Konflikt um Bergkarabach Aserbaidschans Präsident erklärt Sieg über Armenier
Aserbaidschans Präsident Aliyev hat im Konflikt um Bergkarabach den Sieg über die Separatisten erklärt. Die Gespräche über die "Wiedereingliederung" Bergkarabachs in Aserbaidschan haben begonnen - genauso wie Evakuierungen von Armeniern.
Aserbaidschan hat nach den Worten von Präsident Ilham Aliyev die von ethnischen Armenierinnen und Armeniern bewohnte Kaukasusregion Bergkarabach komplett unter seine Kontrolle gebracht. Innerhalb von nur einem Tag habe man die "Anti-Terror-Maßnahmen" gegen die dortigen Separatisten erfolgreich beendet und die Souveränität des Landes wiederhergestellt, sagte Aliyev in einer Rede an die Nation.
Die Behörden in Bergkarabach willigten nach heftigen Angriffen Aserbaidschans in eine Waffenruhe ein, die unter anderem die Entwaffnung ihrer Kämpfer beinhaltet.
Gespräche und neue Gewalt
Unterdessen haben Gespräche über die "Wiedereingliederung" Bergkarabachs begonnen. Eine Delegation ethnischer Armenier sei in der Stadt Yevlax eingetroffen, teilte das aserbaidschanische Präsidialamt mit. Die Gespräche hätten im Beisein eines Vertreters der russischen Friedenstruppen begonnen, meldete die Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf Lokalmedien. Es soll bei den Verhandlungen um die Zukunft der rund 120.000 ethnischen Armenier in Bergkarabach gehen.
Ungeachtet dessen gibt es Berichte über neue Gewalt in der Region. Vertreter der Armenier berichten von Schüssen in der Stadt Stepanakert. Sie werfen Aserbaidschan vor, sich nicht an die vereinbarte Waffenruhe zu halten.
Evakuierungen laufen
Derweil verlassen bereits Tausende Armenierinnen und Armenier die umkämpfte Region. Vor Ort stationierte russische Soldaten hätten bislang rund 5.000 Karabach-Armenier aus besonders gefährlichen Orten der belagerten Region herausgebracht, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Auch hatte der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, von der Evakuierung mehrerer Ortschaften gesprochen.
Zuvor war berichtet worden, dass Tausende Bewohner Bergkarabachs in ein Lager der russischen Truppen geflüchtet seien, während andere auf dem Flughafen der Regionalhauptstadt Stepanakert auf eine Flugmöglichkeit hofften. Offenbar befürchten viele Armenier in der Region, aus ihrer Heimat vertrieben zu werden oder - wenn sie bleiben - zum Ziel aserbaidschanischer Gewalt zu werden.
Armenier enttäuscht von Russland
Russland gilt traditionell als Schutzmacht Armeniens und hatte eigentlich zugesichert, einen nach dem letzten Karabach-Krieg 2020 vereinbarten Waffenstillstand in der Region zu überwachen. Viele Armenier werfen Moskau nun vor, sie im Stich gelassen zu haben und seiner Rolle als Schutzmacht Armeniens nicht nachgekommen zu sein.
Sie kritisieren, dass russische Soldaten weder die monatelange Blockade der einzigen armenischen Zugangsstraße nach Berg-Karabach durch Aserbaidschaner verhinderten noch jetzt der aserbaidschanischen Armee entgegentraten. Proteste in Armeniens Hauptstadt Eriwan richteten sich deshalb auch gegen die russische Botschaft vor Ort.
Russische Friedenstruppe vermittelt Feuerpause
Armenien und Aserbaidschan streiten schon seit Sowjetzeiten um die Kaukasusregion. Diese wird international als Teil Aserbaidschans anerkannt, wurde aber seit dem Ende eines Separatistenkriegs 1994 von ethnischen Armeniern kontrolliert, die von der Regierung in Eriwan unterstützt werden.
2020 eroberte Aserbaidschan bereits einen großen Teil der Region und angrenzende Gebiete zurück, die zuvor von armenischen Streitkräften gehalten worden waren. Russland vermittelte damals einen Waffenstillstand und hat in der Gegend eine Friedenstruppe von 3.000 Mann stationiert. Die jetzige Feuerpause wurde von dieser Friedenstruppe vermittelt.
Berichte über mindestens 200 Tote
Am Dienstag war der Konflikt erneut eskaliert. Aserbaidschan beschoss mit Artilleriegeschützen und Drohnen Stellungen der ethnisch-armenischen Kräfte in Bergkarabach, die nicht nur dramatisch in der Unterzahl, sondern auch durch eine monatelange Blockade der Region unterversorgt waren.
Der Menschenrechtsbeauftragte Gegam Stepanjan berichtete von mindestens 200 Toten, darunter zehn Zivilisten, und mehr als 400 Verletzten. Unabhängig ließen sich diese Zahlen nicht überprüfen.
Auch mehrere russische Soldaten wurden laut Angaben Moskaus getötet. Eine Zahl wurde allerdings nicht genannt. Der Vorfall habe sich in der Nähe des Ortes Dschanjatag ereignet, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Sie seien von einem Beobachtungsposten zurückgekehrt, als ihr Fahrzeug mit Handfeuerwaffen beschossen worden sei.
Proteste in Eriwan
Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte, sein Land habe an den Waffenruhegesprächen nicht teilgenommen, sondern die Entscheidung der Behörden in Bergkarabach zur Kenntnis genommen. Er betonte, sein Land wolle sich nicht in die Kämpfe hineinziehen lassen. Paschinjan sagte auch, in der Region seien keine armenischen Soldaten - allerdings ist der Abzug armenischer Soldaten laut den Bergkarabach-Behörden ein Teil der Waffenruhevereinbarung.
In der armenischen Hauptstadt Eriwan demonstrierten am Abend wieder viele Menschen. Sie forderten, dass ihr Land den ethnischen Armenierinnen und Armeniern in Bergkarabach zur Hilfe komme. Demonstranten bewarfen die Polizisten laut Nachrichtenagentur AFP mit Steinen und Flaschen. Die Sicherheitskräfte setzten Blendgranaten ein und nahmen mehrere Menschen fest. Gleichzeitig drohten sie mit "Sondermaßnahmen", sollten die Zusammenstöße andauern.
Appelle von EU und Bundesregierung
Nach dem vorläufigen Ende der Kämpfe riefen die EU und die Bundesregierung Aserbaidschan zur Gewährleistung der Sicherheit der Menschen vor Ort auf. Gerade Aserbaidschan und das traditionell mit Armenien verbündete Russland müssten "dafür sorgen, dass Menschen in ihrem eigenen Zuhause sicher sind", sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Rande einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York.
EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte in, er habe Aliyev in einem Telefonat aufgefordert, "für einen vollständigen Waffenstillstand" und eine "sichere und würdige Behandlung der Armenier in Karabach" zu sorgen. Zudem müsse humanitäre Hilfe sofort Bergkarabach erreichen.