Untersuchungsausschuss beendet "Das Ergebnis hilft den Bewohnern an der Ahr nicht"
135 Menschen starben 2021 bei der Flut im Ahrtal. Ein Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags hat die Katastrophe aufgearbeitet. Vor Ort trifft das Ergebnis auf Skepsis.
Rund 300 Stunden tagte der Untersuchungsausschuss "18/1 'Flutkatastrophe'". Rechnerisch fast zwei Wochen ununterbrochene Arbeit, Tag und Nacht; viele Stunden Vor- und Nachbereitung zählen da noch nicht mit. Der Ausschuss des Landtags Rheinland-Pfalz zählt zu den komplexesten politischen Aufarbeitungsprojekten in Deutschland.
Nun kam er zu seiner letzten Sitzung zusammen, um Details für den Abschlussbericht abzustimmen. Der Untersuchungsausschuss sehe seinen Auftrag als erfüllt an, sagte der Vorsitzende Martin Haller (SPD) im Anschluss - und macht noch einmal die Dimension deutlich: 226 Zeugen seien angehört worden, dazu 23 Sachverständige; einige davon wurden mehrmals geladen. Haller spricht von einer "besonderen Verantwortung": "Unsere gemeinsame Hoffnung ist, dass wir den Menschen im Ahrtal, die von dieser furchtbaren Katastrophe betroffen waren, gerecht geworden sind."
Defizite beim Katastrophenschutz aufgezeigt
135 Menschen kamen durch die Flut im Ahrtal, in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, ums Leben. Seit Oktober desselben Jahres arbeiten 22 Landtagsabgeordnete in Rheinland-Pfalz die Katastrophe auf. Ein Untersuchungsausschuss gilt als "scharfes Schwert" der Opposition, um die Regierung in die Pflicht zu nehmen. Für den Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe lässt sich sagen: Ein stumpfes Schwert war er sicherlich nicht.
Der Ausschuss machte vor allem Defizite beim Katastrophenschutz sichtbar. Kurz gesagt: fehlende Alarm- und Einsatzpläne, mangelhafte Organisation der Verwaltung, veraltete Ausstattung der Feuerwehren, schlechte Kommunikation, unklare Zuständigkeiten, keine Warnketten.
In der Folge wurde der Katastrophenschutz im Land teilweise neu aufgestellt, etwa mit einem eigenen Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz und neuen Sirenen im Ahrtal.
Mehr Erkenntnisse gewünscht
An der Ahr ist so mancher allerdings nicht durchweg zufrieden mit der Aufarbeitung. Zum Beispiel Alfred Sebastian (parteilos), bis vor Kurzem Ortsbürgermeister der stark von der Flut getroffenen Gemeinde Dernau. Der Untersuchungsausschuss habe gerade am Anfang gute Arbeit geleistet, sei zum Schluss aber nicht mehr so effizient gewesen, sagt Sebastian. "Das Ergebnis hilft den Bewohnern an der Ahr nicht."
Sebastian hätte sich mehr Erkenntnisse gewünscht, die auch den Kommunen vor Ort helfen. Etwa wie die Kommunikation mit den Behörden im Katastrophenfall verbessert werden könnte. Immerhin habe der Ausschuss versucht, politische Verantwortlichkeiten aufzuzeigen, meint Sebastian. Für die Landesregierung in Rheinland-Pfalz hatte das durchaus Konsequenzen.
Schlechtes Licht auf Umweltministerin Spiegel
Zum einen für Anne Spiegel (Bündnis90 /Die Grünen), zum Zeitpunkt der Flut Umweltministerin in Rheinland-Pfalz. In ihren Verantwortungsbereich fielen etwa die Hochwasservorhersagen.
Im Rahmen des Ausschusses veröffentliche Chatprotokolle warfen ein schlechtes Licht auf Spiegel. Sie legten nahe, es sei ihr nach der Katastrophe mehr um ihr öffentliches Bild gegangen als um Hilfe für Betroffene. Spiegel selbst hatte das stets zurückgewiesen.
