Tod israelischer Geiseln Mit der Trauer kommt die Wut
Israel hat sechs weitere Geiseln aus Gaza nur noch tot bergen können - offenbar waren sie kurz zuvor noch am Leben. Der Druck auf Premier Netanyahu steigt, sich auf einen Deal einzulassen.
Bis zuletzt hatte es Hoffnung gegeben, dass die sechs noch leben. In der vergangenen Woche waren sogar Angehörige an den Zaun, der den Gazastreifen von Israel trennt, gekommen - dort schrie Rachel Goldberg-Polin den Namen ihres Sohnes Hersh nach drüben. "Hier ist Mama", sagte sie, "ich liebe Dich, bleib stark, überlebe!"
Hersh Goldberg ist tot, wie drei weitere Männer und zwei Frauen zwischen 23 und 40 Jahren. Fünf von ihnen hatten das Nova-Musikfestival besucht, das Terroristen aus dem Gazastreifen am 7. Oktober überfallen hatten. Eine Frau stammte aus dem Kibbutz Be’eri, wo viele Menschen getötet und verschleppt worden waren.
"Sie wurden lebend verschleppt"
Diese sechs Geiseln waren bis vor Kurzem am Leben, sagt das israelische Militär. Sprecher Daniel Hagari: "Sie wurden am Morgen des 7. Oktober lebend von der Terrororganisation Hamas verschleppt. Ihre Leichen wurden nun bei Kämpfen in Rafah in einem Tunnel gefunden. Etwa einen Kilometer von der Stelle entfernt, wo wir vor ein paar Tagen Farhan Alkadi gerettet haben. Danach hatten die Truppen die Anweisung, äußerst vorsichtig vorzugehen, noch mehr als sonst, denn wir wussten, es könnten noch weitere Geiseln in der Gegend sein."
Israelischen Angaben zufolge sollen die Geiseln kurz vor dem Fund von Hamas Terroristen getötet worden sein. Immer wieder waren Geiseln in Gaza aber auch infolge der israelischen Angriffe getötet worden. Drei Geiseln hatten IDF-Soldaten im letzten Jahr versehentlich erschossen.
Insgesamt acht Geiseln konnte Israel bislang militärisch befreien, bis jetzt wurden 37 Leichen in Gaza geborgen. Im November und Dezember waren insgesamt 105 Geiseln im Rahmen eines Deals freigekommen.
Kritik kommt auch aus der Regierung
Mit der Trauer steigt deshalb auch der Druck auf Israels Premier Benjamin Netanyahu, sich auf einen neuen Deal einzulassen.
Netanyahu selbst gab die Schuld in einem Statement heute der Hamas: "Bürger Israels, unsere Anstrengungen, unsere Geiseln zu befreien, halten die ganze Zeit an." Seit Dezember weigere sich die Hamas, echte Verhandlungen zu führen, sagte er. "In diesen Tagen, in denen Israel intensive Verhandlungen mit den Vermittlern führt, lehnte die Hamas weiterhin vehement jeden Vorschlag ab. Und damit nicht genug, sie tötete genau in dieser Zeit sechs unserer Geiseln. Wer Geiseln tötet, ist nicht an einem Abkommen interessiert."
Doch die Kritik an Netanyahu, einen Deal mit immer neuen Forderungen zu blockieren, kommt inzwischen auch aus seiner Regierung: Verteidigungsminister Joav Galant schrieb auf X, der Beschluss des Kabinetts, Israels Armee solle auch während einer Feuerpause im Philadelphi-Korridor, an der Grenze des Gazastreifens zu Ägypten, bleiben, müsse revidiert werden. Diese Frage gilt als das größte Hindernis bei den Verhandlungen.
Geisel-Familien wollen Druck erhöhen
Die Angehörigen der Geiseln wollen jetzt den Druck erhöhen. Gil Dickman, die Cousine der tot geborgenen Carmel Gat, sagte im Armee Radio: "Das Schmerzhafteste ist für mich, dass ihr Tod völlig überflüssig war. Und wenn wir nicht sofort einen Deal unterzeichnen, wird es noch viele weitere überflüssige Tote geben."
"Israel hätte den Deal unterzeichnen können, und dann wären nicht nur Carmel sondern auch Hersh und Eden freigekommen und noch viele andere, die sich noch immer in Geiselhaft befinden. Aber der Premierminister stellte immer weitere Bedingungen, weitere Hürden, und das führte zu ihrem Tod in der Gefangenschaft."
Polio-Impfkampagne hat begonnen
Im Gazastreifen beginnt derweil die Impfkampagnie, die eine Polio-Epidemie verhindern soll. Nach Funden von Erregern und einem ersten Fall von Kinderlähmung sollen nun insgesamt 640.000 Kinder bis zehn Jahre geimpft werden. Dafür sollen fast 400 Impfstationen eingerichtet werden, sagte Majdi Dhair, Vertreter des palästinensischen Gesundheitsministeriums in Khan Younis.
Die Kampagne beginnt mit den Kindern im mittleren Gazastreifen, vom 1. bis 4. September. Dann, vom 5. bis 8., geht es weiter im Süden, auch in Chan Yunis und Rafah - und schließlich im Norden, vom 9. bis 12. September. Die Teams werden fast alle in Gesundheitseinrichtungen sein.
Für die groß angelegte Impfkampagne sollen die Waffen in den betreffenden Gebieten schweigen. Das Büro von Benjamin Netanyahu hatte aber gestern noch einmal klargestellt: Es handele sich keinesfalls um eine allgemeine Waffenruhe.