Islam und Katholizismus in Indonesien Franziskus auf der Suche nach Gemeinsamkeiten
Papst Franziskus ist in Indonesien eingetroffen - dem Staat, in dem die weltweit meisten Musliminnen und Muslime leben. Der Islam galt dort lange als tolerant. Doch konservative und radikal-islamische Stimmen gewinnen an Einfluss.
Im Rollstuhl wird Papst Franziskus über das Rollfeld geschoben. Nach einem rund 13-stündigen Flug aus Rom ist er in Indonesien gelandet. Es ist der erste Stopp seiner Asienreise - die längste und weiteste Reise seiner bisherigen Amtszeit. Insgesamt wird der Papst in zwölf Tagen vier Länder bereisen und mehr als 30.000 Flugkilometer zurücklegen. Von Indonesien aus geht es für den 87-Jährigen weiter nach Papua-Neuguinea, Timor-Leste und Singapur.
Bei seinem ersten Halt in Indonesien wird sein Fokus auf der Beziehung der katholischen Kirche zum Islam liegen. Indonesien ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Etwa 87 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, also mehr als 240 Millionen Menschen. Katholiken sind, mit etwa drei Prozent, in der Minderheit.
Der Islam in Indonesien galt lange als gemäßigt und tolerant. In den vergangenen Jahren haben jedoch konservative und radikal-islamische Stimmen an Einfluss gewonnen. Schülerinnen stehen zunehmend unter Druck, den Hijab zu tragen.
"Es gibt wenig Toleranz"
Die 10-jährige Aurora Gendhis ist die Einzige an ihrer Schule, die kein Kopftuch trägt. Lehrer fordern sie manchmal auf, sich vor die Klasse zu stellen. "Sie fragen mich dann aus. Bist du Christin? Hindu? Was ist deine Religion? Warum trägst du keinen Hijab?" Schulkameradinnen machen sich über sie lächerlich oder meiden sie, weil sie kein Kopftuch trägt.
Einen Tag sei sie mit kurzen Ärmeln zur Schule gekommen. Ihre Klassenkameraden an einer staatlichen Schule in Kebumen, im Zentrum der Hauptinsel Java, hätten sich direkt über sie lustig gemacht. Ihre Mutter Anggun Purnawati nimmt ihre Tochter in den Arm. Sie trägt ebenfalls kein Kopftuch - sondern offene Haare, einen schwarz-weiß gemusterten Rock bis zu den Knien und ein rotes T-Shirt.
Die Familie folgt einem lokalen javanischem Glauben. Die Großmutter war Katholikin. Bis vor drei Jahren habe Anggun trotzdem einen Hijab getragen, einfach, um nicht aufzufallen. Aber das sieht die Mutter zweier Kinder inzwischen nicht mehr ein.
Der Preis: Ausgrenzung von Nachbarn und Arbeitskollegen. Sie sei hübscher mit Kopftuch, sie komme in die Hölle, so nur einige der Anfeindungen. "Es gibt wenig Toleranz. Manchmal, wenn ich sie reden höre, schmerzt es mich noch. Aber ich sage mir: Das ist nur vorübergehend. Ich lasse es an mir vorbeiziehen. Es ist okay."
Anggun Purnawati (links) trägt keinen Hijab mehr.
Offiziell sechs Religionen anerkannt
In Indonesien gilt Religionsfreiheit. Das ist festgehalten in der Staatsideologie Pancasila, für dessen Stärkung sich Ibu Rima Agristina einsetzt. "Die Pancasila beruht auf fünf Grundsätzen. Und der erste ist unser Glaube an den einen und einzigen Gott. Alle Menschen in Indonesien können dabei frei ihre Religion oder ihren Glauben wählen." Das Land erkennt offiziell sechs Religionen an: den Islam, Buddhismus, Konfuzianismus, Hinduismus, Protestantismus und Katholizismus.
