Coronavirus Genesen oder geimpft - gleicher Schutz?
Der Genesenenstatus nach einer Coronainfektion wurde von sechs Monaten auf drei Monate verkürzt. Ist das wissenschaftlich haltbar? Und was sind die Unterschiede zu einer Immunisierung durch Impfung?
Wer zwei Impfungen gegen das Coronavirus erhalten hat, gilt seit Anfang Februar EU-weit für neun Monate als vollständig geimpft, vorher waren es zwölf Monate. Auch in Deutschland gilt das Impfzertifikat seitdem für den Zeitraum von neun Monaten, es sei denn, man lässt sich boostern.
Bei Genesenen wurde Mitte Januar die Dauer von sechs Monaten auf drei Monate verkürzt. Begründung des Robert Koch-Instituts: Wegen der Omikron-Variante bestehe ein größeres Risiko, nach dieser Zeit noch zu erkranken oder Überträger zu sein. Ist die Verkürzung des Genesenenstatus aus wissenschaftlicher Sicht nachvollziehbar? Und wie unterscheidet sich eigentlich der Schutz durch Impfung im Gegensatz zu dem nach einer Infektion?
Wie unterscheidet sich der Schutz Genesener und Geimpfter?
Grundsätzlich haben eine Infektion und eine Impfung für den Körper viel gemeinsam: Beide wirken wie ein Kontakt mit dem Virus, durch beide wird das Immunsystem angeregt. Der Eindringling selbst, und auch die durch die Impfung produzierten unschädlichen Viruspartikel (Spike-Proteine) werden als körperfremd erkannt und bekämpft. Das Ziel: Den Erreger unschädlich zu machen und eine Erinnerung an ihn aufzubauen. Der Körper produziert dafür Antikörper, die bestimmte Oberflächenproteine des Virus erkennen, sie können sich an ihn heften und den Erreger dadurch unschädlich machen. Zusätzlich gibt es noch eine zelluläre Immunantwort, es werden verschiedene Arten von T-Zellen gebildet. T-Killerzellen können infizierte Zellen direkt zerstören. T-Helferzellen regen zur Bildung von Antikörpern an.
Ein Unterschied ist, dass bei der Impfung immer die gleiche Menge Impfstoff verabreicht wird. Zwar kann das je nach Person zu einem stärkeren oder schwächeren Immunschutz führen, bei einer Infektion ist diese Streuung aber viel stärker. Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, erklärt warum der Genesenenschutz viel individueller ist: "Das hängt sowohl von der Variante und der Menge an Virus ab als auch vom Verlauf. Leichte Verläufe haben oft auch eine geringere Immunantwort zur Folge."
Ist die Immunantwort bei Genesenen breiter aufgestellt?
Bei einer Impfung kommt man nicht mit dem ganzen Virus in Kontakt, sondern nur mit Teilen des Spike-Proteins. Dementsprechend ist auch die Immunantwort Spike-spezifisch. Bei einer Infektion werden zusätzlich zu der Immunantwort gegen das Spike-Protein auch Antikörper und T-Zellen gegen andere Hüllproteine des Virus produziert. Das heißt: Genesene entwickeln prinzipiell eine etwas breitere Immunantwort als Geimpfte. Diese hält allerdings nach einer Infektion nicht sehr lange an, berichtet Martina Prelog, Fach-Immunologin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. "Der Abfall der Immunantwort beginnt nach drei Monaten, schon nach sechs Monaten ist der Großteil der schützenden Antikörper wieder weg."
Durch einen weiteren Kontakt mit Virusteilchen, sei es durch eine Impfung oder eine Infektion, verbessert sich die Immunantwort wieder. "Es geht im Prinzip darum, wie oft das Immunsystem das Virus gesehen hat", sagt die Immunologin. Also wie oft das eigene Immunsystem stimuliert worden sei, um ein Gedächtnis aufzubauen, ein Immungedächtnis. "Das Immunsystem lernt mit jeder Exposition, also mit jedem Kontakt, durch Impfung oder durch den Erreger selbst. Und dadurch kann es einen sehr, sehr guten Immunschutz aufbauen." Daher auch die Empfehlung an Genesene, sich impfen zu lassen.
Was spricht aus wissenschaftlicher Sicht für oder gegen den kürzeren Genesenenstatus?
