Booster für den Booster Wann die vierte Corona-Impfung sinnvoll ist
Die vierte Corona-Impfung soll den Schutz vor einer schweren Erkrankung verbessern. Doch die Fachwelt ist sich uneins: Wann und für wen ist sie empfehlenswert?
Die Zeit vergeht, aber Corona begleitet das Leben der Menschen spürbar weiter. Mittlerweile steht die vierte Impfung bereit - der Booster für die Booster-Impfung. Diese erhielten bisher 6,6 Millionen Deutsche, die meisten davon waren über 60. Ist die Impfung auch für die breite Bevölkerung sinnvoll - und wenn ja, ab wann?
Wer soll geimpft werden?
Hier gehen die Meinungen der Expertinnen und Experten auseinander. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hält eine zweite Auffrischungsimpfung bisher nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung für notwendig. Sie empfiehlt die vierte Impfung für Patientinnen und Patienten mit unterdrücktem Immunsystem, Pflegeheimbewohnende, Personal medizinischer Einrichtungen und Menschen ab 70 Jahren.
Für eine zweite Booster-Impfung ab 60 Jahren sprachen sich hingegen die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und das Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) aus. So sollen während der aktuellen Sommerwelle große Krankheitswellen und eine Überlastung der Krankenhäuser vermieden werden.
Von einer vierten Impfung können nach aktuellem Wissensstand vor allem diejenigen profitieren, deren Immunsystem auf die ersten drei Impfungen nicht optimal reagiert hat. Das ist vor allem bei Älteren und Immungeschwächten zu erwarten. Eine Blutprobe kann helfen, den Immunschutz einzuschätzen. Momentan zeige sich aber nur bei wenigen Personen eine zu schwache Immunantwort, beobachtet Andreas Radbruch vom Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin. Für Menschen mit guter Reaktion auf die ersten drei Impfungen wäre eine vierte Impfung aus seiner Sicht nicht wirklich notwendig.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) legt Erwachsenen unter 60 die vierte Impfung in bestimmten Fällen nahe. Er empfehle Jüngeren, für die vierte Impfung den Hausarzt aufzusuchen, sagte er tagesschau.de. Er kenne viele Hausärzte, die dann individuell entscheiden würden. Für Menschen unter 60 könne die vierte Impfung in bestimmten Fällen sinnvoll sein, insbesondere wenn sie "ganz viele Kontakte" hätten.
Wann soll geimpft werden?
Wie auch die dritte Impfung sollte die vierte in einem deutlichen Abstand zur vorherigen Impfung oder Corona-Erkrankung stattfindet - im Idealfall nicht früher als sechs Monate danach. Risikopatienten könnten sich laut STIKO aber auch früher impfen lassen. Bei ihnen nimmt der Impfschutz in der Regel schneller ab. Mindestens drei Monate sollte die dritte Impfung aber vergangen sein, so die Empfehlung.
Diese Pause sei nötig, weil die optimale Reifung der Immunzellen Zeit brauche. Außerdem müssten vorher gebildete Gedächtniszellen erneut aktiviert werden, sagt Infektionsimmunologie und STIKO-Mitglied Christian Bogdan.
Was kann bei zu frühem Boostern passieren?
Nach einer Impfung lernen die verbleibenden Antikörper mit der Zeit, das Virus besser zu binden und können es so effektiver bekämpfen. Studien zeigen, dass dieser sogenannte Affinitätsprozess bei gesunden Menschen mindestens sechs Monate lang anhält. Manche Experten - darunter Bogdan und Radbruch - befürchten, dass eine verfrühte vierte Impfung diesen Prozess abschwächen könnte. Diese These ist umstritten: Es gebe bisher keine Studien, die einen negativen Effekt auf den Impfschutz belegen, erklärt Andreas Thiel von der Charité Berlin.
Welche Nebenwirkungen sind bei einer vierten Impfung zu erwarten?
