Abwasserlabor

Abwassermonitoring Ein Frühwarnsystem nicht nur für Corona

Stand: 11.10.2023 17:14 Uhr

Im Abwasser lässt sich das Krankheitsgeschehen der Bevölkerung verfolgen und zwar kostengünstig und zuverlässig. In Bayern sollen so nicht nur das Coronavirus, sondern auch Grippeviren und andere überwacht werden.

Von Jan-Claudius Hanika, br

Wenn zahllose Menschen dicht gedrängt in einem Bierzelt auf dem Oktoberfest laut feiern und singen, haben Atemwegsinfekte fantastische Bedingungen, sich auszubreiten. Das zeigen nicht nur mehr Krankmeldungen in München, sondern auch Untersuchungen des Abwassers.

Schon vor der Wiesn gab es darin einen Aufwärtstrend bei der Coronavirus-Konzentration. Mit Beginn des Oktoberfests aber sei diese nochmals rapide angestiegen, sagt der Infektions- und Tropenmediziner Andreas Wieser von der Universität München. Er nimmt Abwasserproben und analysiert sie.

Auch nach dem Oktoberfest wuchs die SARS-CoV-2-Virenlast weiter: Die aktuellen Daten des Verbundprojekts Bay-VOC von Anfang Oktober zeigen in München und Umgebung einen Anstieg um rund 30 Prozent im Vergleich zur Vorwoche.

Abwassermonitoring seit Jahrzehnten im Einsatz

Abwasseranalysen gibt es schon seit Jahrzehnten. Gesucht wird zum Beispiel nach dem Poliovirus, das Kinderlähmung auslöst. Viren im Abwasser zeigen frühzeitig einen Ausbruch der fast ausgerotteten Krankheit an. Auch das Coronavirus SARS-CoV-2 lässt sich mit der PCR-Technik in der Kanalisation aufspüren. Einer der ersten Orte, an dem dies getan wurde, war Ischgl in Österreich. Eines der ersten Superspreading-Events bescherte dem Skiurlaubsort zu Beginn der Pandemie zusätzliche Bekanntheit.

Coronavirus vermehrt sich auch im Darm

Wissenschaftler machen sich zunutze, dass sich Coronaviren auch im Verdauungstrakt vermehren und so ins Abwasser gelangen. Oft werden sie in großen Mengen ausgeschieden, noch bevor die ersten Symptome auftreten. Abwassermonitoring ist daher eine kostengünstige Methode, die Zahl der Infektionen bei einer großen Anzahl von Menschen zu überwachen und vorherzusagen, wo ein Anstieg der Fälle bevorstehen könnte. Eine genetische Sequenzierung der ausgeschiedenen Viren zeigt zudem, welche Varianten gerade dominieren und ob sich neue ausbreiten.

Die zuverlässige Bestimmung der Viruskonzentration im Abwasser ist aber nicht so einfach. Die Proben enthalten unterschiedliche Mengen an Fäkalien, je nach Tag und Uhrzeit der Probenahme, den jüngsten Regenfällen und je nachdem, ob sich die weiter oben gelegenen Toiletten in Wohnungen, Büros oder anderen Gebäuden befinden. Diese Variablen müssen berücksichtigt werden, um eine Probe exakt interpretieren zu können.

Auch Influenza und RSV sollen überwacht werden

In Bayern wird derzeit an 24 Orten zweimal in der Woche das Abwasser auf Virus-Bestandteile untersucht. Sie decken rund 30 Prozent der Bevölkerung ab. Geplant sind 30 Standorte. Dort sollten dann nicht nur das Coronavirus, sondern auch andere Keime wie das Influenzavirus und das weit verbreitete Erkältungsvirus RSV (Respiratorische Synzytial-Virus) überwacht werden, sagt der Virologe Oliver Keppler, Vorstand des Münchner Max-von-Pettenkofer-Instituts.

Auch viele andere Erreger ließen sich mit dem Abwasser-Monitoring überwachen. Allerdings sieht er auch die Grenzen dieser Methode: Sie erlaube keinen Rückschluss auf die Krankheitsschwere, die Zahl der infizierten Menschen oder den Ort der Übertragung des Infektionserregers. "Insbesondere die Krankheitslast muss in der ärztlichen Versorgung beurteilt werden", sagt Keppler.

Das "vielleicht demokratischste Untersuchungsmaterial"

Die Vorteile des Abwassermonitorings sind jedoch offensichtlich. "Ich sehe Abwasser als das vielleicht demokratischste Untersuchungsmaterial, das wir haben, denn jeder nimmt daran teil, und es ist anonym", sagt Tropenmediziner Wieser. Die Herkunft des Abwassers ist unbekannt, bietet aber einen guten Querschnitt der Bevölkerung. Dass niemand dafür mit einem Wattestäbchen in Nase oder Rachen herumstochern muss, ist ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil.

Im Herbst steigt die Zahl der Atemwegserkrankungen

Auch wenn die Covid-19-Fallzahlen und die Viruskonzentration an vielen Orten derzeit steigen, bestehe kein Grund zur Sorge, sagt Virologe Keppler. Im Herbst steige generell die Zahl der mit Atemwegserkrankungen infizierten Menschen.

So sieht das auch der Infektiologe Christoph Spinner vom Klinikum Rechts der Isar: "Unsere Immunkompetenz in der Bevölkerung ist nach Impfung und Genesung so stark, dass wir auch gegenüber möglichen neuen Varianten vor schweren Verläufen zuverlässig geschützt sind." Menschen aus Risikogruppen, wie Ältere und chronisch Kranke, sollten sich jedoch, so der Infektiologe, gegen Influenza und Covid-19 impfen lassen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet Bayern 2 Radiowelt am 06.10.2023 um 06:22 Uhr