ChatGPT in der Schule Wenn der Chatbot den Aufsatz schreibt
KI-Software wie ChatGPT verändert das Lernen. Aufsätze, Hausaufgaben - der Chatbot macht das. Nutzen oder verbieten, Hilfe oder Risiko? Wie gehen Schulen damit um?
"Wir leben in einer Zeit des Wandels und der Herausforderungen, aber ich bin mir sicher, dass unser Kaiser uns durch diese schwierigen Zeiten führen wird." Auf einem großen Monitor im Klassenraum des Karolinen-Gymnasiums im rheinland-pfälzischen Frankenthal ist die Rede eines Verehrers von Kaiser Wilhelm II. zu sehen. Geschrieben hat sie kein Zeitzeuge, auch kein Schüler, sondern Künstliche Intelligenz (KI): ChatGPT.
Lehrerin Karin Reißer-Mahla hat sich diese Aufgabenstellung ausgedacht. Der Chatbot schreibt eine Rede, die Schülerinnen und Schüler sollen sie analysieren. "Das Erziehungsziel ist, dass die Schüler kritisch aber konstruktiv damit umgehen", erklärt Reißer-Mahla. In einem zweiten Schritt soll die Klasse die Rede anpassen, indem sie sie mit historischem Hintergrundwissen anreichert. Für die Schüler gibt es einiges zu tun: Viele Passagen der KI-Rede wirkten austauschbar, fassen die Schülerinnen und Schüler des Geschichts-Leistungskurses zusammen.
Schulleiter: Striktes Verbot macht keinen Sinn
Im Umgang mit dem Chatbot ist die Schule ein Vorreiter. Um die Weihnachtszeit habe Lehrerin Reißer-Mahla das Programm mit den Schülern im Unterricht thematisiert, erzählt sie, denn klar sei, dass sich digitale Innovation bei ihnen ohnehin verbreite. Gerade bei der jüngeren Schülerschaft bestehe dadurch die Gefahr, dass sie "ihr eigenes Denken abschalten" und Inhalte einfach übernehmen könnten.
Wie genau die Schule mit den Chancen und Risiken umgeht, darüber diskutiere sie schon seit zwei Monaten, sagt Schulleiter Christian Bayer. Klar sei aber, dass ein striktes Verbot keinen Sinn ergebe. "Wir müssen uns anpassen", meint er.
Das Stimmungsbild in der Klasse zu ChatGPT ist noch unterschiedlich, einige sehen aber wie die Lehrerin durchaus Potenzial für den Unterricht. Hausarbeiten bei der KI abschreiben, sei jedenfalls sinnlos, sagt eine Schülerin: "Die Lehrer wissen ja, wie ich schreibe." Ein anderer ergänzt: "Ich finde es interessant zu sehen, wo die Künstliche Intelligenz ihre Grenzen hat und wo man sein eigenes menschliches Wissen nutzen kann." Eine Schülerin bringt es scheinbar widersprüchlich auf den Punkt: "Ich finde es erschreckend, auf wie viele Arten es einem helfen kann."
ChatGPT gilt als enorm fortgeschritten
Seitdem ChatGPT im vergangenen November für die Öffentlichkeit freigeschaltet wurde, hat die Anwendung einen Hype entfacht. Im Kern ist ChatGPT ein Chatbot, der auf maschinellem Lernen beruht, einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz. Er wurde mit Unmengen an Text trainiert, um wie ein menschlicher Gesprächspartner antworten zu können. Im Bereich der sprachbasierten Anwendungen gilt die KI des milliardenschweren Unternehmens OpenAI als enorm fortgeschritten.
Die Konsequenzen für Schulen werden seit einigen Tagen diskutiert. Damit sind sie auch Thema für die Kultusministerkonferenz (KMK), in der sich die Bildungsminister der Bundesländer koordinieren. Ein Verbot von ChatGPT sei kaum zu überwachen und durchzusetzen, sagt Berlins Bildungssenatorin und KMK-Vorsitzende Astrid-Sabine Busse: "Wie will man kontrollieren, welcher Quellen sich die Schülerinnen und Schüler bei Hausaufgaben bedienen? Schule ist schon immer ein lernendes System. Und das muss und wird sich auch in der neuen Normalität einer digital geprägten Welt, in der KI zunehmend eine Rolle spielt, zeigen." Im Unterricht müsse das Phänomen aufgegriffen und zugleich kritisch hinterfragt werden.
"Das hat Elemente einer Revolution"
ChatGPT dürfte dabei nicht nur den Schulunterricht verändern. "Das hat Elemente einer Revolution", sagt Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel. Weßels befasst sich unter anderem mit den Folgen von Künstlicher Intelligenz im Bildungsbereich. "Der gesamte Schreibprozess, nicht nur in der Schule, wird sich durch leistungsstarke Werkzeuge wie ChatGPT ändern."
Der Chatbot kann vor allem als Inspirationsquelle dienen, als Schreibpartner, der die Kreativität anregt, wie Weßels beschreibt. Im Unterricht hieße das: Schüler und KI quasi im Tandem. Den Wahrheitsgehalt der Aussagen, die ChatGPT generiert, sollten die Nutzer jedoch überprüfen, denn der Bot "halluziniert", schreibt also auch fiktive Aussagen in seine Antworten. Faktenwissen bleibt daher weiterhin wichtig: "Schüler und Lehrer können als eine Art Gutachter auf die generierten Texte schauen und die Inhalte bewerten", sagt Weßels. So ähnlich also, wie das der Leistungskurs in Frankenthal bereits macht.
Künstliche Intelligenz stößt auch an Grenzen
Wie KMK-Präsidentin Busse spricht sich auch Weßels dafür aus, dass Schulen Anwendungen wie ChatGPT in den Unterricht integrieren, abhängig von der Altersstufe. Durch den Bot sei nun einmal mehr klar geworden, dass das reine Reproduzieren von Wissen - sprich Auswendig lernen und dann wieder vergessen - im Bildungsbereich überholt sei. Doch natürlich hat die Veränderung durch Künstliche Intelligenz auch ihre Grenzen, findet Weßels: "Im Umgang mit ChatGPT wird klar, dass unsere Intuition, also ein Gefühl auf Grundlage unserer Lebenserfahrung, ein großer Schatz ist, dessen wir Menschen uns bewusst sein müssen. Das kann uns die KI niemals abnehmen."
Auch im Karolinen-Gymnasium in Frankenthal erkennen Lehrer- und Schülerschaft die Grenzen der KI. Schulleiter Bayer fasst das in einer Anekdote zusammen: Im Dezember bat er ChatGPT, eine Weihnachtskarte für die Schule zu schreiben. Herausgekommen sei ein guter Text über die Schwierigkeiten für Bildungseinrichtungen während der Corona-Pandemie. Danach sollte der Bot eine Abitur-Abschlussrede für das Gymnasium schreiben. "Die war Gott sei Dank richtig schlecht", sagt Bayer. Unpersönlich und platt. Lebenserfahrung hat der Bot schließlich keine.