Krieg im Gazastreifen UN setzen Lebensmittelverteilung in Rafah aus
Seit Monaten sind in Gaza die Lebensmittel knapp. Nun teilten die Vereinten Nationen mit, ihre Lieferungen nach Rafah vorerst einzustellen. Es fehle an Nachschub, zudem könnten die Hilfstruppen nicht sicher arbeiten.
Die Vereinten Nationen haben ihre Lebensmittelverteilung in Rafah wegen Versorgungsengpässen und Unsicherheiten gestoppt. Die Vorräte in der Stadt im Süden des Gazastreifens seien zur Neige gegangen, hieß es. Auch seien seit zwei Tagen keine Hilfsgütertransporter mehr über einen von den USA eingerichteten Behelfshafen mehr angekommen. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) warnte, das 320 Millionen Dollar teure Behelfshafenprojekt könne scheitern, wenn Israel keine Bedingungen schaffe, unter denen Hilfsgruppen sicher arbeiten können.
Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) kündigte im Kurznachrichtendienst X an, die Verteilung von Lebensmitteln in Rafah auszusetzen. Als Begründung nannte die UN-Einrichtung Lieferengpässe und die Sicherheitslage.
Auch WFP stellt Lebensmittelverteilung in Rafah ein
WFP-Sprecherin Abeer Etefa teilte mit, auch ihre Organisation habe die Verteilung in Rafah eingestellt, nachdem deren Vorräte aufgebraucht waren. Das WFP setze eine "begrenzte Verteilung" von reduzierten Lebensmittelpaketen im zentralen Gazastreifen fort, aber "die Vorräte an Lebensmittelpaketen werden in den nächsten Tagen aufgebraucht sein".
Etefa sagte, die humanitären Maßnahmen im Gazastreifen stünden kurz vor dem Zusammenbruch. Wenn die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern im Gazastreifen nicht "in großen Mengen wieder aufgenommen wird, werden sich hungersnotähnliche Zustände ausbreiten".
Offiziell wird eine Hungersnot von den Vereinten Nationen nach bestimmten Kriterien definiert. Grundlage hierfür ist die Einschätzung einer internationalen Arbeitsgruppe nach den sogenannten "IPC-Phasen", die hierfür umfangreiche Daten erhebt. IPC steht für "Integrated Food Security Phase Classification". Auf dieser Skala für Ernährungssicherheit werden fünf Stufen unterschieden, die von Phase eins "Minimal" über "Strapaziert" (englisch: stressed), "Krise" (crisis), "Notsituation" (emergency) bis hin zu Phase fünf "Hungersnot" (famine) reichen.
Die fünfte Stufe ist erreicht, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Mindestens 20 Prozent der Bevölkerung haben Zugang zu weniger als 2.100 Kilokalorien an Nahrungsmitteln pro Tag
- akute Unterernährung bei mehr als 30 Prozent der Kinder
- täglich zwei Todesfälle pro 10.000 Menschen oder vier Todesfälle bei Kindern pro 10.000
Probleme mit Lieferung über provisorischen Hafen
UN-Sprecher Stéphane Dujarric zufolge verließen am Samstag 16 Lastwagen den von den USA errichteten Pier vor der Küste des Gazastreifens. "Aber elf dieser Lastwagen schafften es nie bis zum Lagerhaus. An verschiedenen Stellen auf dem Weg hatten Menschenmassen die Lastwagen angehalten", so Dujarric. Diese Lastwagen seien durch Gebiete gefahren, in denen es keine Hilfe gegeben habe. Daher hätten sich die Menschen genommen, was sie konnten. Seit Samstag seien keine neuen Lastwagen mehr auf dem schwimmenden Pier angekommen.
Laut WFP-Sprecherin Etefa prüft das Welternährungsprogramm nun Logistik und Sicherheitsmaßnahmen und schaut sich nach alternativen Lieferrouten in Gaza um.
USA: Lkw-Lieferungen in Gazastreifen abgefangen
Die US-Regierung wehrte sich gegen Kritik, dass die Verteilung schleppend verlaufe. "Man darf auch nicht vergessen, dass es sich um ein Kampfgebiet und eine komplexe Operation handelt", sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder. Man arbeite etwa daran, alternative Routen für den Transport der Hilfsgüter an Land auszumachen. Ryder betonte, dass das US-Militär an der Verteilung der Lieferungen nicht beteiligt sei. Zudem bestätigte er, dass einige Lastwagen "abgefangen" worden seien.
Das US-Zentralkommando Centcom hatte zuvor mitgeteilt, dass über den provisorischen Hafen bisher 569 Tonnen Hilfsgüter an der Anlegestelle in Gaza angekommen seien. Das entspreche auf Basis früherer Hilfslieferungen in den Küstenstreifen etwa 25 Lastwagenladungen, schrieb die Times of Israel.
Ryder betonte, dass es sich um Hilfsgüter handele, die noch weiterverteilt werden müssten. Auf die Frage, ob davon auch schon Güter an die Menschen im Gazastreifen ausgeliefert worden seien, sagte er: "Mit Stand heute - ich glaube nicht." Die US-Regierung gehe davon aus, dass die Hilfe in den kommenden Tagen verteilt werde, sofern die Bedingungen es zuließen. Der Transport sei am Dienstag wieder aufgenommen worden.
Berichte: Ägypten hält Hilfslieferungen zurück
Doch auch der Transport von Hilfsgütern über Ägypten ist offenbar ins Stocken geraten. Medienberichten zufolge hält Ägypten humanitäre Hilfslieferungen wegen Israels Vorgehen in Rafah zurück. Der dortige Grenzübergang, über den zuvor Hilfe nach Gaza gelangte, ist nach der Übernahme durch Israels Armee geschlossen. Ägypten habe darauf bestanden, dass die Lieferungen erst wieder aufgenommen werden könnten, wenn die palästinensische Seite des Übergangs wieder unter palästinensischer Kontrolle stehe, so die Times of Israel.
Die USA hätten versucht, Kairo davon zu überzeugen, dass die in Ägypten angesammelten Hilfsgüter dann über den israelischen Übergang Kerem Schalom nach Gaza transportiert werden dürfen, schrieb die Zeitung. Doch laut Politico hat Ägypten sämtliche Lieferungen über diese Passierstelle gestoppt. Die Ägypter wollten nach der Übernahme der palästinensischen Seite des Grenzübergangs in Rafah durch die Israelis nicht als deren Komplize erscheinen, indem nun stattdessen die Hilfe über Kerem Schalom laufe, hieß es.
950.000 Menschen sollen Rafah verlassen haben
Kerem Schalom liegt etwa drei Kilometer von Rafah entfernt. Israel will mit seiner Offensive die letzten dort vermuteten Bataillone der terroristischen Hamas zerschlagen. Rafah ist nach mehr als sieben Monaten Krieg die letzte noch halbwegs intakte Stadt im abgeriegelten Gazastreifen. Die USA lehnen eine große israelische Bodenoffensive dort ab. Israels Armee hatte vor zwei Wochen einen Bodeneinsatz im Osten der Stadt begonnen.
Laut der Times of Israel haben nach jüngsten Schätzungen des israelischen Militärs seither etwa 950.000 Menschen das Gebiet verlassen. Derzeit sollen sich demnach noch rund 300.000 bis 400.000 Zivilisten dort aufhalten. Vor dem Beginn des Einmarsches der israelischen Armee hatten mehr als eine Million Binnenflüchtlinge aus anderen Teilen des Gazastreifens in Rafah Schutz gesucht.