Reproduktionsmedizin Zahl der Kinderwunschbehandlungen steigt
Jedes sechste Paar in Deutschland hat Schwierigkeiten bei der Erfüllung seines Kinderwunsches, Tendenz steigend. Könnte das an der immer geringeren Zahl an Spermien bei Männern liegen?
In Deutschland werden immer mehr Kinderwunschbehandlungen in Anspruch genommen. Das geht aus dem kürzlich veröffentlichten Jahrbuch des Deutschen IVF-Registers (DIR) hervor. Im Jahr 1997 wurden mehr als 6500 Kinder nach einer Kinderwunschbehandlung geboren, 2020 sind es bereits über 22.200. Was sind die verbreitetsten Methoden bei unerfülltem Kinderwunsch? Was ist in Deutschland erlaubt, was verboten? Und was sind die vermeintlichen Ursachen für unerfüllten Kinderwunsch?
Von Hormonpräparaten bis hin zur In-vitro-Lösung
Ungewollte Kinderlosigkeit kann unterschiedliche Ursachen haben. Bei Männern beruht Unfruchtbarkeit meist darauf, dass nicht genügend funktionsfähige und bewegliche Spermien produziert werden. Bei Frauen können unter anderem hormonelle Störungen, Veränderungen der Eileiter oder der Gebärmutter ursächlich sein. Aber auch die weit verbreitete Erkrankung Endometriose kann die Fruchtbarkeit der Frau stören. Dabei entstehen im Bauchraum Zysten, deren Gewebe dem der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, sowie Entzündungen, beispielsweise an den Eierstöcken.
So gibt es, je nach Ursache, eine Reihe verschiedener Behandlungsmethoden. Eine Möglichkeit ist die Gabe von Hormonpräparaten, um die Eizellreifung und den Eisprung der Frau zu stimulieren.
Eine andere Methode besteht darin, Spermien mit einem dünnen Schlauch direkt in die Gebärmutter zu befördern. Dabei können auch Spendersamen verwendet werden. Noch einen Schritt weiter geht die sogenannte In-vitro-Fertilisation. Dabei werden der Frau Eizellen entnommen und im Labor mit den Spermien des Partners zusammengebracht. Die so befruchteten Eizellen werden dann in die Gebärmutter transferiert.
Zunahme der Kinder durch In-vitro-Verfahren
Die Zahl der Kinder, die durch eine Kinderwunschbehandlung außerhalb des Körpers entstehen, wächst stetig. Laut dem deutschen In-vitro-Fertilisations-Register wurden seit 1997 insgesamt 363.940 Kinder nach In-vitro-Fertilisationszyklen, also einer "Zeugung im Reagenzglas", geboren. In Deutschland kam das erste so gezeugte Baby 1982 zur Welt.
Auch wenn bei einer Kinderwunschbehandlung ein Embryonentransfer heute zu rund 93 Prozent gelingt, liegt die Schwangerschaftsrate durchschnittlich bei 33 Prozent. Noch niedriger ist mit 23 Prozent die Geburtenrate, auch "Baby-Take-Home"-Rate genannt.
Spermienzahl in den letzten Jahren gesunken
Was genau die Gründe für die steigende Zahl der Kinderwunschbehandlungen ist, ist noch unklar. Allerdings ist laut einer aktuellen Studie aus Israel die Spermienkonzentration bei Männern in den vergangenen 50 Jahren um mehr als die Hälfte gesunken. Die Forschenden untersuchten Daten im Zeitraum von 1973 und 2018, die von insgesamt mehr als 57.000 Männern weltweit stammen.
Während die Forschenden bereits 2017 eine deutlich zurückgegangene Spermienzahl bei Männern in westlichen Ländern feststellten, zeigt die aktuelle Studie, dass der Trend auch Männer aus Südamerika, Afrika und Asien betrifft.
Demnach soll die Konzentration von Spermien pro Milliliter Sperma im Schnitt von 101 Millionen auf 49 Millionen gesunken sein. Seit dem Jahr 2000 ging die durchschnittliche Spermienzahl noch schneller zurück als davor - derzeit um mehr als zweieinhalb Prozent jährlich.
