Palästinenser inspizieren zerstörte Zelte und Unterkünfte nach einem israelischen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager in Rafah.

Nach Brand in Zeltlager UN-Resolutionsentwurf für Ende der Offensive

Stand: 29.05.2024 09:13 Uhr

Der israelische Luftangriff in Rafah hat weltweit Entsetzen ausgelöst - und erneut den Weltsicherheitsrat auf den Plan gerufen. Algerien fordert in einem Resolutionsentwurf den sofortigen Stopp der Offensive. Die Abstimmung könnte noch heute erfolgen.

Nach dem verheerenden Luftangriff mit etlichen Todesopfern in einem Lager für Binnenflüchtlinge in Rafah verlangt ein neuer Resolutionsentwurf im Weltsicherheitsrat ein sofortiges Ende der israelischen Militäroffensive.

Außerdem müsse es eine sofortige und von allen Seiten respektierte Waffenruhe im Gazastreifen geben, heißt es in der von Algerien erstellten Beschlussvorlage, die den Nachrichtenagenturen Reuters und dpa vorliegt. Die islamistische Hamas wird zudem zur Freilassung aller Geiseln aufgefordert.

Die UN-Botschafterin Amar Bendjama erklärte, dass der Text "kurz und entschieden" formuliert sei. Er soll im Laufe des Tages dem Sicherheitsrat vorgelegt werden. Algerien ist der arabische Vertreter im Sicherheitsrat und hatte die Sitzung noch am Sonntagabend nach dem Luftangriff einberufen.

US-Botschafterin zurückhaltend

Mehrere Diplomaten wollen sich nach dpa-Informationen für eine zügige Abstimmung bereits heute einsetzen. Chinas UN-Botschafter Fu Cong sagte Reportern: "Wir hoffen, dass dies so schnell wie möglich geschehen kann, weil Leben auf dem Spiel stehen."

US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield sagte, sie warte auf den Text und werde dann reagieren. Die USA haben mehrere Resolutionen, die einen Waffenstillstand in Gaza fordern, mit ihrem Veto gestoppt.

Gesundheitsministerium meldet 45 Tote und 249 Verletzte

In Rafah waren nach dem israelischen Angriff am Sonntag in einem Lager für Binnengeflüchtete zahlreiche Zelte in Brand geraten. Nach Angaben des von der militant-islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums wurden mindestens 45 Menschen getötet. Die meisten der Toten waren demnach Frauen und Minderjährige. Die Zahl der Verletzten liege bei 249.

Dem von der Hamas kontrollierten Zivilschutz zufolge wurden mindestens vier Granaten auf das betroffene Gebiet gefeuert. Der Palästinensische Rote Halbmond erklärte, das getroffene Gebiet sei eine der ausgewiesenen humanitären Zonen für jene Menschen, die wegen der israelischen Kampfhandlungen zur Evakuierung gezwungen gewesen seien. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben derzeit nicht.

Israels Militärsprecher nennt Explosion als mögliche Ursache

Die israelische Armee erklärte hingegen, "einen Hamas-Komplex in Rafah getroffen" zu haben, in dem "wichtige Hamas-Terroristen tätig waren". Bei dem Angriff seien zwei ranghohe Hamas-Vertreter getötet worden, die im besetzten Westjordanland an der Planung von Anschlägen beteiligt gewesen seien.

Der Angriff sei "mehr als einen Kilometer von der humanitären, sicheren Zone entfernt" erfolgt, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari. Die Armee habe das Gebiet vor dem Angriff gefilmt, um sicherzustellen, dass keine Zivilisten in der Nähe seien. Es sei dann die Hamas-Anlage angegriffen worden.

Hagari sagte, die Luftwaffe habe bei dem Angriff zwei kleine, jeweils 17 Kilogramm schwere Geschosse eingesetzt. "Unsere Geschosse allein können kein Feuer dieser Größe ausgelöst haben"", sagte er. Man gehe derzeit von einer sekundären Explosion aus. Die Armee untersuche auch, ob Waffen in der Nähe des Angriffsorts gelagert und dabei in Brand geraten seien. Auch die israelischen Angaben sind derzeit nicht zu überprüfen.

Israelische Truppen im Stadtzentrum von Rafah

Nach Augenzeugenberichten ist die israelische Armee inzwischen ins Stadtzentrum vorgedrungen. Panzer seien in der Nähe der Al-Awda-Moschee vorbeigefahren, einem zentralen Wahrzeichen von Rafah, schilderten Palästinenser in der Stadt dem Wall Street Journal.

Vonseiten der israelischen Armee gibt es bislang keine Bestätigung dieser Berichte. Laut dem Armeerundfunk habe das Militär den fünf in der Stadt kämpfenden Brigaden eine weitere hinzugefügt, berichtete die US-Zeitung. Nach Aussagen eines Militärsprechers sind Israels Truppen auch in Nahkämpfe mit der Hamas verwickelt.

Kirby: Halten eine groß angelegte Bodenoffensive für falsch

Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, sagte bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus, die US-Regierung halte eine groß angelegte Bodenoffensive in Rafah weiterhin für falsch. Davon könne beim Vorgehen des israelischen Militärs in der Stadt zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die Rede sein, man beobachte die Entwicklungen aber sehr genau.

Kirby war danach gefragt worden, ob Israel bei dem tödlichen Luftangriff am Wochenende eine von US-Präsident Joe Biden angesprochene "rote Linie" überschritten habe. Biden habe deutlich gemacht, dass er - sollte es dazu kommen - in Bezug auf die Unterstützung Israels möglicherweise anders entscheiden müsse, sagte Kirby. Der Angriff sei jedoch gerade erst passiert. Die Israelis untersuchten den Vorfall. Man verfolge, was sie dabei herausfinden. "Und dann werden wir sehen, wie es weitergeht."

Hilfslieferungen über Anlegestelle eingestellt

Der Druck auf Israel steigt angesichts der prekären Lage in Rafah. Die USA haben Hilfslieferungen über die vom US-Militär errichtete provisorische Anlegestelle vorübergehend eingestellt. Der an der Küste verankerte Pier sei bei rauem Seegang schwer beschädigt worden, sagte die stellvertretende Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh. Die Anlage werde in den kommenden 48 Stunden aus ihrer Verankerung gelöst und nach Aschdod geschleppt, wo das US-Militär Reparaturen vornehmen werde. Die israelische Stadt liegt gut 30 Kilometer von Gaza entfernt.

Humanitäre Hilfe sei kaum noch möglich, warnen Hilfsorganisationen. Das Rote Kreuz und der Rote Halbmond forderten zum wiederholten Male eine Waffenruhe. Zudem sei ein ungehinderter Zugang für humanitäre Hilfen nötig. "Wir brauchen dringend eine politische Lösung, die uns eine Feuerpause ermöglicht, damit wir Hilfe bekommen können", sagte IFRC-Präsidentin Kate Forbes.

Julio Segador, ARD Tel Aviv, tagesschau, 28.05.2024 17:14 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 29. Mai 2024 um 09:00 Uhr.