Die dritte Impfung, also der erste Booster, zeigt in Studien vergleichbare Nebenwirkungen wie bei der Grundimmunisierung. Experten gehen daher davon aus, dass auch mit der vierten Impfung keine Zunahme der Nebenwirkungen zu erwarten sei. Doch bisher gibt es dazu wenige Daten. Erste Studien aus Israel zeigen aber, dass auch die vierte Impfung in der Regel gut verträglich ist. Seit Anfang dieses Jahres wird sie dort Menschen ab 60 angeboten.
Doch auch bei guter Verträglichkeit müssen bei der Entscheidung um die vierte Impfung Risiko und Nutzen abgewogen werden - vor allem bei jüngeren Menschen, bei denen der Schutz durch die vierte Impfung noch unklar ist.
Lohnt es sich, mit der vierten Impfung auf einen angepassten Impfstoff zu warten?
Die aktuellen Corona-Impfstoffe zeigen einen schwächeren Schutz gegen die Omikron-Variante des Virus im Vergleich zur vorhergegangenen Delta-Variante. Ein an Omikron angepasster Impfstoff könnte dieses Defizit ausgleichen.
Die Hersteller Moderna und BioNTech-Pfizer berichten, dass ihre angepassten mRNA-Impfstoffe in der Testphase gute Ergebnisse zur Wirksamkeit gegen Omikron liefern. Das Problem dabei: Die Wirksamkeit der Impfstoffe wurde bislang nur anhand der Antikörperspiegel im Blut gemessen und nicht anhand des tatsächlichen Infektionsgeschehens unter den Testpersonen, wie es bei den offiziellen Zulassungsstudien erforderlich ist. Wann die angepassten Impfstoffe auf den Markt kommen, bleibt unklar.
Außerdem verändert sich das Virus weiterhin. Moderna und Biontech-Pfizer arbeiten an Anpassungen des Impfstoffs an die ursprüngliche Omikron-Variante. Aktuell dominiert jedoch eine andere Variante, nämlich Omikron BA.5, das Infektionsgeschehen. Daher zweifeln auch viele Experten am Mehrwert der angepassten Impfstoffe für die breite Gesellschaft - zumindest im Hinblick auf die aktuelle Infektionslage. Wie gut die angepassten Impfstoffe zum Zeitpunkt ihrer Zulassung gegen die dann vorherrschende Variante schützen, ist also noch nicht abzusehen.
Wie lang wirkt der Schutz mit drei Impfungen?
Die weltweit ersten Auffrischungen mit einer dritten Impfdosis wurden vor knapp einem Jahr in Israel verimpft. Beobachtungen zu einem langfristigen Schutz über Jahre hinweg gibt es daher nicht.
Erste Studien zeigen zwar, dass der Impfschutz auch nach der dritten Impfung in den Folgewochen und -monaten abnimmt. Doch er bleibt trotzdem hoch: Eine US-amerikanische Studie zeigt, dass der Schutz gegen Hospitalisierung zwei Monate nach der dritten Impfung bei 91 Prozent liegt - nach vier Monaten waren es noch 78 Prozent. Beides liegt deutlich über dem Schwellwert von 50 Prozent, der von der EMA für eine Zulassung angesetzt wurde. Viele Experten gehen daher davon aus, dass drei Impfungen bei Menschen mit gesundem Immunsystem ausreichen, um ein stabiles immunologisches Gedächtnis gegen SARS-CoV-2 und die bisherigen Varianten aufzubauen.
Die drei Impfungen könnten langfristig gegen schwere Erkrankung und Tod schützen, betont Radbruch. Der Schutz vor Ansteckung sei jedoch sowohl bei dreifach Geimpften als auch bei vierfach Geimpften eher gering und halte nicht besonders lange, so Radbruch. Unklar bleibt bisher, ob die vierte Impfung den Schutz vor schweren Erkrankungen bei Menschen mit fittem Immunsystem weiter steigern kann - und wie lange die Verbesserung dann anhält.