Britische Inseln Wie aus Meeresströmung grünes Ammoniak wird
Auf den britischen Orkney-Inseln gibt es Ökostrom im Überfluss. Mit dem Überschuss wollen die Bewohner grünes Ammoniak produzieren - damit könnten in Zukunft Schiffe und Flugzeuge klimafreundlich betrieben werden.
Im Norden Schottlands, zwischen den Orkney-Inseln, liegt die neuste Errungenschaft der Insulaner in der rauen See. Ein Hightech-Gerät, das aussieht wie ein aufgetauchtes U-Boot. Lang und schmal, halb über, halb unter der Wasseroberfläche. Der ungewöhnliche Stahlkoloss hier hat allerdings eine ganz andere Mission: Es ist eine Gezeitenturbine.
Unter der Wasseroberfläche drehen sich links und rechts zwei Rotoren, wie die von Windrädern. In Bewegung gesetzt wird sie von der Strömung, die durch den Wechsel von Ebbe und Flut entsteht. Die Turbine erzeugt auf diese Weise Strom und ist der Stolz von Neil Kermode vom European Marine Energy Center. Mehr als 2000 Haushalte versorge allein diese Anlage mit Elektrizität, sagt er - die Größe einer Kleinstadt. Es ist der Prototyp. Ein paar weitere wolle er noch ins Wasser setzen.
Vom Stromempfänger zum Stromlieferant
Auf den Orkney-Inseln ist die Energiewende längst vollzogen. Solaranlagen dekorieren die Dächer, Windräder drehen sich. Einzelne neben Häusern, als privater Energielieferant, große Anlagen für das allgemeine Stromnetz. "Wir sind hier zu 100 Prozent unabhängig und grün", sagt Richard Gauld, der in unterschiedlichen Funktionen seit drei Jahrzehnten die Entwicklung von Windanlagen begleitet. Gauld steht auf einem kleinen Hügel, auf dem fünf riesige Rädern thronen. "Wir waren Stromempfänger, nun sind wir Stromlieferant."
Nun gilt es das nächste Problem zu lösen. Denn auf den Orkney-Inseln produzieren sie mittlerweile weit mehr Strom, als sie selbst benötigen. Einen Teil leiten sie ins nationale Stromnetz, die Kapazität der Leitungskabel ist aber begrenzt, so dass immer noch Unmengen verpuffen. Speichern, später verwenden oder transportieren, lässt sich Strom nicht. Noch jedenfalls nicht. Um das zu ändern, möchte Gauld auf Orkney demnächst grünes Ammoniak produzieren. "Wir brauchen eine Technik, um grüne Energie zu speichern. Ich glaube Ammoniak ist der Weg in die Zukunft."
Vorteil von Ammoniak gegenüber Wasserstoff
Am anderen Ende Großbritanniens, in Englands Süden, haben Forscher der Universität Oxford und Cardiff schon ein Labor errichtet, um die Speichermöglichkeiten mithilfe von Ammoniak zu testen. Auch die Firma Siemens ist dabei. Eigentlich braucht es nur Wasserstoff, um Energie zu speichern. "Wasserstoff aber ist schwer zu lagern und zu transportieren", sagt Ian Wilkinson, Projektleiter bei Siemens. Es brauche daher einen Umweg: Ammoniak. Im Labor, das unter freiem Himmel aufgebaut ist und wie ein kleines Containerdorf aussieht, testen sie die Möglichkeiten aus.
Zunächst produzieren sie mit Strom Wasserstoff per Elektrolyseverfahren. Dabei wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Verwendet man dabei ausschließlich Strom aus regenerativen Quellen, wie hier, gilt der Wasserstoff als CO2-frei. Anschließend wird dem Wasserstoff Stickstoff beigemischt, es entsteht Ammoniak (NH3). "Und das können wir in Tanks füllen, in großen Mengen lagern und transportieren," sagt Wilkinson. "Aus Gegenden, die viel grünen Strom haben, in Gegenden, die wenig haben."
Allerdings ist Ammoniak ein gefährliches Gas. Beim Einatmen geringer Konzentrationen wirkt es reizend, bei hohen Konzentrationen ätzend und es besteht Lebensgefahr. Auf der anderen Seite wird Ammoniak weltweit bereits in großen Mengen unter anderem als Düngemittel verwenden. Es zu lagern und zu transportieren ist eingeübte Praxis. Aber Forscher sind sich einig: Das Problem müsse man beim Stromspeichern mitdenken.
Grünes Ammoniak statt schmutzigem Schiffsdiesel
Die Universität in Oxford hat noch andere Forschungsgruppen. Denn die gespeicherte Energie muss ja, wo auch immer, wieder eingesetzt werden können. Und da denken sie in Oxford vornehmlich an die Schifffahrt, die rund eine Milliarde Tonnen CO2 emittiert pro Jahr. Ein Ammoniak-Motor, so das Ziel, könnte die Schiffe über die Meere antreiben. Aber auch an den Luftverkehr denken die Forscher bereits. Statt Kerosin könnte Ammoniak auch die Turbinen von Flugzeugen ins Drehen bringen, sie abheben lassen.
Natürlich forschen nicht nur die Briten an der Technologie. Überall auf der Welt wird mit Ammoniak experimentiert als Alternative zu fossilen Treibstoffen. Prototypen von Autos sind schon entwickelt worden. In den USA hat die Firma Amogy jüngst ihren Ammoniak-Traktor vorgestellt und Einblick in die Technologie gewährt. Im Tank ist hier Ammoniak. Ein kleiner Reaktor auf dem Heck spaltet es auf, um den Wasserstoff zurückzugewinnen. In der eingebauten Brennstoffzelle wird der Wasserstoff dann in Wasser und Strom umgewandelt. Der Strom wiederum treibt den Traktor an. Und der soll dieselbe Power haben wie ein Diesel. 2024 soll er auf den Markt kommen.
Ammoniak - von den Orkney-Inseln in die Welt
Theoretisch könnte der Strom für den Traktor in ein paar Jahren von den Orkney-Inseln stammen. Dort wird der Überschuss an Energie ohnehin noch zunehmen. In Schottland würde er zunächst in Ammoniak verwandelt, in Tanks verpackt und in die USA gebracht. Dort irgendwann in den Traktor gefüllt, auf dem der Strom wieder verfügbar gemacht wird. Wochen später und an einem ganz anderen Ort. Richard Gauld glaubt fest daran. Auch wenn es noch einige Zeit an Entwicklung benötige. Es sei aber die Zukunft, sagt er.