zwischen Israel und Ägypten."
Die Passage ist auch zum Hauptstreitpunkt der aktuellen Gaza-Gespräche geworden. Israel will eine Präsenz auch nach Ende der Kämpfe in Gaza behalten, die Hamas lehnt das ab.
Großes Thema bei Friedensverhandlungen
Ägypten - eigentlich Vermittler im Konflikt - ist an dieser Stelle klar parteiisch. Verschiedene Kompromissvorschläge sind auf dem Tisch - Medienberichten zufolge hatten Israels Verhandlungsführer vorgeschlagen, in dem Korridor acht Beobachtungstürme zur Kontrolle errichten zu lassen.
Die USA hätten einen Gegenvorschlag von zwei Türmen eingebracht. Ägypten lehne jedoch beide Vorschläge mit der Begründung ab, dass solche Türme Israels Militär dauerhaften Zugang zu dem Gebiet verschaffen würden.
Auch die Überlegung, dass eine andere Partei die Grenzsicherung übernehmen könnte, steht im Raum. Im Gespräch sind eine multinationale Truppe, die USA selbst, eine EU-Mission oder ein anderes arabisches Land.