Erstmals Gravitations-Langwellen gemessen Wenn Schwarze Löcher leise flüstern
Wo sie durchs Universum ziehen, stauchen und dehnen sie den Raum und verändern den Fluss der Zeit: Gravitationswellen. Von Einstein bereits 1915 vorhergesagt, ist es Forschern nun gelungen, die Existenz sehr langer Gravitationswellen nachzuweisen.
Bereits im Jahr 1915 hatte Albert Einstein die Existenz von Gravitationswellen vorhergesagt. Ein Jahrhundert später, im Jahr 2015, wurden sie erstmals gemessen. Nun ist einem internationalen Team ein weiterer Erfolg gelungen: Erstmals haben sie sehr lange Gravitationswellen aufgespürt. Sie erhoffen sich nun neue Einsichten in die Welt der Schwarzen Löcher.
Die Wellen, die 2015 im LIGO-Experiment aufgefangen wurden, stammten von einem gewaltigen kosmischen Ereignis - der Verschmelzung von zwei Schwarzen Löchern. Vor der Verschmelzung waren die beiden Schwarzen Löcher noch mehrere Sekunden lang eng umeinandergekreist. Die bei diesem Tanz und der anschließenden Verschmelzung auftretenden Kräfte verformten den Raum, veränderten die Zeit und pflanzten sich als Wellen Milliarden Jahre lang durchs Universum fort - bis sie zufällig auf die Erde trafen und dort gemessen wurden. 2017 gab es für diesen Erfolg den Nobelpreis für Physik.
Mehr als 25 Jahre Beobachtung
Nun haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn einen ähnlichen Erfolg bekanntgegeben. Zusammen mit Astronominnen und Astronomen anderer europäischer Observatorien und mit zusätzlichem Datenmaterial aus Indien ist es ihnen gelungen, erstmals Gravitationswellen mit sehr großer Wellenlänge nachzuweisen.
Während das in LIGO registrierte Ereignis lediglich ein paar Sekunden dauerte, benötigt eine lange Gravitationswelle mehrere Jahre, um durch ein Messgerät zu laufen. Entsprechend geduldig mussten die Bonner Forscher Daten sammeln, um das Vorhandensein von langen Gravitationswellen im Weltall nachweisen zu können. Seit 1995 und damit seit 28 Jahren nutzen sie ein Instrument von enormer Größe, um den langen Gravitationswellen auf die Spur zu kommen. Es heißt European Pulsar Timing Array (EPTA) und ist so groß wie unsere gesamte Milchstraße.
Sterne schicken Radiowellen ins All
Das EPTA funktioniert so: Im Universum gibt es eine ganze Reihe von Pulsaren. Das sind Sterne, die so regelmäßig wie Leuchttürme Strahlungspulse ins All schicken. Nur eben nicht Lichtpulse, sondern Radiowellen. Diese Radiowellen können auf der Erde von Radioteleskopen aufgefangen werden. Läuft nun eine der sehr langen Gravitationswellen zwischen dem Radioteleskop auf der Erde und dem viele Lichtjahre entfernten Pulsar durch, dehnt und staucht die Welle den Raum zwischen Erde und Pulsar. Und damit rückt auch der Pulsar mal näher an die Erde heran und dann wieder ein wenig weiter von ihr weg.
In Zahlen: Ein Stern in vier Lichtjahren Entfernung wird gerade mal um knapp 100 Meter verschoben. Diese vergleichsweise winzige Änderung des Abstands Erde-Stern führt auch zu einer winzigen Änderung der Laufzeiten der vom Stern ausgesandten Radioimpulse - und diese Änderung konnte nun in den Daten irdischer Radioteleskope entdeckt werden.
"Pulsare sind hervorragende natürliche Uhren", erklärt Dr. David Champion, leitender Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), in einer Pressemitteilung des Instituts. "Wir nutzen die unglaubliche Regelmäßigkeit ihrer Signale, um nach winzigen Veränderungen in ihrem Ticken zu suchen und so die minimalen Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit durch Gravitationswellen aus dem fernen Universum nachzuweisen."
Wichtige Messungen in Deutschland
Wichtigstes Teleskop im europäischen EPTA war das Radioteleskop in Effelsberg in der Eifel. Das über 50 Jahre alte Gerät ist durch ständige Umbauten auch heute noch topmodern und lieferte die längste Datenreihe, die es weltweit dazu gibt, erklärt Prof. Michael Kramer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn. "Es bildet das Rückgrat dieses Experiments", sagt der Astronom.
Kombiniert wurden die Effelsberger Daten mit Messungen von Radioteleskopen in Frankreich, Italien, den Niederlanden und Großbritannien und mit Daten eines indischen Großteleskops. Erste Hinweise, dass die gesuchten Wellen tatsächlich existieren, hatte man schon 2016 bei Auswertungen entdeckt. Nach weiteren Jahren hochpräziser Messungen sind sich die Forschenden nun aber absolut sicher, dass sich die Gravitations-Langwellen tatsächlich durch das Universum bewegen.
Auch Forschungsgruppen in Nordamerika, Australien und China können vergleichbare Ergebnisse vorweisen. Deshalb haben die Gruppen ihre Entdeckungen nun auch zeitgleich auf vier Kontinenten bekanntgegeben.
Neue Einsichten in die Welt der Schwarzen Löcher?
Die Gravitationswellen im Langwellenformat entstehen, wenn zwei superschwere Schwarze Löcher umeinanderkreisen. Sie sind milliardenmal schwerer als unsere Sonne. Im Gegensatz dazu sind die Schwarzen Löcher, bei deren Fusion jene kurzwelligen Gravitationswellen entstehen, die in LIGO registriert wurden, geradezu Winzlinge. Sie sind typischerweise etwa 30-fach massereicher als unsere Sonne. Ihre milliardenfach schwereren Vettern sitzen im Zentrum von Galaxien.
Wenn Galaxien kollidieren, kann es zu einem Paartanz der in ihrem Zentrum vorhandenen Schwarzen Löcher kommen. Eine gegenseitige Umkreisung der beiden superschweren Schwarzen Löcher dauert nicht Sekunden, sondern mehrere Jahre. Die dabei abgestrahlte Gravitationswelle entwickelt sich entsprechend langsam und wirkt wie in die Länge gezogen. Der Tanz superschwerer Schwarzer Löcher kann sich über viele Millionen Jahre erstrecken und während all dieser Zeit werden Gravitationswellen ins All abgestrahlt. Astronomen in aller Welt hoffen nun, mit Hilfe der neu entdeckten Langwellen das Verhalten von superschweren Schwarzen Löchern untersuchen zu können.
Allerdings ist es noch nicht möglich, die gemessenen Wellenzüge einzelnen Schwarzen Löchern zuzuordnen. Dieser Schritt soll in den kommenden Jahren gelingen und dann stünde der Gravitationswellenastronomie ein neues, mächtiges Werkzeug zur Verfügung.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, Albert Einstein habe bereits 2015 die Existenz von Gravitationswellen vorhergesagt. Richtig ist natürlich, dass er dies 1915 tat. Wir haben den Text entsprechend korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen