Eine Frau sitzt während der Isolation nach einem positiven Corona-PCR-Test auf ihrem Bett.
FAQ

Impfnebenwirkungen Selten, aber wenig erforscht

Stand: 02.07.2022 15:23 Uhr

"Post-Vac-Syndrom" nennt sich eine seltene Erkrankung, die nach einer Corona-Impfung auftreten kann. Wie verbreitet ist sie, was sind die Auslöser und wie wird sie behandelt? Antworten auf wichtige Fragen.

Von Lara Bitzer, Caroline Reischl und Ralf Kölbel, SWR

Impfungen gelten als der wohl wichtigste Eckpfeiler bei der Eindämmung der Corona-Pandemie. Nach einer neuen Studie wurden durch die Covid-19-Impfungen möglicherweise weltweit bis zu 20 Millionen Corona-Tote verhindert. Stand heute wurden knapp 183 Millionen Impfdosen allein in Deutschland verabreicht. Noch nie wurden in so einem kurzen Zeitraum so viele Menschen geimpft. Viele Menschen konnten damit möglicherweise vor einem schweren Verlauf oder gar dem Tod geschützt werden.

Allerdings gibt es, wenn auch selten, Menschen, die nach einer Covid-19-Impfung anhaltende schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen haben - das sogenannte Post-Vac-Syndrom. Das musste mittlerweile auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einräumen, der für seine Aussage, die Corona-Impfungen seien "nebenwirkungsfrei", viel Kritik einstecken musste.

Welche Komplikationen können nach Corona-Impfungen auftreten?

In der Medizin wird zwischen Impfreaktionen und Impfnebenwirkungen nach einer Corona-Impfung unterschieden. Das Immunsystem reagiert meist direkt nach der Impfung mit Symptomen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen oder Fieber. Bei den Corona-Impfstoffen treten Impfreaktionen häufiger und teilweise stärker auf als beispielsweise bei einer Grippe-Impfung.

Von Impfnebenwirkungen oder Impfkomplikationen kann gesprochen werden, wenn Beschwerden nach einer Corona-Impfung über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen und für längere Zeit anhalten. Impfnebenwirkungen treten meist innerhalb weniger Tagen oder Wochen nach der Impfung auf. Beispiele für solche schweren Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung sind Hirnvenenthrombosen, Lähmungserscheinungen, Herzbeutelentzündungen oder chronische Erschöpfungszustände, diese treten jedoch nur sehr, sehr selten auf.

Plötzliche Nebenwirkungen, die erst Jahre später auftreten, wurden bislang bei keinem jemals entwickelten Impfstoff festgestellt und sind auch nach einer Corona-Impfung nicht zu erwarten.

Wann spricht man vom Post-Vac-Syndrom und wer ist betroffen?

Bernhard Schieffer leitet die Spezialsprechstunde Post-Vax am Uniklinikum Marburg. Er vergleicht die Symptome von Post-Vac mit denen von Long-Covid: Denn es treten bei Betroffenen häufig Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel, Übelkeit, aber auch Herz-Kreislauf-Beschwerden und Bewegungsstörungen auf. Die mit Long-Covid vergleichbaren Symptome kommen meist erst zwei bis drei Wochen nach der Impfung zum Vorschein, sagt der Mediziner.

Um mehr Aufklärung zu schaffen, will das Paul-Ehrlich-Institut nach eigenen Angaben gegenüber dem SWR eine "robuste epidemiologische Studie" durchführen lassen. In dieser soll es darum gehen, die von Patientinnen und Patienten geäußerten Symptome nach Covid-19-Impfung zu charakterisieren und mit Long-Covid Befunden zu vergleichen.

Von Post-Vac betroffen sind - anders als bislang angenommen - vor allem junge Menschen, die möglicherweise einen begleitenden immunologischen Defekt oder eine akute Infektion haben, so Schieffer. "Wir sehen in unseren ersten Erhebungen, dass es in der Mehrzahl junge Frauen sind, die sportlich aktiv waren und im Berufsleben standen, die erhebliche Einschränkungen ihrer körperlichen und mentalen Leistungsfähigkeit erleben", sagt der Experte.

Wie häufig sind Impfkomplikationen bei den neuen Corona-Impfstoffen?

