Gesichtserkennung

Training für Künstliche Intelligenz Wie Klickarbeiter in Kenia ausgebeutet werden

Stand: 24.08.2023 07:14 Uhr

Klickarbeiter sind die Trainer der Künstlichen Intelligenz. Sie sitzen in Kenia oder Kolumbien und bringen Maschinen das Wissen über die Welt bei. Doch die Arbeit ist prekär. Beschäftigte berichten von Ausbeutung, Perspektivlosigkeit und digitaler Überwachung.

Es ist schon viel darüber diskutiert worden, ob Künstliche Intelligenz wirklich intelligent ist. Dabei lohnt es sich zu fragen, ob KI tatsächlich so künstlich ist - denn die Technologie beruht wesentlich auf repetitiver Arbeit von Menschen, auf Handarbeit.   

Kaum jemand weiß das besser als Fred (alle Namen geändert). Der 27-Jährige ist Klickarbeiter. Er wohnt in Kasarani, einem belebten Stadtteil von Nairobi in Kenia. Dort sitzt er in einer Kammer vor seinem alten, schnaufenden Laptop. Auf seinem Bildschirm sind Bilder aus der Vogelperspektive zu sehen. Hunderte davon. Fred zieht mit der Maus Linien um eine Rasenfläche, um einen runden Swimmingpool und dann um ein graues Blechdach. Dann trägt er ein, was zu sehen ist: "Dach", und so weiter. 

Informationen für KI-Drohnen

Die Bilder sind Drohnenaufnahmen von einem Logistikunternehmen aus den USA. Es liefert Pakete per Drohne aus, für Handelsgiganten wie Walmart. Dafür muss die KI-gesteuerte Drohne lernen, wo sie die Pakete ablegen kann: eben nicht in einem Swimmingpool oder auf einem Dach, sondern auf einer Rasenfläche.

"Wir trainieren die Drohne. Bringen ihr bei: Das ist ein Mensch, das ist der Boden, das sind Gewässer", erklärt Fred. Mit einer Software markiert und beschreibt Fred die Inhalte von Bildern - annotiert sie, so der Fachbegriff.  

 

Trainingsdaten für künstliche Intelligenz

Fred ist Teil einer weltweiten Industrie, die sogenannte Trainingsdaten für die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz bearbeitet. SWR2 Wissen hat über mehrere Monate mit einem Dutzend dieser Klickarbeiterinnen und -arbeiter gesprochen. Im Podcast kritisieren die allermeisten ihre Arbeitsbedingungen sehr deutlich - sprechen mitunter von Ausbeutung. Dabei macht ihre Tätigkeit KI erst wirklich intelligent.   

Mit den von ihnen annotierten Daten - vor allem Bildern - lernen beispielsweise KI-Systeme beim autonomen Fahren, Schilder oder Ampeln zu erkennen. Oder eben intelligente Drohnen, Pakete abzulegen. 

Was Menschen besser können

"KI-Systeme sind dümmer, als es der Hype vermuten lässt", sagt Milagros Miceli, Informatikerin und Soziologin am Weizenbaum-Institut in Berlin. Um einer KI zum Beispiel beizubringen, was eine Katze ist, muss man ihr so viele Beispiele wie möglich von einer Katze zeigen." Doch auf den Bildern zu beschreiben, was überhaupt eine Katze ist: Das übernehmen die Klickarbeiter.

"Das Problem ist einfach, dass es nicht genug Bilder gibt, die genau genug beschrieben sind", sagt Kristian Kersting, Professor für Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen an der TU Darmstadt. Diese zwei "Modalitäten", also Text und Bild, zusammenbringen: Das könne ein Mensch eben noch deutlich besser als Maschinen. 

Kaum mehr als ein Euro Stundenlohn

Auch für das KI-Training anhand von Texten werden Menschen benötigt. Klickarbeiter in Kenia haben für den Bot ChatGPT unerwünschte Antworten ausgefiltert, also etwa Inhalte mit Gewalt. Das Ziel: Der intelligente Chatbot soll aus seinen Fehlern und Grenzüberschreitungen lernen. Die Klickarbeiter des KI-Dienstleisters Sama, die das möglich machten, bekamen knapp zwei Dollar die Stunde, wie Recherchen des Time Magazine Anfang des Jahres publik machten.  

Andere Klickarbeiter werden wiederum noch schlechter bezahlt, zum Beispiel Fred. Wie mehr als 7000 weitere Klickarbeiter arbeitet er für das Outsourcing-Unternehmen Cloudfactory. Zu dessen Kunden zählen Firmen, die millionen- und milliardenschwer sind. Arbeiter wie Fred bekommen jedoch umgerechnet 1,20 Euro in der Stunde gezahlt. Das reiche am Ende des Monats kaum aus, sagt Fred.  

