Atemwegserkrankungen Wie schlimm ist die aktuelle Erkältungswelle?
Husten und Schnupfen an jeder Ecke - gefühlt sind aktuell besonders viele krank. Doch wie stark ist die Krankheitswelle momentan wirklich?
Die Erkältungswelle ist wie schon im vergangenen Jahr auch aktuell ungewöhnlich heftig. Knapp zehn Prozent der Deutschen hatten laut Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) vergangene Woche eine akute Atemwegserkrankung. Das entspricht 7,9 Millionen Fällen. Damit infizieren sich in diesem Jahr wieder deutlich mehr Menschen mit Atemwegserregern als in den Jahren vor der Pandemie. Vor einem Jahr lag die Zahl der Infektionen hingegen noch etwas höher.
Diese Daten stammen aus einem Surveillance-Programm des Robert Koch-Instituts. Hier melden Freiwillige wöchentlich ihren Krankheitsstatus. Die Ergebnisse werden dann auf ganz Deutschland hochgerechnet.
Trotz der vielen Atemwegsinfektionen gehen derzeit weniger Menschen zum Arzt als noch vor einem Jahr. Anfang Dezember gab es laut RKI rund zwei Millionen Arztbesuche wegen einer akuten Atemwegserkrankung.
Wie viele Menschen haben gerade Corona?
Laut aktuellem RKI-Bericht sind Coronaviren derzeit für etwa ein Viertel der akuten Atemwegserkrankungen verantwortlich. Diese Zahlen bestätigt auch eine Hochrechnung der Universität Mainz für Rheinland-Pfalz. Freiwillige testen sich hier jede Woche selbst und melden die Ergebnisse. Demnach hatten Anfang Dezember zwei Prozent der Rheinland-Pfälzer eine Corona-Infektion.
Auch aktuelle Daten des Abwassermonitorings deuten auf ein hohes Infektionsgeschehen hin. Laut RKI steigt die Menge von im Abwasser befindlichen Coronavirus-Bestandteilen seit Anfang Juli stetig an. Anfang Dezember war die Viruslast pro Liter so hoch wie noch nie. Das heißt aber nicht unbedingt, dass es sich bei den Infektionen derzeit um einen Rekord handelt. Denn aktuell melden viel mehr Kläranlagen Daten als zu den Hochzeiten der Pandemie - die Messergebnisse sind also nur schwer vergleichbar.
Warum ist die aktuelle Erkältungswelle stärker als in den Jahren vor der Pandemie?
Derzeit infizieren sich viele Menschen in Deutschland - auch mit anderen Atemwegserregern als Corona. Ein möglicher Grund: Während der Pandemie hatten wir durch Infektionsschutzmaßnahmen weniger Kontakt zu solchen Erregern. Gerade bei den typischen Erkältungsviren schützt uns eine Infektion oft nur wenige Jahre, und man infiziert sich immer wieder. Ein Teil der Infektionen ist während der Pandemie ausgefallen und wird möglicherweise noch nachgeholt.
Hinzu kommt: Selbst wenn die typischen Erkältungskrankheiten in der Wintersaison auf einem durchschnittlichen Niveau wären, muss man durch Corona mit zusätzlichen Fällen rechnen: "Wir haben jetzt einen Erreger mehr, und wir sehen, dass wir dieses Jahr auch schon auf sehr hohem Niveau sind, was diese akuten Atemwegsinfektionen angeht", sagt der Immunologe Carsten Watzl von der Technischen Universität Dortmund im Interview mit dem SWR.
Auch in den nächsten Jahren könnten die Erkältungswellen noch heftiger ausfallen, sagt Watzl: "Aktuell führt das Coronavirus zu 25 Prozent der Atemwegserkrankungen." Das könnte auch in den nächsten Jahren noch so bleiben.
Wie trägt die Grippe zum Infektionsgeschehen bei?
Viel wird davon abhängen, wann die Grippewelle beginnt und wie stark sie sein wird. In der vergangenen Erkältungssaison hat die Grippewelle schon Mitte November begonnen. In diesem Jahr deutet sich jetzt erst Mitte Dezember ein langsamer Anstieg der Grippefälle an.
"Wir haben Glück, dass jetzt gerade Corona ein starkes Infektionsgeschehen verursacht, aber die Influenza noch nicht so stark ist", sagt Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, im Interview mit dem SWR. Wenn Corona- und Grippewelle gleichzeitig auftreten, wäre das eine zusätzliche Belastung.
Wie ist die aktuelle Infektionslage in den Kliniken?
Im Vergleich zum vergangenen Jahr ist die Situation aktuell etwas entspannter: Insgesamt wurden in den letzten Wochen weniger Patienten neu aufgenommen als in diesem Zeitraum 2022. Bei 28 Prozent dieser Fälle lag Anfang Dezember eine Corona-Infektion vor. Auch SWR-Recherchen ergeben: Auf den Intensivstationen der Unikliniken im Südwesten müssen aktuell nur wenige Patienten wegen einer akuten Corona-Infektion behandelt werden.
Ein besonderer Fall sind die Kinderkliniken: Denn hier mussten in den vergangenen beiden Jahren viele Kleinkinder und Babys wegen des Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) behandelt werden. Die Zahl der schweren RSV-Fälle war deutlich gestiegen: Im Winter 2022/23 waren laut einem Bericht der DAK fünfmal so viele Säuglinge in stationärer Behandlung wie 2018 - also vor der Corona-Pandemie. Doch die Lage hat sich offenbar im Vergleich zum vergangenen Jahr verändert: 2022 begann die RSV-Welle bereits im Oktober - in diesem Jahr erst Anfang Dezember.
Entspannt ist die Lage in den Krankenhäusern deshalb allerdings nicht: In vielen Kliniken gilt seit einigen Wochen eine Maskenpflicht für Besuch und Personal. Häufig werden Patienten bei der Neuaufnahme auf Influenza, RSV und das Coronavirus getestet. Teilweise müssen auch Patienten auf bestimmten Stationen Masken tragen. Die Regelungen sind jedoch von Klinik zu Klinik sehr unterschiedlich. Auch in Altersheimen trägt das Pflegepersonal wieder häufiger einen Mundschutz.
Ist es für eine Impfung gegen die Grippe oder das Coronavirus schon zu spät?
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt derzeit eine jährliche Auffrischimpfung gegen Corona für Personen über 60 Jahre und Risikopatienten. Allerdings sollte nicht nur die letzte Impfung, sondern auch die letzte Corona-Infektion mindestens 12 Monate zurückliegen. Auch für Personen mit Vorerkrankungen wird die Impfung weiterhin empfohlen: Das betrifft vor allem Patienten mit Vorerkrankungen, die das Immunsystem betreffen: "Zum Beispiel, wenn man eine Autoimmunerkrankung hat oder Medikamente nimmt, die das Immunsystem unterdrücken. Da kann man immer noch schwer an Corona erkranken", sagt der Immunologe Watzl. Für diese Patientengruppen sei eine Corona-Auffrischungsimpfung nach wie vor sinnvoll.
Auch für eine Grippeschutzimpfung ist es in diesem Jahr noch nicht zu spät. Nach zehn bis 14 Tagen hat sich der volle Schutz der Impfung normalerweise aufgebaut. Da die Grippewelle dieses Jahr noch nicht begonnen hat, ist bis zu ihrem Höhepunkt noch etwas Zeit. Im vergangenen Jahr begann die Grippewelle schon Mitte November, dieses Jahr werden erst seit kurzem vermehrt Fälle gemeldet.