PFAS-Test

PFAS Kampf gegen die Ewigkeitschemikalien

Stand: 30.10.2023 06:18 Uhr

PFAS sind wasser- und schmutzabweisend, säureresistent, druck- und hitzebeständig. Aber sie können auch krank machen und bleiben auf ewig in der Umwelt. Die EU diskutiert, ihre Verwendung radikal zu beschränken.

Von Roland Schenke, BR

PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Das sind industriell hergestellte organische Verbindungen, bei denen Wasserstoff- durch Fluoratome ersetzt werden. Das macht sie extrem widerstandsfähig. Mehr als 10.000 feste, flüssige und gasförmige Chemikalien gehören zu den PFAS.

Die Industrie setzt sie höchst vielfältig ein: von Zahnseide oder Lebensmittelverpackungen über die Halbleiterproduktion bis zu Autoreifen und Öl-Pipelines. PFAS gelangen so auch in die Umwelt und reichern sich an - als Produktionsrückstände, beim Benutzen von PFAS-haltigen Produkten und beim Entsorgen der Produkte im Hausmüll.

Warum PFAS so gefährlich sind

Seit den 1960er-Jahren wissen Hersteller von Krankheitsrisiken wie Krebs, wenn bestimmte PFAS in den menschlichen Körper gelangen. Trotzdem erklärten sie ihre Produktionsstätten und Produkte für unbedenklich. In den vergangenen 20 Jahren wiesen Forschende aber weltweit gefährliche Rückstände nach, die sich in Wasser, Böden, Pflanzen und Tieren ansammeln. PFAS finden sich selbst in den Polarregionen - und im Blut praktisch jedes Menschen.

Wie gefährlich das ist, erklärt Marike Kolossa-Gehring, Chef-Toxikologin am Umweltbundesamt:

PFAS können auf die Fruchtbarkeit wirken, auf die Spermaqualität oder auch auf die Entwicklung des Kindes im Mutterleib. Sie können die Reaktion bei Impfungen herabsetzen. Einige werden als krebserzeugend eingestuft.
Marike Kolossa-Gehring, Toxikologin

Testfall für eine Chemiewende?

Viele Forschende fordern ein Umdenken. Martin Scheringer, Umweltchemiker an der ETH Zürich, sagt: "Wir brauchen eine Chemiewende, also eine andere Art, wie wir chemische Produkte sehen, wofür wir sie einsetzen, in welchen Mengen wir sie einsetzen." Deutschland und vier andere EU-Staaten haben dazu Anfang 2023 bei der EU-Chemikalienbehörde ECHA einen Vorschlag eingebracht: Die Herstellung, Verwendung und das Inverkehrbringen soll für alle PFAS beschränkt werden. Das würde das aktuelle Verfahren umdrehen, nach dem nur "besonders besorgniserregende" Chemikalien eine Zulassung brauchen.

Ein halbes Jahr lang konnten Bürger, Unternehmen und Organisationen den Vorschlag kommentieren. Vor allem Industrieunternehmen haben das mit Rekordbeteiligung getan. Sie warnen, dass die moderne Welt ohne PFAS nicht funktioniert. Bernhard Langhammer, Sprecher von ChemDelta Bavaria, fragt: "Wollen wir jetzt auf Elektromobilität verzichten? Wollen wir auf Chipproduktion verzichten? Wollen wir auf die 5G-Technologie verzichten, auf Brennstoffzellen?" Wer sich politisch durchsetzt, entscheiden letztlich EU-Kommission, EU-Regierungen und EU-Parlament. Aber wer hat recht? Ist die PFAS-Chemie alternativlos, oder ist der Ausstieg aus der PFAS-Chemie zu schaffen?

Trocken und sauber ohne PFAS

Es gibt Beispiele, die zeigen, dass es auch ohne PFAS geht: Funktionsjacken gehörten zu den ersten Produkten, bei denen Hersteller PFAS (früher PFC genannt) ersetzen wollten. Doch vergleichbare, wasserabweisende und atmungsaktive Stoffe ohne PFAS hat die Industrie nicht entwickelt. Bis eine Greenpeace-Kampagne die Outdoor-Industrie unter Druck setzt und viele Hersteller Alternativen nachfragen. Anfangs funktionieren die PFAS-freien Textilien vergleichsweise schlecht, aber heute sind sie genauso wasserabweisend - brauchen allerdings etwas mehr Pflege. Auch bei Papier und Kochutensilien bietet die Industrie inzwischen gute Alternativbeschichtungen.

PFAS-Quelle Feuerwehr

Flugplätze und ihre Umgebung sind oft hoch mit PFAS belastet. Das liegt am Löschschaum, den Feuerwehren bei Bränden und Übungen in großen Mengen einsetzen. Lange enthielt der Schaum PFAS-Zusätze, die das Löschen erleichtern. Der Schaum gelangte ins Abwasser oder versickerte im Boden, wo die PFAS auf viele Jahrzehnte Grundwasser und Nahrungsmittel verseuchen können.

In Zukunft sind solche Schäume in der EU nicht mehr zugelassen. Gut funktionierende PFAS-freie Alternativen gibt es seit Jahren, aber Feuerwehren müssen das Löschen damit neu lernen und ihr Equipment umrüsten - was noch Jahre dauern wird. So ist eine Quelle von PFAS zwar eingedämmt, doch die PFAS-Altlasten bleiben.

Keine PFAS, keine Energiewende?

PFAS stecken in vielen Geräten, die den Einsatz erneuerbarer Energien ermöglichen. Manchmal sind sie schwer zu ersetzen, wie in den Trennschichten von Lithium-Batterien oder den Membranen von Brennstoffzellen. Obwohl hier für einige Bauteile bereits Alternativen entwickelt worden sind, dauert es noch Jahre, bis komplette Lösungen am Markt sind. Anders sieht es bei Wärmepumpen aus. Noch zirkuliert in den meisten Wärmepumpen aber PFAS-Gas - genau wie in fast allen Klimaanlagen und vielen Kühlgeräten.

Daher machen Kältemittel mengenmäßig aktuell auch den größten Teil aller verwendeten PFAS aus. Bei den Wärmepumpen bieten aber heute schon alle großen Hersteller auch Modelle mit PFAS-freien Kältemitteln an - meistens Propan, das teilweise sogar leistungsfähiger ist als die bisher genutzten PFAS-Gase.

PFAS zu ersetzen, bleibt also eine Mammutaufgabe, kostet Zeit und Geld. Aber Lösungen scheinen fast überall möglich zu sein. Und in Anbetracht der Altlasten, die die PFAS-Chemie hinterlässt, dürfte sich der Ausstieg langfristig auch rechnen.

Mehr zum Thema sehen Sie in der ARD-Wissen-Dokumentation "PFAS - Gift für die Ewigkeit" am Montagabend um 22:50 Uhr im Ersten.

Norbert Kuntze, RB, tagesschau, 27.10.2023 06:45 Uhr