Doch der Druck auf sie stieg weiter - vor allem, als im Nachhinein öffentlich wurde, dass Spiegel kurze Zeit nach der Flut zu einem vierwöchigen Familienurlaub aufgebrochen war und nicht, wie angegeben, an Kabinettssitzungen teilgenommen hatte. Auch in der Parteispitze verlor sie an Rückendeckung. Schließlich verkündete Spiegel im April 2022, zu diesem Zeitpunkt Bundesfamilienministerin, ihren Rücktritt.
Ausschuss führte zum Rücktritt des Innenministers
Rund ein halbes Jahr später folgte der oberste Katastrophenschützer des Bundeslandes, Innenminister Roger Lewentz von der SPD. Er geriet zunehmend in die Kritik, als Videos eines Polizeihubschraubers aus der Flutnacht bekannt wurden. Sie zeigen dramatische Szenen von Menschen auf den Dächern ihrer Häuser.
Zeugen berichten vor dem Untersuchungsausschuss, die Hubschrauberbesatzung habe darüber noch in der Nacht dem Lagezentrum im Innenministerium Bericht erstattet. Der Innenminister hatte stets betont, zu dieser Zeit kein belastbares Lagebild zur Ahr gehabt zu haben.
Die Videobilder aus einem Helikopter zwangen Innenminister Lewentz zum Rücktritt.
Die Helikoptervideos machten deutlich: Das Innenministerium hätte deutlich früher das Ausmaß der Sturzflut erkennen können - oder müssen. Für Empörung sorgte Lewentz, als er sagte, er könne auf den Bildern keine Katastrophe erkennen. Kurz darauf, im Oktober 2022, dann der Rücktritt: "Heute übernehme ich für in meinem Verantwortungsbereich gemachte Fehler politische Verantwortung", sagte Lewentz damals.
Im Ahrtal sind viele unzufrieden
Die inzwischen offiziell verabschiedete Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) wurde zweimal vor den Ausschuss geladen. Dreyer sagte mehrmals, dass sie in der Flutnacht keine Kenntnisse von der dramatischen Situation gehabt habe, und, dass sie dem Katastrophenschutz vor Ort vertraut habe. CDU und AfD warfen ihr unter anderem vor, keine Verantwortung übernommen zu haben, und forderten ihren Rücktritt.
Viele im Ahrtal sind unzufrieden mit der Landesregierung. Das zeigt eine aktuelle repräsentative Umfrage des SWR. Fast drei Viertel der Befragten bewerten demnach das Krisenmanagement der Landesregierung als weniger oder gar nicht zufriedenstellend. Ein Fünftel der Befragten äußerte sich zufrieden oder sehr zufrieden.
Wie viele andere hätte sich auch Sebastian, Dernaus langjähriger Bürgermeister, gewünscht, dass etwa Dreyer mehr Verantwortung übernommen hätte.
Die meisten Menschen im Ahrtal beurteilen das Krisenmanagement der Landesregierung als weniger oder gar nicht zufriedenstellend.
Abschlussbericht umfasst mehr als 2.000 Seiten
Dass der Untersuchungsausschuss seine Arbeit nicht früher abgeschlossen hat, liegt auch an der juristischen Aufarbeitung der Flutkatastrophe. Seit August 2021 hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), ermittelt. Im April dieses Jahres verkündete sie ihre Entscheidung: Pföhler wird nicht angeklagt, trotz deutlicher Mängel beim Katastrophenschutz.
Die damals vor Ort Zuständigen hätten die Flut in ihrem Ausmaß nicht vorhersehen oder verhindern können. Ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten zu den "Führungsleistungen” beim Katastrophenschutz im Kreis Ahrweiler wurde Anfang des Jahres noch im Ausschuss diskutiert - die Beweisaufnahme dann beendet.
"Es ist gut, dass der Ausschuss zu einem Ende kommt", sagt Ex-Bürgermeister Sebastian. "Wir müssen jetzt nach vorne schauen." So ganz zu Ende ist die Aufarbeitung jedoch noch nicht: Im September, so der Zeitplan, soll der Abschlussbericht des Ausschusses im Plenum des rheinland-pfälzischen Landtags besprochen werden. Er umfasst mehr als 2.000 Seiten.