Ibu Rima Agristina, die stellvertretende Vorsitzende der staatlichen Agentur für die Entwicklung der Pancasila-Ideologie, betont daher: "An den staatlichen Schulen darf es keine Pflicht geben, den Hijab zu tragen. Jeder hat die Freiheit, das selbst zu entscheiden - abhängig von seinem Glauben. Das ist die Politik der Regierung."
Doch vieles wird in dem viertbevölkerungsreichsten Land der Welt auf lokaler Ebene entschieden - in den 38 Provinzen. Das Bildungsministerium hat Kontrolleure in staatliche Schulen quer durchs Land geschickt. Schulleiter gebeten, die strengen Kleidungsregeln zu ändern und keinen Druck auf Kinder auszuüben, die kein Kopftuch tragen wollen. Mit mäßigem Erfolg. Es gibt weiter mehr als 70 lokale Regelungen, die Mädchen zwingen, ein Kopftuch zu tragen, erklärt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
"Ich will nicht, dass wir rückwärts gehen"
Doch im Land findet sich auch das Gegenteil. Indonesische Frauen, die mit traditionellen Klischees brechen. Für die Alkohol keine Sünde ist, die nicht heiraten, sich selbstbestimmt in den sozialen Medien zeigen, wie die Influencerin Aimee Juliette. "Ich bete fünfmal am Tag. Ich trinke Alkohol. Und ja, ich habe Sex mit meinem Freund. Ich denke, das ist okay."
Ihr Vater war Katholik und sei immer tolerant gewesen. Heute setzt sie sich für ein modernes Frauenbild in Indonesien ein. Doch sie beobachtet die Entwicklung im Land mit Sorge. "Ich will nicht, dass wir rückwärts gehen. Ich weiß nicht, wie wir das ändern, aber ich habe Angst. Der allgemeine Druck geht doch sehr in diese Richtung."
Die Verständigung zwischen den Religionen steht daher im Mittelpunkt der Reise von Papst Franziskus nach Indonesien. In Jakarta wird er die Istiqlal-Moschee besuchen. Die größte Moschee Südostasiens. Gegenüber, in Sichtweite, steht eine katholische Kathedrale.
Tunnel zwischen Gotteshäusern als Symbol
Die direkte Nachbarschaft der beiden Gotteshäuser gilt als Symbol für die friedliche Koexistenz der Religionen. Moschee und Kathedrale sind durch eine Unterführung verbunden, die als "Tunnel der Freundschaft" bekannt ist.
Es wird erwartet, dass der Papst diesen Weg gemeinsam mit dem Großimam der Istiqlal-Moschee, Nasaruddin Umar, beschreiten wird. "Wir werden die Ankunft des Papstes nutzen, um über Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen zu sprechen. Wir brauchen die gleiche Perspektive für ein gemeinsames Leben auf Gottes Erde unter Gottes Himmel."
"Wir sollten andere Religionen mehr respektieren"
Zwei Studentinnen mit Kopftuch machen draußen vor der Moschee Fotos. Cantika Syamsinur freut sich auf den Besuch des Papstes. "Es gibt so viele Religionen in Indonesien, ich hoffe, dass wir uns gegenseitig respektieren können." Die Studentin Zahra Alifia Masdar ergänzt: "Wir könnten uns gegenseitig mehr umarmen, toleranter sein und nicht immer aufeinander losgehen. Wir sollten andere Religionen mehr respektieren."
Das würde sich auch die zehnjährige Aurora aus Java wünschen. Einige Kinder an der Schule seien nett zu ihr, würden sie manchmal sogar beneiden, besonders beim Sport. "Sie sagen, du hast es so gut. Du musst keinen Hijab tragen. Du musst nicht so schwitzen." Die vierköpfige Familie übe sich in Toleranz gegenüber ihren Nachbarn und Kollegen - wobei sie eigentlich, als Minderheit, Toleranz von der muslimischen Mehrheit erwarten würde.