Nach Angriff auf Lager bei Rafah Viele Staaten erheben schwere Vorwürfe
Nach dem Luftangriff in der Nähe von Rafah werfen arabische Staaten Israel vor, ein Zeltlager für Geflüchtete getroffen zu haben. Israel spricht hingegen von einem Präzisionsschlag gegen Hamas-Kämpfer. Die Bundesregierung geht von einem Fehler aus.
Mehrere arabische Staaten haben die Bombardierung eines Lagers bei Rafah scharf verurteilt. Das israelische Militär hatte gestern einen Luftangriff in der Nähe von Rafah durchgeführt. Dabei soll laut Angaben des Roten Halbmondes ein Zeltlager von geflüchteten Zivilisten getroffen worden sein.
Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums wurden dabei mindestens 45 Menschen getötet.
Das ägyptische Außenministerium nannte den Angriff eine "absichtliche Bombardierung der Zelte der Geflüchteten" und spricht von einem "neuen und eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht". Jordaniens Außenministerium bezeichnete den jüngsten Angriff als "abscheuliches Kriegsverbrechen der israelischen Besatzungstruppen im Gazastreifen".
Der Vermittlerstaat Katar zeigte sich besorgt, dass der Angriff die Bemühungen um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg behindern könnte. Das Außenministerium in Doha forderte die internationale Gemeinschaft auf, dringend Maßnahmen zu ergreifen, um das "Verbrechen eines Völkermords" zu verhindern. Aus Kuwait kamen ähnlich scharfe Worte. Das dortige Außenministerium verurteilte den Angriff aufs Schärfste.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan äußerte sich. Er versicherte, sein Land werde "alles in seiner Macht stehende" tun, um die israelische Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Er sprach von einem "Massaker".
Israel spricht von Präzisionsschlag
Das israelische Militär bestätigte auf der Plattform X, dass es einen Luftangriff auf ein Gelände der islamistischen Hamas gegeben habe. Neben Jassin Rabia, dem maßgeblichen Kopf hinter den Terroraktivitäten der Islamistenorganisation im Westjordanland, sei auch das ranghohe Hamas-Mitglied Chaled Nagar getötet worden.
Der Luftangriff sei im Einklang mit internationalem Recht erfolgt, erklärte das Militär weiter. Nach Angaben eines israelischen Regierungssprechers zeigen die ersten Ergebnisse einer Untersuchung, dass der Luftangriff ein Feuer ausgelöst habe, das palästinensische Zivilisten getötet hat. Israels oberste Militäranwältin, Generalmajorin Jifat Tomer-Jeruschalmi, sagte zu den Vorwürfen: "Ein Teil der Vorfälle - wie jener gestern in Rafah - sind sehr schwerwiegend."
Vermehrt Vorwürfe gegen Israel
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron reagierte empört auf den israelischen Luftangriff in Rafah. "Diese Operationen müssen aufhören" schrieb er auf X. "Es gibt keine sicheren Zonen für palästinensische Zivilisten in Rafah."
Macron rief zu einer sofortigen Feuerpause und zu einer vollständigen Einhaltung des internationalen Rechts auf. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warf Israel auf X vor, seine Militäraktionen entgegen der Anordnung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) fortzusetzen.
Der IGH hatte Israel am Freitag verpflichtet, den Militäreinsatz in Rafah unverzüglich zu beenden. Entscheidungen des Weltgerichts sind bindend. Allerdings besitzen die UN-Richter keine Machtmittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen.
Die Bundesregierung geht bei dem israelischen Luftangriff auf Rafah von einem Fehler aus. "Auf alle Fälle ist ein Fehler passiert, das kann man jetzt schon sagen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die Bundesregierung will das Ergebnis der israelischen Untersuchungen des Vorfalls abwarten.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock betonte mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten die Bedeutung internationalen Rechts: "Es gab weitere Raketen auf Tel Aviv von der Hamas, und zugleich sehen wir, dass es kein Gewinn für Israels Sicherheit ist - dass keine Geisel freikommt - wenn jetzt Menschen in Zelten verbrennen", sagte Baerbock.
"Das internationale Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht, das gilt für alle", sagte Baerbock weiter. Auch Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs seien bindend und müssten natürlich befolgt werden, so Baerbock. Man erlebe aber gerade das Gegenteil.
Interne Untersuchungen in 70 Fällen
Losgelöst von den jüngsten Vorwürfen hat Israel nach Angaben der obersten Militäranwältin seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast acht Monaten in 70 Fällen Ermittlungsverfahren gegen israelische Soldaten eingeleitet. Dabei gehe es um mutmaßliche Vergehen wie Plünderungen, Gewalt sowie den Tod von Gefangenen aus Gaza, sagte Generalmajor Tomer-Jeruschalmi. Israel kämpfe gegen Feinde, denen das Kriegsrecht egal sei, sagte die Anwältin.
Sie wies den Vorwurf der Aushungerung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen ebenso zurück wie den der gezielten Tötung von Zivilisten. "Im Krieg passieren auch Vorfälle, die den Verdacht des Verstoßes gegen das Kriegsrecht und gegen militärische Befehle wecken", sagte Tomer-Jeruschalmi. Dies seien jedoch Ausnahmen. Es handele sich um die Taten Einzelner, die den Werten der israelischen Armee entgegengesetzt seien. Sie fügten aber dem internationalen Ansehen des Staates Israel und seiner Armee schwerwiegenden strategischen Schaden zu.
Deutschland stockt Hilfe auf
Deutschland stockt unterdessen seine humanitäre Hilfe für den Gazastreifen um rund 39 Millionen Euro auf. Wie die Nachrichtenagentur dpa aus Delegationskreisen erfuhr, soll das Geld insbesondere der Gesundheitsnothilfe in Gaza und der Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen wie etwa Cholera dienen.