Israels Justizreform gekippt Der Krieg überlagert den Streit über das historische Urteil
Nachdem Israels Oberstes Gericht Eckpfeiler der Justizreform gekippt hat, kritisiert die Regierung von Premier Netanyahu vor allem den Zeitpunkt des Urteils. Lob gibt es von der Opposition.
Explosionen über Chan Yunis. Dunkler Rauch steigt auf im Süden des Gazastreifens. Die israelische Armee setzt ihre Angriffe auf Ziele der Hamas fort. Das Urteil des Obersten Gerichts in Israel hat für den Krieg in Gaza keine unmittelbaren Folgen. Für die Regierung von Premierminister Benjamin Netanyahu ist es eine weitere Niederlage. Der Oberste Gerichtshof behält seine Macht, Personal und Entscheidungen der Regierung als "unangemessen" einstufen zu können.
Netanyahu hat sich noch nicht geäußert
Simcha Rothman wollte das ändern und das Gericht entmachten. Der rechtsnationale Politiker ist Vorsitzender des Justizausschusses im Parlament. Von einer Niederlage will er im Armeeradio aber nichts wissen: "Die Frage ist, ob dieses Urteil ein Scheitern ist oder der Beweis dafür, dass das System reformiert werden muss", sagt er. "Dass die Notwendigkeit noch größer ist als bisher angenommen. Wir werden uns aus einem einfachen Grund jetzt nicht damit beschäftigen: Der Feind steht vor unseren Toren. Wer sich jetzt mit der Frage beschäftigt, hat den Bezug zur Realität verloren."
Netanyahu hat sich noch nicht persönlich zu dem Urteil geäußert. Er steht aktuell wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht und ist auf die Justiz generell nicht gut zu sprechen. Seine rechtskonservative Likud-Partei kritisierte die Entscheidung. Sie widerspricht aus ihrer Sicht dem Willen des Volkes nach Einigkeit in Zeiten des Krieges.
Justizminister: Weitere Teile der Reform vorantreiben
Trotz der Kritik: Die ersten Reaktionen weisen nicht daraufhin, dass die Regierung das Urteil übergehen wird. Justizminister Yariv Levin machte aber schnell deutlich, dass er weitere Teile der Justizreform vorantreiben will.
Dabei geht es insgesamt um das Machtverhältnis zwischen der Justiz und der Regierung sowie dem Parlament. Und es geht um die Frage, welchen Einfluss die Religion auf Politik und Justiz haben soll.
Opposition lobt das Urteil
Die Opposition stellt sich hinter die obersten Richterinnen und Richter. Oppositionsführer Yair Lapid lobt das Urteil im israelischen Radio: "Die Richter haben sich an der Gesetzgebung orientiert. Es ist das einzige Urteil, das hätte getroffen werden können. Man hätte schon voraussehen können, wie die einzelnen Richter entscheiden. Jetzt haben wir Soldaten im Gazastreifen, was für die Entscheidung zu Recht keine Rolle spielt. Denn dort wird gemeinsam und vereint gekämpft."
Viele der Reservisten, die jetzt im Gazastreifen im Einsatz sind, haben im Frühjahr und Sommer die Proteste gegen den Umbau des Justizsystems angeführt. Hunderttausende waren auf den Straßen unterwegs, um eine Entmachtung des Obersten Gerichtshofs zu verhindern.
Die Spaltung der israelischen Gesellschaft wurde offen sichtbar. Staatspräsident Izckak Herzog warnte vor einem Bürgerkrieg und rief dazu auf, zusammenzustehen.
Hagari: Darum konnte die Hamas Israel so überraschen
Armee-Sprecher Daniel Hagari sieht in dem Streit einen der Gründe, warum die Hamas die israelischen Sicherheitsbehörden am 7. Oktober so überraschen konnte: "Man kann annehmen, dass die Spaltung der Gesellschaft und Zweifel an der Bereitschaft der Armee mit dem Überfall in Verbindung stehen", sagt er. "Jetzt konzentrieren wir uns auf die Kämpfe. Wir sind fokussiert und treffen eine zielstrebige Armee an. Reservisten, Artillerie, Luftwaffe, Marine und Spezialeinheiten alle, die davor in der öffentlichen Diskussion standen, arbeiten jetzt zusammen und stehen einem gemeinsamen Feind mit Stärke und Entschlossenheit gegenüber."
Armee und Regierung stellen die Menschen in Israel darauf ein, dass der Krieg gegen die Hamas noch Monate dauern wird. Und so lange dürfte der öffentliche Streit über die Folgen des historischen Urteils aufgeschoben sein.