Forschung mit Stammzellen Wettlauf um erste künstliche Embryonen
"Erster menschlicher Embryo künstlich hergestellt" - zuerst gab es kaum mehr als die Schlagzeile. Doch mittlerweile sind mehr Hintergründe bekannt. Und die werfen große ethische Fragen auf.
Es war nur eine Frage der Zeit: Erst ein Jahr ist es her, dass es zwei konkurrierenden Forschungsgruppen gelang, künstliche Mäuse-Embryonen herzustellen. Diese Technik auch auf menschliche Zellen zu übertragen, war der logische nächste Schritt. Die Frage war nur: Wem gelingt das als erstes? Es entbrannte ein regelrechtes Wettrennen in der biomedizinischen Forschung.
Bei einem Kongress in Boston erklärte nun die US-amerikanische Entwicklungsbiologin Magdalena Zernicka-Goetz, sie und ihr Team hätten genau das geschafft: Sie hätten ein menschliches Embryonen-Modell aus Stammzellen hergestellt. Überprüfbare Daten gab es da noch nicht, doch nachdem Medien darüber berichteten, war die öffentliche Aufregung groß.
Konkurrierende Teams veröffentlichen Daten
Nur wenige Tage später lud ein konkurrierendes Team aus Israel ähnliche Ergebnisse auf einem Preprintserver hoch: Auch sie hatten ihre Ergebnisse von der Maus auf menschliche Zellen übertragen und embryoähnliche Strukturen hergestellt. Weitere internationale Gruppen folgten, schließlich veröffentlichte auch das amerikanische Team seine Daten.
Auch wenn bisher keine der veröffentlichen Studien von unabhängigen Expertinnen und Experten überprüft wurden, sprechen Fachleute von einem Durchbruch.
Stammzellen statt befruchteter Eizelle
Denn um ihr Embryo-Modell herzustellen, benötigten die Forschenden keine Eizelle, kein Spermium, keine Befruchtung. Stattdessen manipulierten sie menschliche Zellen im Labor, sodass diese sich zurückbildeten - zu sogenannten Stammzellen. Aus diesen Ausgangs-Zellen können dann die verschiedensten Zelltypen entstehen. Und: Stammzellen können im Labor dazu gebracht werden, einen Embryo zu bilden. Oder zumindest ein Gebilde, dass einem echten menschlichen Embryo im Alter von 13 bis 14 Tagen stark ähnelt.
Michele Boiani bezeichnet diesen Fortschritt als "radikalen Wendepunkt." Er ist Leiter der Arbeitsgruppe "Mouse Embryology" am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Denn: "Erstmals in der Forschung werden keine Eizellen mehr benötigt, um menschliche Embryonen im Labor zur Entwicklung zu bringen." Doch ist das, was da entsteht wirklich ein Embryo? Darüber wird jetzt diskutiert.
Embryonen strenger geschützt als Stammzellen
Denn in Deutschland ist es verboten, an Embryonen zu forschen. Laut Gesetz entsteht ein Embryo aber per Definition aus einer befruchteten Eizelle. Künstliche Embryonen aus Stammzellen wären also nicht verboten. Die Forschenden nennen sie daher in ihren Veröffentlichungen Embryo-Modelle oder embryoähnliche Strukturen.
Doch neben den sprachlichen, gibt es auch ethische Herausforderungen, die die Wissenschaft und Gesellschaft beschäftigen werden. "Sind synthetische Embryonen weniger schutzwürdig als zum Beispiel überzählige Embryonen aus einer Kinderwunschbehandlung?"
Diese Frage stellen Nils Hoppe und Sara Röttger vom Centre for Ethics and Law in the Life Sciences an der Universität Hannover in einem gemeinsamen Statement in den Raum. "Wir werden uns da noch einmal gesellschaftlich neu orientieren müssen." Das deutsche Embryonenschutzgesetz halte nicht mit dem wissenschaftlichen Fortschritt mit, es müsse daher komplett durch ein neues, zeitgemäßes Gesetz ersetzt werden.
Forschungsfeld Fortpflanzung
Doch der wissenschaftliche Fortschritt weckt auch Hoffnung. Denn es gibt noch sehr viel, das über die menschliche Fortpflanzung nicht bekannt ist. Und die ist erstaunlich ineffizient. Etwa 60 Prozent der Schwangerschaften gehen bereits in den ersten zwei Wochen nach der Befruchtung verloren, oft bekommen die Schwangeren gar nichts davon mit.
Über die Gründe dafür weiß man relativ wenig. Das liegt auch an den strengen Regeln für die Erforschung von menschlichen Embryonen. Hier könnten die künstlichen Embryonen-Modelle zum Einsatz kommen.
Hoffnung für Grundlagenforschung
Jesse Veenvliet, Leiter der Arbeitsgruppe Stembryogenese am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (CBG) in Dresden, sieht ein großes Potenzial: "Die Ähnlichkeit in Bezug auf die zelluläre Zusammensetzung, Architektur und Organisation ist unglaublich." Viele wichtige Meilensteine der frühen menschlichen Entwicklung würden durchlaufen.
Doch nicht alle: "Insbesondere durchlaufen die embryoähnlichen Strukturen nicht das Blastozystenstadium - das Stadium, in dem sich der natürliche Embryo in die Gebärmutter einnistet." Man wisse noch nicht, inwieweit sich dies auf das Entwicklungspotenzial der embryoähnlichen Strukturen auswirken würde, ob es also in der Lage sei, einen gesunden, voll ausgebildeten Fötus hervorzubringen, so Veenvliet.
Die vorgestellten Embryo-Modelle würden eine einzigartige Möglichkeit bieten, mehr über menschliche Schwangerschaften zu lernen und warum sie in entscheidenden Phasen oft scheitern. "Aber es ist wichtig, sowohl die Ähnlichkeiten als auch die Unterschiede zwischen dem Embryo und seinem Modell zu verstehen."