Keine Rückschlüsse auf die Fruchtbarkeit
Die Qualität der Spermien wurde in der Studie nicht untersucht, sodass zunächst keine Rückschlüsse auf die Fruchtbarkeit von Männern gezogen werden können. Für Professor Christian Gratzke, ärztlicher Direktor der Urologie an der Uniklinik Freiburg, sind die Ergebnisse kein Grund zur Sorge. In der Studie wurde nur die Spermienanzahl untersucht, während für die Fruchtbarkeit von Männern die Vitalität und Mobilität der Spermien wichtiger seien, so Gratzke.
Die israelischen Forschenden warnen jedoch, dass eine niedrige Spermienkonzentration ein Risikofaktor für Hodenkrebs sein kann. So sollten die Ursachen, die die Studie nicht angibt, laut den Autoren weiter untersucht werden.
Eizellenspenden und Leihmutterschaft in Deutschland verboten
Wenn bei Paaren der Kinderwunsch wegen Unfruchtbarkeit des Mannes unerfüllt bleibt, gibt es eine Lösung: eine Samenspende. Wenn aber die Frau der Grund ist, wird es schwieriger. Denn Eizellspenden sind nach dem Embryonenschutzgesetz in Deutschland verboten. So haben Paare, bei denen die Kinderlosigkeit wegen unfruchtbarer Eizellen besteht, keine Möglichkeit schwanger zu werden. Die Leopoldina hält das in einer bereits 2019 veröffentlichten Stellungnahme für eine kaum zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Geschlechter.
Ethische und rechtliche Fragen wirft zudem die in Deutschland verbotene Leihmutterschaft auf. Hierbei trägt eine Leihmutter das Kind im Auftrag eines Paares oder auch alleinstehenden Menschen aus. Strafbar machen sich hierbei die Ärzte und Vermittler für Leihmutterschaft, die "Wunscheltern" hingegen nicht. In einigen Ländern im Ausland ist die Leihmutterschaft erlaubt.
Mehrlingsschwangerschaften sind risikoreich
Von den oft risikoreichen Mehrlingsschwangerschaften und Frühgeburten will die Reproduktionsmedizin wegkommen. Deshalb wird bei guter Prognose nur noch ein Embryo eingesetzt. Die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden sinkt so zwar um etwa vier Prozent, doch je mehr Embryonen einer Frau eingesetzt werden, desto höher sind die Chancen auf eine Mehrlingsschwangerschaft mit erheblichen Risiken für Mutter und Kinder. In der Mehrheit der Fälle kommt es zu Frühgeburten.
Die besten Chancen durch eine Kinderwunschbehandlung schwanger zu werden haben Frauen bis zum Alter von 32 Jahren. Ab dem 33. Lebensjahr sinkt die Schwangerschaftsrate kontinuierlich, bis sie ab dem 40. Lebensjahr nur noch unter 20 Prozent liegt. Noch deutlicher zeigt sich das mit Blick auf die Geburtenrate. Sie liegt bis 33 Jahre bei 30 Prozent und fällt ab 39 Jahren bereits unter 20 Prozent. Je älter die Frauen und Paare sind, desto geringer ist die Chance auf Schwangerschaft und Geburt. Das bedeutet, dass mit einer Kinderwunschbehandlung nicht zu lange gewartet werden sollte.
Einfrieren von Eizellen möglich
Heute raten Reproduktionsmediziner verstärkt zum Einfrieren von Eizellen. Das geht sowohl mit unbefruchteten als auch mit befruchteten Eizellen. Die sogenannten Kryokonservierungen machen bereits 31 Prozent der Gesamt-Behandlungszyklen aus - Tendenz steigend. Viele Paare nutzen diese Möglichkeit, um von einer Behandlung übrig gebliebene Embryonen für spätere Schwangerschaften einzufrieren. Dabei sind die Erfolgsquoten mit zuvor gefrorenen Embryonen fast genauso gut wie mit frischen. Sie unterscheiden sich gerade mal um 1,2 Prozent.
Gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kryokonservierung seit dem 1. Juli 2021 - allerdings nur vor Therapien, die die Keimzellen, also die Spermien oder Eizellen, beschädigen könnten. Damit soll es beispielsweise Krebspatientinnen und -patienten ermöglicht werden, nach einer keimzellschädigenden Therapie durch eine künstliche Befruchtung ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Keinen Anspruch auf eine Kostenübernahme haben Frauen über 40 und Männer über 50.