Neue Studie Noch weniger Zeit für 1,5-Grad-Klimaziel?
Wie viel Zeit hat die Menschheit noch, um das 1,5-Grad-Ziel des Klimaabkommens zu erreichen? Eine neue Studie kommt zu dem Schluss, dass das CO2-Budget schneller aufgebraucht sein könnte als bislang berechnet.
Das Ziel des Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, könnte noch schwieriger einzuhalten sein, als bislang angenommen. Eine Forschergruppe vom Imperial College London schließt aus neuen Daten und Berechnungen, dass die Menschheit deutlich weniger CO2 ausstoßen darf als noch im Sechsten Weltklimabericht geschätzt.
Bei weltweiten CO2-Emissionen auf dem Niveau von 2022 wäre diese Menge in etwa sechs Jahren aufgebraucht, schreibt die Gruppe um Robin Lamboll im Fachjournal "Nature Climate Change".
CO2-Restmenge deutlich geringer
Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich die Völkergemeinschaft darauf verpflichtet, die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius, möglichst aber auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. In den vergangenen Jahren haben Klimaforscher immer wieder anhand von Computermodellen und Berechnungen geschätzt, welche Menge an CO2 zu einer Erwärmung von maximal 1,5 Grad führt. Im Sechsten Weltklimabericht von 2021 lag diese Schätzung bei 494 Milliarden Tonnen CO2.
Bei einer Neuberechnung kamen Lamboll und Kollegen nun zu einer verbleibenden CO2-Menge von 247 Milliarden Tonnen CO2 - also der Hälfte der früheren Schätzung. Allerdings bezog sich im Weltklimabericht die Restmenge auf die Zeit ab Anfang 2020, während die aktuelle Studie Bezug auf die Zeit ab Anfang 2023 nimmt.
Neues Computermodell
Den Unterschied zur früheren Schätzung führen die Autoren unter anderem auf ein neues Computermodell zurück, das den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel simuliert. Zudem verwendete das Forschungsteam aktuellere Daten über tatsächliche CO2-Emissionen und über tauende Permafrostböden. Denn nach dem Rückgang des Ausstoßes im ersten Jahr der Corona-Pandemie - also 2020 - lag die Menge der weltweiten CO2-Emissionen 2022 wieder auf Vor-Corona-Niveau bei rund 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Falls die Menschheit in den nächsten Jahren nicht mehr als 247 Milliarden Tonnen CO2 ausstößt, dann besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt. Für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels wären es der Schätzung von Lamboll und Kollegen zufolge noch 1220 Milliarden Tonnen bei einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent.
Forscher: Anstrengungen auf keinen Fall aufgeben
Die Klimaforscherin Tatiana Ilyina von der Universität Hamburg hält die Resultate des Teams um Lamboll für seriös und belastbar. Die Studie zeige erneut, wie dringend eine schnelle Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen sei. "Wir werden voraussichtlich in diesem Jahr wieder die höchsten CO2-Emissionen aller Zeiten haben. Ich weiß nicht, was wir als Wissenschaftler noch tun sollen, damit die globale Politik sich wirklich anstrengt."
Zwar gebe es immer weniger Klimawandelleugner; aber immer häufiger heiße es, man könne den Klimawandel ohnehin nicht verhindern, also könne man so weiterleben wie bisher. "Der Klimawandel lässt aber nichts wie bisher", betont Ilyina.
Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institutes in Köln, sagt, dass die Studienergebnisse keinesfalls so gedeutet werden sollten, dass Anstrengungen zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen aufgegeben werden könnten. Im Gegenteil: "Selbst wenn 1,5 Grad im mehrjährigen Mittel überschritten werden, ist es gut, vorher so viele Emissionen wie möglich eingespart zu haben, da jede eingesparte Tonne zu geringerer globaler Temperaturerhöhung führt und damit zu geringeren Schäden."