"Es hat etwas von Sklavenarbeit. Denn die Menschen hier haben keine andere Wahl. Es gibt kaum Jobs", erzählt John, ein Kollege von Fred. Beide haben studiert, aber wegen der schwierigen Wirtschaftslage in Kenia bleibe ihnen nur die schlecht bezahlte Klickarbeit für Cloudfactory.  

Sie kritisieren das Unternehmen auch aus einem weiteren Grund: dem Eingriff in ihre Privatsphäre. Denn Cloudfactory kontrolliert die Mitarbeiter, die von zu Hause aus arbeiten, mit digitalen Hilfsmitteln. Das Unternehmen kann über einen speziellen Browser nicht nur Screenshots von den privaten PCs der Arbeiter erstellen, sondern auch auf deren Webcams zugreifen. "Das ist ein Übermaß an Überwachung", sagt John.  

 

Auch deutsche Unternehmen profitieren

Zu den Kunden von Cloudfactory zählt unter anderem das deutsche Pharmaunternehmen Sartorius. Es arbeitet seit 2019 mit Cloudfactory zusammen. Klickarbeiter haben für Sartorius 5000 mikroskopische Aufnahmen von Zellen annotiert, per Hand. Mit Datensätzen wie diesem werden KI-Modelle trainiert, um beispielsweise die Reaktion der Zellen auf bestimmte Medikamente auszuwerten.  

Solche Beispiele von profitierenden Firmen konkret zu benennen, ist schwierig: Denn die Kunden der Klickarbeit, von Google über OpenAI bis zu Tesla, haben ein Interesse daran, dass der Zauber der Künstlichen Intelligenz erhalten bleibt, wie Experten betonen. "Die wesentlichen Vorteile der Auslagerung dieser Arbeit sind Verschleierung und Skalierbarkeit", sagt KI- und Digitalökonomie-Forscher Fabian Ferrari von der Universität Utrecht.  

 

Teils bizarre Aufträge

Schätzungsweise zehn Millionen Menschen arbeiten weltweit an der Bearbeitung von Trainingsdaten. Möglich machen das auch sogenannte Crowdwork-Plattformen, bei denen sich nahezu jeder mit einer Internetverbindung anmelden kann.  

"Die digitale Arbeit ist prekär, weil sie rund um die Uhr stattfinden kann, weil sie schlecht bezahlt wird und dabei einem globalen Unterbietungswettbewerb ausgesetzt ist", sagt Ferrari. Denn die Klickarbeit findet vor allem in Niedriglohnländern statt: neben Kenia etwa in Pakistan oder in Venezuela.  

Im Gespräch mit dem SWR erzählen Klickarbeiter von teils belastenden Aufträgen, die sie von KI-Dienstleistern erhalten. John musste einmal Bilder aus einem OP-Saal annotieren, wie er berichtet. Ein anderes Mal, für eine weitere KI-Plattform, Aufnahmen aus einem Pornofilm. Er "labelte" die nackten Darsteller: "Männlich, weiblich, sexueller Kontakt auf diese oder jene Weise. Manchmal war das traumatisierend."

Manchmal, so erzählt er, erkennt er Teile seiner Arbeit wieder: bei einer Dokumentation über selbstfahrende Autos auf YouTube. Eine andere Klickarbeiterin erzählt, wie sie Aufnahmen von geschnittenem Obst annotierte. Per Zufall erfuhr sie später, dass der Kunde eine Firma in Frankreich ist, die damit ein KI-Modell trainiert hat, um Obstsalat abzupacken.   

 

"Wir brauchen diese Menschen"

Es gibt inzwischen kaum Branchen, die nicht auf KI und damit auch auf die Klickarbeit bauen. Letztere verändert sich dabei selbst durch das rasante Fortschreiten der technologischen Entwicklung. Doch die menschliche Arbeit für das KI-Training dürfte so schnell nicht verschwinden, sagen Experten. "Es ist eine Fantasie, zu glauben, es ginge ohne diese Menschen", meint Milagros Miceli. "Wir müssen sie sichtbar machen."  

Auch die Klickarbeiter in Kenia wie Fred wünschen sich das. "Die Firmen sollten uns so wie ihre KI-Systeme wertschätzen", sagt er. Eine bessere Bezahlung und ein Ende der digitalen Überwachung wären der Anfang.  

Aus juristischen Gründen wurde eine Formulierung im viertletzten Absatz dieser Meldung präzisiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen
Gabor Paal, SWR, tagesschau, 24.08.2023 15:51 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR 2 am 24.08.2023 um 8:30 Uhr