Israels Grenzgebiet zum Libanon "Regierung verliert den Norden"
Die Lage an der israelischen Grenze zum Libanon ist angespannt, wie seit Wochen nicht mehr. Für die Israelis, die dort ihre Häuser verlassen mussten, ist vor allem die Perspektivlosigkeit schwer zu ertragen.
Die Lage im Norden Israels verschärft sich wieder. In den vergangenen Tagen wurde aus dem Libanon verstärkt auf Israel gefeuert: Am Morgen erst erklärte die Hamas, 40 Grad-Raketen von dort aus abgefeuert zu haben. Am Montag und Dienstag kamen Dutzende Raketen von der Hisbollah, die den Süden des Libanon kontrolliert.
Und immer noch können oder wollen etwa 70.000 Israelis nicht in ihre Häuser zurück. Lihi Vidra Regev, eine junge Mutter aus Admit, einem Ort rund 500 Meter von der Grenze entfernt, erklärte dem Sender 103 FM:
Als Mutter von drei kleinen Kindern muss ich ehrlich zugeben, dass wir Angst haben zurückzukehren. In einer Situation, in der sich nicht wirklich etwas ändert, werden wir nicht als menschliches Schutzschild an die Nordgrenze zurückkehren.
Die Ungewissheit sei schwierig: "Wir wissen nicht, wo wir unser Kind, das nächstes Jahr in die Schule kommt, anmelden sollen. Wir können mit dieser Ungewissheit nicht unser Leben planen."
"Regierung verliert den Norden"
Neben der ganz konkreten Bedrohung ist es vielleicht das größte Problem: dass es keine Perspektive gibt. So sieht es auch Moshe Davidovich, der Chef einer Regionalverwaltung im Norden. "Was wird die Evakuierten mit Blick auf das Sicherheitsgefühl zufriedenstellen, damit sie zurückkehren? Die Regierung gibt auf diese Fragen keine Antworten. Die Regierung verliert den Norden."
Das habe er auch Premierminister Benjamin Netanyahu vor dem Kriegskabinett gesagt: "Wir befinden uns seit 145 Tagen im Krieg und es gibt immer noch keinen Plan für den Norden."
Immer wieder israelische Gegenschläge
Israels Armee versucht derweil, Stärke zu zeigen. Seit Monaten reagiert sie mit Gegenschlägen auf die Angriffe aus dem Libanon. Auch dort haben viele Menschen ihre Häuser verlassen. Gestern hatte die Armee erklärt, Ziele weit im Landesinneren angegriffen zu haben - in der Gegend um die Stadt Baalbek, etwa 100 Kilometer nördlich der Grenze. Dabei sollen auch gezielt Führungspersonen der Hisbollah getötet worden sein.
Generalstabschef Herzi Halevi schwor zuletzt Soldaten bei einem Truppenbesuch noch einmal auf den Kampf ein: "Unsere Streitkräfte sind hier um den Feind zu identifizieren und zu bekämpfen. Wir warten nicht." Die Hisbollah habe am 7. Oktober entschieden, sich am Krieg zu beteiligen und müsse dafür einen hohen Preis zahlen. "Zuerst müssen wir den Feind zurückdrängen, dann brauchen wir eine sehr starke Grenze und gute Aufklärung."
Sicherheitsexperte rechnet mit Bodenoffensive
Ob es zu einer weiteren Eskalation kommt, hängt auch davon ab, wie die Kämpfe im Gazastreifen weitergehen. Kommt es dort zu einer längeren Feuerpause, dürfte sich auch die Situation an der Nordgrenze entspannen.
Dennoch sagen Sicherheitsexperten wie Shaini Marom, dass der Krieg im Gazastreifen zu Ende geführt werden müsse - auch im Norden. Mit Blick auf den Zeitplan geht Marom davon aus, dass Anfang Mai mit intensiven Kämpfen und der Bodenoffensive in Rafah begonnen werden könnte. "Dort müssen vier Brigaden vernichtet werden, was ca. vier Monate dauern wird - also bis etwa Juli oder August."
An der Nordfront wird es laut dem ehemaligen Marinekommandeur vor August keine intensiven Kämpfe geben. "Den Evakuierten im Norden sage ich daher: Ich gehe davon aus, dass es eine Bodenoffensive geben wird. Aber nicht vor August oder September."
Doch auch die Frage, ob es im Gazastreifen überhaupt zu einer Feuerpause kommt, ist offen. Bis dahin bleibt die Lage äußerst angespannt - auch für die Menschen an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon.