PFAS
Exklusiv

Lobbykampf  Wie viel Gift braucht die Wärmepumpe? 

Stand: 23.02.2023 12:08 Uhr

Die Wärmepumpe gilt als wichtiger Hebel gegen den Klimawandel und die Abhängigkeit von Gasimporten. Doch in vielen Geräten schlummert Gift - für manche ein notwendiges Übel.

Carola Laschen wusste irgendwann, was nach der 30 Jahre alten Gasheizung kommen sollte: eine Wärmepumpe, im Garten vor dem Haus. Laschen spricht von zwei Gründen für ihre Entscheidung: "Man denkt dann auch so ein bisschen an die Umwelt - und an die Gaspreise. Und da war die Wärmepumpe eigentlich eine ganz gute Alternative." 

So wie Familie Laschen aus Schleswig-Holstein entscheiden sich seit ein paar Jahren immer mehr Deutsche: Die Zahl der installierten Wärmepumpen ist stark gestiegen. Insgesamt rund 1,4 Millionen Wärmepumpen sind aufgebaut. Und ab 2024 sollen pro Jahr 500.000 neue dazukommen - das ist jedenfalls das Ziel von Industrie und Bundesregierung.

Jahrhundertgift als Kältemittel

Mit ihrer Wärmepumpen-Offensive fordert die Politik gleich zwei Gegner heraus: den Klimawandel und Wladimir Putin, von dessen Erdgas man sich lange abhängig gemacht hat. Dafür ziehen Politik und Wirtschaft an einem Strang. Die Wärmepumpe soll ein Erfolg werden. Doch es gibt ein großes Aber, wie jetzt eine Recherche von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung” (SZ) zeigt. Grund dafür ist ein Streit um das sogenannte Kältemittel, dem Herzstück jeder Pumpe.

Das Kältemittel ist entscheidend für die Wirksamkeit einer Wärmepumpe. Es fließt in einem Kreislauf, nimmt Wärme von außen auf, wird dann komprimiert - und dadurch erhitzt. Die gewonnene Wärme gibt es anschließend an das Heizsystem des Hauses ab. Kühlt es schließlich ab, beginnt der Kreislauf von vorne.

Doch es gibt ein Problem: In den meisten Fällen beinhaltet das Kältemittel heute künstliche Gase der Stoffgruppe der Per- und Polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Diese F-Gase werden für so giftig und persistent erachtet, dass sie in Europa bereits in wenigen Jahren ganz überwiegend verboten sein sollen.

Das Risiko bei Wärmepumpen: Auch wenn sich das Kältemittel in Wärmepumpen eigentlich in einem geschlossenen Kreislauf befindet - immer wieder kann es zum Austritt kommen, vor allem bei der Entsorgung. Das Gift soll auch aus den Pumpen raus. Doch dagegen gibt es Widerstand, und zwar mit fragwürdigen Argumenten. Dutzende interne Dokumente, die zwischen Regierung und Industrie ausgetauscht wurden, zeigen: Es ist ein Lehrstück über Lobbyismus.

Lobbyisten plädieren für Ausnahmeregeln

Exemplarisch dafür steht ein Schreiben des Wärmepumpenverbandes BWP von 2021 an das Umweltministerium. In dem Verband sind nach eigenen Angaben Teile der Heizungsindustrie, Energieversorger und mehr als 500 weitere Mitglieder wie zum Beispiel Handwerker vertreten. Auch alle großen deutschen Hersteller sind dabei. In dem Dokument ans Umweltministerium stellte der Verband zunächst die Maximalforderung: Sie wollten eine komplette Ausnahme. "F-Gase sollten beim Beschränkungsvorschlag für PFAS ausgeschlossen werden", heißt es in dem Schreiben, das per Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zugänglich gemacht wurde.

Das Argument der Lobby: Ohne F-Gase seien die Klimaziele nicht zu erreichen. Die Botschaft war deutlich: Klimaschutz und Kältemittel in Gift - beides zusammen geht nicht. Aber stimmt das auch? Die Adressaten überzeugte das Lobbypapier jedenfalls nicht. "Die Darstellung ist teilweise so verallgemeinert, dass falsche Tatsachen suggeriert werden", schrieb zum Beispiel eine Mitarbeiterin des Umweltbundesamtes in einer Mail. Der erste Versuch der Lobby war gescheitert.

Schon heute Alternativen

Tatsache ist, dass mittlerweile fast alle großen Pumpenhersteller Pumpen mit natürlichen Kältemitteln im Angebot haben. Besonders beliebt ist Propan - das Gas, das man etwa vom Gasgrill im Garten kennt. Es ist umweltfreundlich und quasi unbegrenzt verfügbar. Wenn es aber diese Alternative gibt - warum setzt sich der Wärmepumpen-Verband dann derart für PFAS-Kältemittel ein? 

