Rückstände in Gewässern Industrie soll für Abwasserreinigung zahlen
Die EU erwägt, die Pharma- und die Kosmetikbranche an den Kosten der Abwasserreinigung zu beteiligen. Damit weniger gefährliche Produktreste in Flüssen und Meeren landen, sollen sie die Nachrüstung von Kläranlagen mitfinanzieren.
80 Prozent der problematischen Stoffe in Gewässern stammen laut EU-Kommission aus kosmetischen und pharmazeutischen Produkten. Sie können in Kläranlagen nur in geringem Umfang aus dem Abwasser entfernt werden. Daher werden sie tonnenweise in Gewässer eingeleitet und schädigen dort die Ökosysteme. Das soll sich mit der aktuellen Überarbeitung der Kommunalabwasserrichtlinie ändern.
Nachrüstung der Kläranlagen geplant
Die EU-Kommission plant, dass bis Ende 2035 alle Kläranlagen, die das Abwasser von mehr als 100.000 Menschen reinigen, mit einer vierten Reinigungsstufe ausgestattet werden müssen. Bisher verfügen die meisten Kläranlagen nur über zwei bis drei Reinigungsstufen. Bis 2040 sollen dann alle Gemeinden mit 10.000 bis 100.000 Einwohnern verpflichtet werden, ihre Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe auszustatten.
So möchte die EU-Kommission ihr Ziel umsetzen, bis 2050 Schadstoffe in Gewässern so zu verringern, dass Ökosysteme nicht mehr geschädigt werden. Die Nachrüstung der Kläranlagen wird nach Schätzungen der EU-Kommission jährlich etwa 3,8 Milliarden Euro kosten. Eine Milliarde Euro pro Jahr sollen nach dem Vorschlag der EU-Kommission die Hersteller von Arzneimitteln und Kosmetikprodukten übernehmen.
Verband der Arzneimittelhersteller lehnt Vorschlag ab
Der Verband der Arzneimittelhersteller, BAH, kritisiert den Vorschlag der EU-Kommission als völlig unausgegoren, da er zu viel zu hohen Kosten für die Arzneimittelhersteller führe. Ein großer Teil der hergestellten Medikamente seien Generika. Der Gesamtmarkt aller Generika-Hersteller mache laut BAH in Deutschland lediglich zwei Milliarden Euro aus. Es sei daher unmöglich, gemeinsam mit den Kosmetikherstellern eine Milliarde Euro für die Kläranlagen aufzubringen.
Außerdem sei es unfair, nur die Hersteller von Humanpharmaka und Kosmetikhersteller an den Kosten zu beteiligen, obwohl die vierte Reinigungsstufe auch problematische Stoffe aus anderen Branchen entferne. Um diesem Problem zu begegnen, hat der Umweltausschuss im Europäischen Parlament am 21. September ein Monitoring vorgeschlagen: Alle fünf Jahre solle überprüft werden, für welche weiteren Stoffe sich Hersteller an der Abwasserreinigung beteiligen müssen.
Wasserverbände begrüßen Herstellerbeteiligung
Für den Verband kommunaler Unternehmen ist die Überarbeitung der Kommunalabwasserrichtlinie ein überfälliger Paradigmenwechsel. Die Verursacher von Gewässerverunreinigungen würden so endlich in die Pflicht genommen. Der Staat sei für das Erreichen der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie verantwortlich, so die Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft. Daher müsse der Staat als Koordinator und Lenker zwischen Kläranlagen und Herstellern operieren, damit gemeinsam ein besserer Gewässerschutz erreicht werden könne.
Besonders wassergefährdend: Diclofenac
Für Gewässer besonders problematisch ist der Schmerzmittelwirkstoff Diclofenac. Aufgrund einer französischen Studie wird dafür aktuell ein neuer EU-Grenzwert für Gewässer von nur noch 0,04 µg/l (Mikrogramm pro Liter) diskutiert. Versuche haben gezeigt, dass schon bei geringeren Konzentrationen mehr Fische und Muscheln sterben als bisher angenommen. Ohne eine Nachrüstung der Kläranlagen kann in vielen Fließgewässern eine Diclofenac-Konzentration von nur 0,04 µg/l nicht erreicht werden.
Im Juli analysierte ein Labor im Auftrag des NDR die Wasserprobe aus einem Klärwerksauslauf in Lübeck. Sie enthielt 2,93 µg/l Diclofenac. Im angrenzenden Fluss wurden bei einer Stichprobe 0,86 µg/l Diclofenac festgestellt. Das ist mehr als das 20-fache des aktuell diskutierten Grenzwerts. Im Auslauf der größten kommunalen Kläranlage Deutschlands in Hamburg lag die Diclofenac-Konzentration im September bei 2,84 µg/l. An der offiziellen Elbe-Messstelle Seemannshöft wird der diskutierte Grenzwert derzeit um das zwei- bis siebenfache überschritten.
Wenig Nutzen, großer Umweltschaden?
Besonders viel Diclofenac gelangt aus Schmerzgels oder Salben in Gewässer. Laut Umweltbundesamt sei die Wirkung bei vielen Indikationen fragwürdig. Der Hersteller des Marktführers Voltaren erklärt hingegen, das Präparat sei zugelassen und Diclofenac werde ausreichend über die Haut aufgenommen, um eine therapeutische Wirkung zu erzielen. In der Fachinformation für Ärzte informiert der Hersteller, dass sechs Prozent Diclofenac über die Haut einziehen. "Das restliche Diclofenac kommt eben nicht an den Wirkort, an die schmerzende Stelle und gelangt trotzdem in die Umwelt", sagt Gerd Maack vom Umweltbundesamt.
Der Jahresverbrauch von Diclofenac-Cremes hat sich laut Umweltbundesamt in den vergangenen zehn Jahren von 26 auf 51 Tonnen fast verdoppelt. Der nächste Schritt auf dem Weg zu einer neuen Kommunalabwasserrichtlinie: Am 5. Oktober berät das Europaparlament.