Laut Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts gab es seit Impfbeginn bis März 2022 pro 1000 Corona-Impfungen rund 1,7 Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen. Rund 0,02 Prozent der Geimpften mussten dem Bericht zufolge mit schwerwiegenden Nebenwirkungen kämpfen. Zum Vergleich: Bei Long-Covid deuten Daten einer deutschen Studie darauf hin, dass bis zu 20 bis 30 Prozent unter andauernden Beschwerden noch sechs Monate nach einer Corona-Infektion leiden. Das Risiko, länger anhaltende Beschwerden zu bekommen, ist also nach eine Corona-Infektion um ein Vielfaches höher als nach einer Corona-Impfung.

Das Paul-Ehrlich-Institut berichtet gegenüber dem SWR von zunehmenden Verdachtsfällen eines Post-Vac-Syndroms. Jedoch lasse sich aufgrund fehlender Informationen kein Risikosignal aussprechen, da sich die diagnostische Sicherheit der gemeldeten Fälle nicht beurteilen lasse. In der Mehrzahl der deutschen Meldungen wurde die Diagnose nicht ärztlich bestätigt.

Gesetzlich sind alle Ärzte verpflichtet, schwerwiegende Impfkomplikationen an das Paul-Ehrlich-Institut zu melden. In den Praxisalltag lässt sich das nach Einschätzung des Epidemiologen Klaus Stöhr oft nur sehr schwer integrieren: Für das Ausfüllen der entsprechenden Formulare benötige ein Arzt pro Patient im Schnitt 20 bis 30 Minuten, für die er keine adäquate Vergütung bekomme. Für eine bessere Datenlage ruft das Paul-Ehrlich-Institut Betroffene dazu auf, Impfnebenwirkungen selbst online oder telefonisch an das Institut zu melden. Zur Diagnose und Therapie der Symptome sollten die Betroffenen zusätzlich umgehend einen Arzt oder Ärztin kontaktieren.

In einer Datenbank der Europäischen Arzeimittelbehörde EMA werden die Datensätze aus den EU-Mitgliedsländern gesammelt. Alle drei Monate, zum Ende eines Quartals, erscheint dann der Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts.

Was ist über die Ursachen bekannt und wie können sie behandelt werden?

Bernhard Schieffer sieht in einem unentdeckten immunologischen Defekt, wie beispielsweise bei einer Zöliakie, oder einer akuten Infektion, wie bei einer Borreliose, mögliche Ursachen schwerer Komplikationen. Wenn in solch eine Konstitution "hineingeimpft" werde und anhaltende Nebenwirkungen auftreten, dann beginne für die Ärzte und Ärztinnen die "detektivische Arbeit": Herauszufinden, warum ein scheinbar immunkompetenter junger Mensch plötzlich Beschwerden entwickelt. Die Behandlung sei dabei ganz individuell.

Die Strategie sei laut Schieffer daher, diese Menschen künftig schneller zu erkennen, herauszufiltern und damit besser zu schützen. Dafür sei allerdings dringend weitere Forschung nötig - vor allem Grundlagenforschung im Bereich der Virologie und Immunologie und auch in der klinischen Forschung. 

Wichtig sei auch die Frage, wie die Symptome ausgelöst werden. Schieffer geht davon aus, dass es hier Parallelen zu Long-Covid geben könnte: Die zugrundeliegenden Mechanismen seien vermutlich gleich. Denn bei einer Impfung bildet der Körper das Spike-Protein des Coronavirus, das auch bei einer Corona-Infektion Immunreaktionen im Körper auslöst.

Wo finden Betroffene Hilfe?

Eine erste Anlaufstelle für Betroffene ist zunächst der behandelnde Hausarztpraxis. Es gibt aber auch speziell eingerichtete Sprechstunden, wie zum Beispiel am Fatigue Zentrum der Berliner Charité oder an der Spezialambulanz des Universitätsklinikum Marburg, bei der sich Menschen mit schwerwiegenden Nebenwirkungen nach einer Corona-Impfung mittlerweile melden können. Weitere Anlaufstellen gibt es an der Uniklinik Köln und in Erlangen. Allerdings sind solche Angebote noch recht selten und die Wartelisten dementsprechend lang.

In vielen Städten und Gemeinden haben sich mittlerweile auch Selbsthilfegruppen gebildet, in denen sich Betroffene untereinander austauschen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. April 2022 um 16:30 Uhr.