Für eine ausreichende Immunantwort gegenüber der Omikron-Variante sind besonders hohe neutralisierende Antikörperwerte notwendig. Die Verkürzung des Genesenenstatus sei aus immunologischer Sichtweise der Entwicklung und Abnahme der Immunantwort nachvollziehbar", meint Prelog. Wissenschaftliche Gewissheit dazu wird aber erst noch aufgebaut. "Wir können davon ausgehen, wenn jemand einen guten Antikörperwert hat und eine zelluläre Immunantwort durch T-Zellen, dass er wahrscheinlich auch geschützt ist." Doch man wisse noch nicht, welche Antikörperwerte tatsächlich mit einem über 95-prozentigem Schutz assoziiert werden könnten. "Das lernen wir jetzt aus Studien und Untersuchungen zu Durchbruchsinfektionen."
Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek hält eine pauschale Verkürzung des Genesenstatus auf drei Monate hingegen für eher problematisch. Es sei schwierig, für alle einen einheitlichen Zeitraum zu definieren, denn das sei von verschiedenen Faktoren abhängig: Mit welcher Virusvariante man sich infiziert habe, wie alt man sei, und wie lange die letzte Impfung zurückliege. So hätten zum Beispiel Jugendliche nach einer Durchbruchsinfektion oft noch sehr hohe Antikörperspiegel. In dem Fall wäre es nicht notwendig, diese Menschen schon nach drei Monaten zu boostern.
Immunologin Falk unterscheidet abhängig davon, welches Ziel erreicht werden soll: Zur Verhinderung von Infektionen und damit auch die Weitergabe des Virus ist eine kürzere Gültigkeit der Zertifikate notwendig. Wenn es um die Verhinderung der schweren Verläufe geht, kann dies auch mit Zertifikaten funktionieren, die länger gültig sind.
Was sagen Studien zum unterschiedlichen Schutz der Genesenen und Geimpften?
Dreimal geimpft, oder genesen und zweimal geimpft oder zweimal geimpft und Durchbruchsinfektion: Bei einer neuen Studie, an der auch Forschende aus München und Würzburg beteiligt waren, war die Immunantwort der Antikörper in all diesen Fällen vergleichbar. Denn all diese Menschen waren dreimal in Kontakt mit dem Spike-Protein, das Immunsystem wurde dreimal trainiert. Virologin Ulrike Protzer, eine der Autorinnen der Studie, plädiert daher dafür, dass auch eine Durchbruchsinfektion quasi als Booster anerkannt werden sollte.
Eine weitere Studie liefert ähnliche Ergebnisse. Hier wurde die Langlebigkeit der T-Zellen untersucht. Die Studie wurde jedoch bisher nur als Preprint vorveröffentlicht, sie wurde also noch nicht von unabhängigen Fachleuten geprüft. Das Ergebnis: Egal, ob durch Infektion oder Impfung - die Studienteilnehmer, die dreimal dem Spike-Protein des Virus ausgesetzt waren, konnten eine signifikant bessere Immunreaktion gegen Omikron aufweisen als die Teilnehmer, die nur zweimal geimpft waren.
Allerdings ist die Frage, wo Unterschiede in der Immunantwort von Geimpften oder Genesenen liegen, noch nicht abschließend geklärt.
In einer Stellungnahme der Gesellschaft der Virologie heißt es daher:
Auf Grund [der] [...] Datenlage kann gegenwärtig nicht sicher von einem ein Jahr anhaltenden Schutz Genesener ausgegangen werden. Unbestritten ist, dass die Covid-19 Impfung nach durchgemachter SARS-CoV-2 Infektion zu einem starken Anstieg der antiviralen Immunantwort führt.
Wie unterscheidet sich das Immunsystem Genesener und Geimpfter?
Nicht nur die Immunantwort eines Genesenen und eines Geimpften gegenüber Coronaviren unterscheidet sich geringfügig. Auch das Immunsystem nach einer durchgemachten Infektion weist Unterschiede zu dem eines "nur" Geimpften auf, erklärt Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast "Coronavirus-Update".
"Im Gegensatz zu einer Impfung, bei der dieser Effekt ausgeklammert ist, schädigen ganz viele Infektionserkrankungen zunächst einmal das Immunsystem, statt es zu trainieren." Denn auch wenn das Immunsystem bei einer Infektion reagiert und ein Immungedächtnis ausbildet: Das Virus versuche das Immunsystem zu sabotieren und schädige es dabei. Das könne auch Auswirkungen auf die Abwehr von anderen Krankheiten haben. "Wir wissen, dass unter und nach der […] Sars-CoV-2-Infektion für eine gewisse Zeit eine allgemeine Veränderung im Immunsystem eintritt, die auch den Immunitätsaufbau gegen andere Infektionskrankheiten umfasst." Nach einer Impfung sei so etwas nicht zu erwarten, da der Körper hierbei nicht mit dem ganzen Virus in Kontakt komme, so der Virologe.