Erneuerbare Energien Zukunftsenergie Wasserstoff?
Wasserstoff gilt als Hoffnungstechnologie, um fossile Energien zu ersetzen - in der Politik, in der Industrie, bei Umweltschützern. Aber schafft Europa damit wirklich den Weg aus der Energiekrise?
Heliport Amsterdam, Abflug auf eine Ölplattform rund 15 Kilometer von Den Haag entfernt. Auf dem Weg reihen sich zahlreiche Windturbinen aneinander - und jeden Tag werden es mehr. Bis 2050 soll in der Nordsee so viel grüne Energie erzeugt werden, dass theoretisch 230 Millionen Haushalte damit versorgt werden könnten. So haben es Deutschland, Belgien, Dänemark und die Niederlande vereinbart. Ein ehrgeiziger Plan, aber bis dahin sind es auch noch fast 30 Jahre.
Nach 45 Minuten Flug erreicht man die Öl- und Gasplattform Q13a per Helikopter. Sie gehört Neptune Energy, einem großen europäischen Energieversorger. Neptune betreibt insgesamt 29 Plattformen in der Nordsee. Auf der Ölplattform Q13a soll nun eine Wasserstoff-Anlage entstehen - grüner Wasserstoff aus Windenergie mitten im Meer.
Gaspipelines für Wasserstoff in der Nordsee
Es ist die erste Offshore-Wasserstoffproduktionsanlage weltweit. Die Wasserstoffplattform in der Nordsee zu betreiben, ist aufwendig. Erst muss das Meerwasser entsalzen werden, dann wird das gereinigte Wasser mithilfe des Elektrolyseverfahrens in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Strom dafür kommt aus Windenergie. Auch die Installation der Windturbinen ist komplex. Sie müssen mit einem Spezialschiff in der 20 bis 30 Meter tiefen Nordsee verankert werden.
Anfänglich wird der grüne Wasserstoff noch mit Gas vermischt durch die vorhandenen Gas-Pipelines an Land transportiert. Der Vorteil: Die Infrastruktur gibt es schon. Das spart Zeit und Kosten. Die Niederlande sind ein günstiger Standort, weil es hier Gas-Pipelines in der Nordsee gibt, die bald für Wasserstoff genutzt werden könnten. Von Rotterdam aus käme der Wasserstoff dann direkt nach Nordrhein-Westfalen und in die südlichen Niederlande.
Langfristig müssten Gas-Pipelines aber umgebaut werden, um Wasserstoff in seiner Reinform befördern zu können. Und der Umbau soll so schnell wie möglich stattfinden, damit Europa die Energiewende schafft und sein Ziel erreicht, bis 2050 klimaneutral zu werden.
Problem der Infrastruktur
Bei Neptune Energy glaubt man fest daran, dass das Projekt einen wichtigen Beitrag zum Systemwechsel leistet: "Es stimmt mich sehr enthusiastisch zu sehen, was mit vorhandener Infrastruktur jetzt schon möglich ist, und wie man für die ganze Gesellschaft die Energiewende schneller voranbringen kann", sagt der Projektmanager René van der Meer.
Ein wenig ernüchtert muss van der Meer jedoch zugeben, dass es noch Jahre dauern wird, bis Wasserstoff als Energieträger im großen Stil eingesetzt werden kann. Realistisch betrachtet wird die komplette Umstellung der Gasplattform auf Wasserstoffproduktion in den Niederlanden noch bis zu 20 Jahre dauern. "Es gibt so viele Hindernisse, ein Projekt wie dieses umzusetzen. Wir haben schon 2017 mit den ersten Ideen begonnen, dann mussten wir Funding und Partner finden", so van der Meer: "Inzwischen haben wir 2022, das heißt wir sind schon fünf Jahre lang damit beschäftigt, die Fundamente für dieses Projekt zu bauen."
Milliardenschwere Investitionen nötig
Wasserstoff könnte vor allem in den Bereichen Transport und Industrie eine immer größere Rolle spielen. Es gibt schon jetzt zahlreiche Prototypen wie Flugzeuge oder LKW, die zeigen: Es ist weniger ein Problem der Technik an sich. Die Schwierigkeiten liegen in der Umsetzung und an den vielen Beteiligten, von der Herstellung bis zum Endverbraucher.
Um Wasserstoff im großen Maßstab herzustellen, braucht es enorm viele Elektrolyseure, die Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Und es braucht enorm viele Firmen, die diese Elektrolyseure herstellen. Für die Elektrolyse benötigt man wiederum große Mengen an grüner Energie aus Windkraft und Sonne. Anschließend braucht es die nötige Infrastruktur für den Transport von Wasserstoff zu den Abnehmern, Pipelines und Tankstellen etwa.
Auch wenn vieles schon vorhanden ist, so muss es doch zusammengebracht werden. Dafür sind in verschiedenen Branchen zunächst milliardenschwere Investitionen nötig, um komplexe Energiesysteme zu transformieren. Und es braucht vor allem große Mengen an grünem Wasserstoff. Und diese aufzubauen wird dauern.
Um die großen Mengen Wasserstoff zu erzeugen, unterstützt die EU Projekte in afrikanischen Ländern wie Namibia, Mauretanien oder Marokko. Damit will die EU Perspektiven in den Ländern schaffen, Kohlekraftwerke dank grüner Energie überflüssig machen und schließlich selbst von erneuerbaren Energielieferungen profitieren. Berechnungen zeigen, dass in vielen Ländern Afrikas genug Sonne, Wind und vor allem Platz ist, um langfristig weite Teile fossiler Energie in Europa durch grünen Wasserstoff zu ersetzen.
Wasserstoff im Lebensmitteltransport?
Einige Unternehmen in der EU wollen im Kleinen zeigen, wie das funktioniert. Und dass es auch im großen Stil klappen könnte: Der belgische Lebensmittelgroßhändler Colruyt ist nebenbei auch Energielieferant und betreibt unter der Dachmarke DATS24 eigene Tankstellen. Neben Diesel, Benzin und komprimiertem Erdgas kann man an einigen Stationen bereits Wasserstoff tanken. Kostenpunkt für einmal Volltanken: Derzeit rund 400 Euro.
Die grüne Energie dafür kommt zu 100 Prozent aus eigenen Produktionseinheiten, etwa aus Windrädern und Solarzellen auf dem Dach der Lagerhallen der Supermärkte. Der Wasserstoff wird im Unternehmen als klimaneutraler Treibstoff für Gabelstapler und einige Dienstfahrzeuge genutzt. Auch eine Lkw-Flotte ist geplant.
Bis 2030 könnte ein stabiler Markt entstehen
Das Unternehmen schafft auch interne Anreize für die Energiewende: Die Angestellten bei Colruyt können sich finanziell am Ausbau der neuen Energien beteiligen und bekommen ihre Investition vom Unternehmen verzinst. Bereits in den nächsten Jahren soll der Handel mit Wasserstoff auch Gewinne einfahren, so Stephan Windels, Geschäftsführer bei Colruyt Group Energy. Derzeit seien viele Unternehmen in der Test- und Umbauphase. Windels geht aber davon aus, dass es bis 2030 eine vollständige Wasserstoffwirtschaft - also einen stabilen Markt für Wasserstoff und ausreichende Abnehmer - geben wird.
Bislang galt die Wasserstoffproduktion immer als zu aufwendig, zu teuer. Klimawandel und Krieg verlangen aber nach neuen und vor allem schnellen Lösungen.