Martin Sabel ist Geschäftsführer des BWP. Er meint, Propan sei keine gleichwertige Alternative. Er verteidigt seine Position auch im Interview. Sabel spricht von einem Sicherheitsrisiko bei Propan. Als Kältemittel bringe es "gewisse Sicherheitsherausforderungen mit sich, weil es halt einfach leicht entzündlich ist". Trete Propan aus, könne es zu "explosiven Gemischen" kommen. Auch der Bund der Deutschen Industrie (BDI) weist in einem Positionspapier auf eine Explosionsgefahr hin.

Brandgefahr überschaubar

Das stimmt und niemand bestreitet: Propan kann sich relativ leicht entzünden. Aber ist die Gefahr tatsächlich so groß, dass Propan als Kältemittel zu gefährlich ist? Clemens Dankwerth forscht in Freiburg an Propan-Wärmepumpen. Der Projektleiter hat mit seinem Team vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) gerade einen Effizienzrekord aufgestellt. Seine neue Pumpe enthält nicht mehr Propan als ein Campingkocher. 

Ist Propan als sicheres und effizientes Kältemittel trotzdem nur Zukunftsmusik? Von wegen, meint Dankwerth: "In den letzten zwei, drei Jahren sind schon einige Wärmepumpen auf den Markt gekommen, die außen aufgestellt werden und Propan als Kältemittel nutzen", sagt Dankwerth. "Und in Zukunft, in den nächsten zwei, drei Jahren wird es auch Propan-Wärmepumpen gehen, die im Inneren von Häusern aufgestellt werden." 

Die Botschaft des Forschers ist eindeutig: Schon heute kann fast jedes Ein- und Zweifamilienhaus mit Wärmepumpen beheizt werden, die mit Propan-Kühlmittel betrieben werden - und das quasi gefahrlos. Denn beim Haus mit Garten kann eine Wärmepumpe mit entsprechender Heizleistung im Freien quasi immer problemlos aufgestellt werden.

Hersteller führen mangelnde Kapazitäten an

Beschränkungen durch Sicherheitsbestimmungen gibt es in solchen Fällen kaum. Dieser potentielle Markt ist riesig: In Deutschland gibt es mehr als 15 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser - aber bislang erst 1,4 Millionen Wärmepumpen. Es gibt mit Propan also eine saubere Alternative zu PFAS und außerdem Millionen mögliche Kunden. Eigentlich steht dem Markthochlauf nichts im Weg. 

BWP-Geschäftsführer Sabel aber bremst erneut: "Wir müssen über die technische Machbarkeit sprechen, und man muss über die Herstellungskapazitäten reden", sagt Sabel. 500.000 neue Wärmepumpen pro Jahr seien ambitioniert. Auf die Frage, ob Hersteller in den vergangenen Jahren vielleicht geschlafen hätten, wiegelt er ab: "Sie haben nicht geschlafen, sie haben andere Prioritäten gesetzt."

Branchenriese widerspricht

Bei einem Branchentreffen Ende 2022 wiederholte der Verbandsgeschäftsführer formelhaft seine Forderung nach ausreichend langen Übergangszeiten für PFAS. Doch ausgerechnet ein Industrievertreter machte seinem Unmut dann Luft - und widersprach Sabel: "Der Wärmepumpenhochlauf ist durch den Umstieg auf natürliche Kältemittel in keiner Weise gefährdet - in keiner Weise!", sagte der Vertreter von Viessmann. Im Internet gibt es ein Video davon.

Im Massenmarkt für kleine und mittelgroße Häuser könne man "in kürzester Zeit auf natürliche Kältemittel vollständig umsteigen". In einem Markt, der klar auf Ökologie ausgerichtet sei, "müssen wir nicht auf den Allerletzten warten!" Damit war klar: Ein Graben durchzieht selbst die Branche. 

Kein Kompromiss in Sicht

Wie der Streit nun ausgehen wird, ist ungewiss. Ein erster Vorschlag der Behörden sieht für das PFAS in Wärmepumpen recht kurze Übergangsfristen vor. Schon bald beginnen die Konsultationen zum Verbotsverfahren. Wofür sich die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten am Ende entscheiden werden? Das ist noch unklar. Klar ist wohl nur: Die Lobbyschlacht geht weiter. Auf Anfrage antwortet das Wirtschaftsministerium recht allgemein, man "strebe den Umstieg auf die Nutzung von natürlichen Kältemitteln an". Dafür sei man "aktuell in politischen Gesprächen".

Berlin, Herbst 2022. Der Wärmepumpenverband hat in der Hauptstadt zum Branchentreff geladen. Auf der Bühne steht Habecks wichtigster Beamter für das Thema. Staatssekretär Patrick Graichen wird um seine Meinung gebeten: Wie geht es weiter mit den künstlichen Kältemitteln? Wird es ausreichende Übergangszeiten geben? Was Graichen verspricht: "Das Thema ist von unserer Seite erkannt." Man werde entsprechend in Brüssel aktiv werden. Eine gute Lösung werde man finden - "im vertrauensvollen Dialog mit der Branche".  

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Februar 2023 um 10:00 Uhr.