Nach Tod von weiteren Geiseln Netanyahu bittet Angehörige um Vergebung
Israels Premier Netanyahu hat sich bei den Angehörigen der zuletzt getöteten Geiseln entschuldigt. Es sei nicht gelungen, diese zu retten. Zudem kündigte er Vergeltung an. Doch der Druck für ein Geisel-Abkommen wächst.
Israels Premier Benjamin Netanyahu hat erschüttert auf den Fund von sechs durch die militant-islamistischen Hamas getöteten Geiseln reagiert. "Ich bitte Sie um Vergebung, sie nicht lebend zurückgebracht zu haben", sagte er bei einer Pressekonferenz. "Wir waren nah dran, aber es ist uns nicht gelungen." Der Premier drohte zugleich mit Vergeltung: "Die Hamas wird einen hohen Preis dafür zahlen."
Vor Netanyahu hatte bereits der israelische Präsident Isaac Herzog um Entschuldigung gebeten. "Ich entschuldige mich im Namen des Staates Israel dafür, dass wir es versäumt haben, sie vor der schrecklichen Katastrophe vom 7. Oktober zu schützen. Dass wir es versäumt haben, sie sicher nach Hause zu bringen", sagte Herzog auf der Beerdigung des US-Israelis Hersh Goldberg-Polin in Jerusalem vor Tausenden Trauernden.
Die israelische Armee hatte am Sonntagmorgen bekannt gegeben, dass sie Leichen von sechs Geiseln in einem unterirdischen Tunnel im Süden des Gazastreifens entdeckt hatte. Das israelische Gesundheitsministerium teilte nach Medienberichten mit, die Geiseln seien etwa 48 bis 72 Stunden vor der Autopsie aus nächster Nähe erschossen worden.
Tausende Demonstranten - Streik vorzeitig beendet
Bereits am Sonntagabend folgten Großdemonstrationen für eine Vereinbarung zur Freilassung der übrigen Geiseln. Heute kam es zu weiteren Demonstrationen in mehreren Teilen Israels. Auch in der Nähe des Wohnhauses von Netanyahu gab es Proteste mit mehreren Hundert Teilnehmern. "Eure Entscheidungen führen zu ihrem Tod", zitierten israelische Medien aus der Rede eines Mannes, dessen Bruder noch immer im Gazastreifen festgehalten wird.
Zur Unterstützung eines Abkommens beteiligten sich zahlreiche Menschen an einem Generalstreik - der allerdings auf Antrag des rechten Ministers Bezalel Smotrich per Gerichtsanordnung vorzeitig beendet wurde. Dennoch gab es Verspätungen im öffentlichen Nahverkehr, am Flughafen Ben Gurion fielen Verbindungen aus. Banken und einige Einkaufszentren blieben geschlossen, zu größeren Störungen kam es allerdings nicht.
Biden kritisiert Bemühungen von Netanyahu
Auch international wächst der Druck auf Israel weiter, ein Abkommen abzuschließen. US-Präsident Joe Biden sagte in Washington, man sei einer finalen Vereinbarung zur Freilassung der restlichen Geiseln aus der Hand der Hamas "sehr nah". Auf die Frage, was ihn nach den vielen erfolglosen Anläufen für einen Deal zu dieser Einschätzung bringe, sagte er, die Hoffnung sterbe zuletzt. Zugleich kritisierte er die Rolle Netanyahus in den Verhandlungen. Auf die Frage, ob dieser genug tue, um einen Geisel-Abkommen zu erreichen, entgegnete Biden: "Nein."
Angehörige der Geiseln würdigten in einer Stellungnahme Bidens Bemühungen um ein Abkommen und forderten von Netanyahu ähnliche Entschlossenheit. "Die Menschen in Israel werden nicht zulassen, dass die fast elf Monate andauernde Vernachlässigung der Geiseln andauert", hieß es darin. "Jeder Tag könnte ihr letzter sein, wie die Tötung der sechs Geiseln in den vergangenen Tagen gezeigt hat."
Netanyahu lehnt Rückzug aus Philadelphi-Korridor ab
Seit Monaten laufen indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Terrormiliz Hamas, bei denen neben den USA auch Katar und Ägypten als Vermittler auftreten, um eine Waffenruhe und eine Freilassung der Geiseln zu erreichen. Die Gespräche kommen jedoch nicht voran. Nach Informationen der "Washington Post" wollen die Vermittler den Konfliktparteien demnächst ein letztes Mal einen Vorschlag für ein Abkommen vorlegen. Sollten beide Seiten auch diesen wieder nicht akzeptieren, könnte es das Ende der Verhandlungen bedeuten, wurde ein ranghoher Beamter der Biden-Regierung zitiert.
Bei den Verhandlungen will Netanyahu aber offenbar nicht nachgeben. Israel müsse über das Gebiet an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten die Kontrolle behalten, sagte er. Dadurch werde sichergestellt, dass die verbliebenen Geiseln "nicht aus dem Gazastreifen herausgeschmuggelt werden". Israels Rückzug aus dem sogenannten Philadelphi-Korridor gehört zu den zentralen Streitpunkten bei den Gesprächen.