Justizreform spaltet Israel "Ein Fehler von historischem Ausmaß"
Israels Parlament soll heute in erster Lesung über ein Kernelement der Justizreform abstimmen. Staatspräsident Herzog rief zu Verhandlungen über die strittigen Pläne auf. Dass niemand dazu bereit sei, bezeichnete er als "Fehler von historischem Ausmaß".
Unmittelbar vor der für heute geplanten ersten Abstimmung im Parlament hat der israelische Präsident Izchak Herzog erneute Verhandlungen über die Justizreform gefordert. "Eine Einigung ist machbar. Und dennoch ist niemand bereit, sich hinzusetzen und zu reden - jetzt, ohne Vorbedingungen", sagte Herzog in Jerusalem und ergänzte: "Das ist ein Fehler von historischem Ausmaß."
Die rechts-religiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu will heute ungeachtet der anhaltenden Massenproteste einen Gesetzentwurf der umstrittenen Justizreform dem Parlament - der Knesset - vorlegen. Die Sitzung beginnt am Nachmittag deutscher Zeit. Die Mehrheit der Abgeordneten könnte den Entwurf am Abend in erster Lesung billigen. Die Protestbewegung kündigte für diesen Fall bereits an, den Dienstag zum "Tag der Störung" zu machen.
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass es dem Höchsten Gericht des Landes künftig nicht mehr möglich sein soll, eine Entscheidung der Regierung als "unangemessen" zu bewerten. Kritiker fürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung hochrangiger Posten begünstigen könnte. Die Regierung wirft dagegen den Richtern vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen.
"Lassen Sie Ihre Egos beiseite"
Staatspräsident Herzog erklärte: "Ich frage unsere Vertreter in der Knesset: Ist es das wert? Ist es das wirklich wert? Die Zahlen, die Daten, die Umfragen und die Debatten spiegeln ein echtes und bedeutendes Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Dialog und Konsens wider." Eine Einigung, auch im Streit über die sogenannte Angemessenheitsklausel, sei seiner Ansicht nach machbar. "Lassen Sie Ihre Egos beiseite. Kommt und redet."
Netanyahu hatte die Pläne im März nach anhaltenden Protesten zunächst ausgesetzt. Herzog hatte Ende März Gespräche zwischen Regierung und Opposition vermittelt. Diese brachten jedoch auch nach monatelangem Ringen keine Einigung. Vor rund zwei Wochen setzte Netanyahu die Reform jedoch in etwas abgeschwächter Form wieder auf die Agenda. Er hatte angekündigt, den umstrittensten Teil fallenzulassen. Dieser hätte es dem Parlament ermöglicht, Urteile des Obersten Gerichtshofs aufzuheben.
Justizreform spaltet Israels Gesellschaft
Die Pläne für eine große Justizreform spalten seit Monaten die israelische Gesellschaft. Gegner des Vorhabens organisieren Woche für Woche Proteste. Am Samstag waren wieder Zehntausende Israelis auf den Straßen, um gegen die geplante Reform zu protestieren. Sie sehen darin eine unzulässige Beschneidung der Justiz und Gefahr für die Demokratie.
Auch vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste zeigte sich Netanyahu unzufrieden mit dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen regierungskritische Demonstranten. Er bestellte deswegen die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara ein. Zwar betonte er in einer am Sonntag im Fernsehen übertragenen Rede, es sei undenkbar, dass die Regierung das Demonstrationsrecht einschränke oder Gewalt gegen Demonstranten billigen werde. Allerdings dürften diese Freiheiten nicht dazu benutzt werden, um die Grundrechte von Millionen Bürger zu verletzten. Er verwies zur Begründung auf Blockaden des Flughafens und von Hauptverkehrsstraßen.