Nach Massenprotesten in Israel Umstrittene Justizreform nun vor Gericht
Seit Monaten gibt es in Israel Proteste gegen die Justizreform. Nun verhandelt erstmals das Oberste Gericht darüber. Parlamentspräsident Ohana läutete die Anhörung mit einer Warnung an die Richter ein.
Seit 36 Wochen protestieren die Menschen in Israel gegen die Justizreform. Am heutigen Dienstag befasst sich nun erstmals die Justiz mit dem Thema: Das Oberste Gericht gegen das Parlament und gegen die Regierung.
Parlamentspräsident Amir Ohana gab bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz schon mal den Ton vor: "Die Knesset wird es nicht dulden, mit Füßen getreten zu werden. Ich stehe in meiner Funktion als Parlamentssprecher vor Ihnen, und in dieser Funktion rate ich dem Gerichtshof und seinen Richtern, die Grenzen ihrer Macht anzuerkennen. In einer Demokratie ist keine Institution allmächtig."
Lassen sich die Richter beeindrucken?
Ob sich die 15 Obersten Richterinnen und Richter, die erstmals in der Geschichte Israels vollzählig zu einer Anhörung zusammentreten, davon beeindrucken lassen, wird im ganzen Land aufgeregt diskutiert.
Kern der Diskussion ist die sogenannte Angemessenheitsklausel. Die war Ende Juli mit der Mehrheit der rechtsreligiösen Parteien im Zuge der Justizreform aufgehoben worden. Dadurch wurde den Obersten Richtern die Möglichkeit genommen, Entscheidungen und Gesetze als unangemessen einzustufen und sie als ungültig zu erklären.
Das neue Gesetz, also die Abschaffung der Angemessenheitsklausel, wurde von der rechtsreligiösen Mehrheit als Grundgesetz benannt, wonach es praktisch Verfassungscharakter hat. Doch dagegen wurden acht Petitionen eingereicht, über die nun die Obersten Richter befinden müssen.
Noch nie haben die Obersten Richter ein Grundgesetz in Israel aufgehoben. Der rechtsnationale Finanzminister Bezalel Smotrich machte als Anführer einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude in Jerusalem deutlich, dass das auch so bleiben soll: "Die Gesetze der Knesset sind die Gesetze des Volkes. Niemand ist berechtigt, die Grundgesetze des Volkes aufzuheben, niemand ist berechtigt, die Stimme des Volkes zum Schweigen zu bringen, niemand darf Eure Stimme zum Schweigen bringen, denn Ihr habt rechts gewählt und Ihr habt rechts erhalten."
Unklar, ob die Regierung sich beugen würde
Verfassungsexperten sagen, dass die heutige Anhörung einer der wichtigsten juristischen Fälle in der Geschichte Israels ist. Denn es ist völlig unklar, ob die Regierung und allen voran Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sich einer Entscheidung des Obersten Gerichtes beugen würden.
Auch deshalb versucht Staatspräsident Isaac Herzog unentwegt, die Parteien zu einem Kompromiss zu bewegen: "Seit neun Monaten befinden wir uns in einer tiefen Krise, die unser Leben dramatisch beeinflusst, die unsere Sicherheit, unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und unser zwischenmenschliches Verhalten bedeutend beeinträchtigt. Es reicht, genug! Man muss sich zusammentun und eine breite Einigung herbeiführen."
Entscheidung erst in einigen Wochen
Doch sein Vorschlag, das verabschiedete Gesetz zu überarbeiten und die Justizreform erst einmal eineinhalb Jahre auf Eis zu legen, fand bisher in den Reihen der Regierung keine Zustimmung. Zwar betonte Netanyahu immer wieder, kompromissbereit zu sein und - wie er es formuliert - auf den öffentlichen Puls zu hören. Doch konkrete Schritte zu einer Änderung der Justizreform gab es bisher nicht. Auch wenn zuletzt Medien berichteten, Netanyahu wolle eine einseitige Abschwächung des Gesetzes ohne Zustimmung der Opposition.
Viele werfen Netanyahu vor, nur auf Zeit zu spielen. Die werden sich auch die Obersten Richter nehmen müssen: Eine Entscheidung über die Petitionen, die heute von dem kompletten Richtergremium diskutiert und im Fernsehen landesweit live übertragen werden, soll es frühestens in einigen Wochen geben.