Die Eltern des tot geborgenen Hersh Goldberg-Polin, bei einer Kundgebung zur Freilassung der Geiseln.

Krieg in Nahost Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen gefunden

Stand: 01.09.2024 09:40 Uhr

Knapp elf Monate nach dem Großangriff der Terrororganisation Hamas auf Israel hat das israelische Militär eigenen Angaben zufolge die Leichen von sechs weiteren Geiseln im Gazastreifen gefunden. Sie seien erst vor Kurzem ermordet worden.

Die israelische Armee hat die Leichen von sechs Geiseln im Gazastreifen geborgen. Das gab das Militär am frühen Morgen bekannt. "Nach unserer ersten Einschätzung wurden sie von Hamas-Terroristen brutal ermordet, kurz bevor wir sie erreichten", sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari.

US-Präsident Biden bestätigte den Fund. Sein Team sei mit Israel in Kontakt. Die israelischen Streitkräfte hätten die Leichen in einem Tunnel unter der Stadt Rafah geborgen, erklärte Biden.

US-israelischer Doppelstaatler unter den Toten

Unter ihnen sei der US-israelische Doppelstaatler Hersh Goldberg-Polin. Seine Eltern hatten kürzlich auf dem Demokraten-Parteitag in Chicago an das Schicksal ihres Sohns erinnert. "Unter den Geiseln sind acht amerikanische Staatsbürger und einer von ihnen ist unser einziger Sohn", sagte Rachel Goldberg in ihrer Rede, die mehrere Delegierte zu Tränen rührte.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Am Donnerstag versammelte sich das Paar mit anderen Geisel-Angehörigen an der Grenze zum Gazastreifen. Die Angehörigen versuchten, die Geiseln im Gazastreifen mit lauten Lautsprecher-Durchsagen direkt zu erreichen. "Hersh, hier ist Mama", wandte sich Goldberg-Polins Mutter an ihren Sohn. "Ich bete zu Gott, dass er dich zurückbringt. Jetzt sofort. Ich liebe dich, bleib stark."

Hamas-Video zeigt Goldberg-Polin

Im April hatte die Hamas ein Video von Goldberg-Polin veröffentlicht. Darin beschuldigte er den israelischen Regierungschef Benjamin Netanyahu, die Geiseln in der Gewalt der Hamas "im Stich gelassen" zu haben. Goldberg-Polin war israelischen Medien zufolge am 7. Oktober 2023 bei dem Hamas-Großangriff auf das Nova-Musikfestival in Südisrael schwer verletzt und anschließend in den Gazastreifen entführt worden.

In der Aufnahme ist er mit einem roten Hemd bekleidet und auf einem Plastikstuhl sitzend zu sehen, sein linker Arm ist amputiert. "Ich wollte mit meinen Freunden abhängen und fand mich stattdessen mit schweren Verletzungen am ganzen Körper um mein Leben kämpfend wieder", sagte er.

Noch 100 Geiseln in Gefangenschaft

Insgesamt sind bei dem Angriff 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Rund 100 Geiseln sind noch immer in Gefangenschaft - Dutzende von ihnen sind nach Angaben des israelischen Militärs tot. Zudem wurden nach israelischen Angaben bei dem Angriff 1.199 Menschen getötet. Als Reaktion auf den Großangriff geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach Angaben der Hamas wurden seitdem mehr als 40.600 Menschen getötet.

Im Laufe einer einwöchigen Waffenruhe Ende November hatte die Hamas 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug entließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen. Vereinzelt konnten Geiseln von der israelischen Armee befreit werden - unter hohem Blutzoll für die palästinensische Zivilbevölkerung bei diesen Militäreinsätzen, für die Israel international in der Kritik steht. Wie viele der im Gazastreifen verbliebenen Geiseln noch am Leben sind, ist nicht bekannt.

Verhandlungen über Geisel-Freilassung stocken

Ob es zu einer weiteren Vereinbarung über eine Waffenruhe und Freilassung von Geiseln kommen kann, ist offen. Seit geraumer Zeit führen die USA, Ägypten und Katar in Kairo Vermittlungsgespräche über ein Abkommen, das eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung von Geiseln vorsieht.

Einem Bericht der israelischen Zeitung Haaretz zufolge hätten drei der sechs nun tot gefundenen Geiseln in der ersten Phase eines möglichen Abkommens freigelassen werden sollen. "Sie standen auf den Listen, die Anfang Juli übergeben wurden. Es war möglich, sie lebend zurückzubringen", sagte demnach eine israelische Quelle, die Haaretz nicht näher benannte.

Die Gespräche sind allerdings seit Monaten festgefahren. Israel und die Hamas verweigern direkte Verhandlungen mit der Gegenseite. Hauptstreitpunkt ist derzeit die Frage, wie lange israelische Truppen am Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten stationiert bleiben dürfen. Israels Sicherheitskabinett beschloss kürzlich, an der Kontrolle des Korridors festzuhalten. 

Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, tagesschau, 01.09.2024 07:20 Uhr