25 Jahre ISS "Aus kleinen Anfängen entstehen große Dinge"
Vor 25 Jahren flog Russland das erste Bauteil für die Internationale Raumstation ins All. Dann brachten die USA das zweite Teilstück. Kommandant damals: US-Astronaut Bob Cabana. Im Interview mit tagesschau.de blickt er zurück.
tagesschau.de: Wissen Sie noch, wo Sie waren, als die Russen das erste ISS-Bauteil ins All geflogen haben?
Bob Cabana: Beim Start, es war der 20. November 1998, hatte ich die gesamte Mannschaft zu mir nach Hause eingeladen, um den Start zu beobachten. Wir schalteten den Fernseher ein und sahen zu, wie die Proton-Rakete "Sarja" in die Umlaufbahn brachte. Und wir wussten, dass auch wir jetzt eine Mission haben würden.
Wir starteten zwei Wochen später. An diesem Abend herrschte also große Freude in meinem Wohnzimmer. Es war ein großes Ereignis. Zuvor waren wir als Crew nach Kasachstan gereist, um "Sarja" vor dem Start zu sehen. Wir haben das Fahrzeug besichtigt, weil wir es später in der Umlaufbahn aktivieren mussten. Wir haben ja Weltraumspaziergänge damit gemacht. Für uns als Besatzung war es wichtig, die Hardware zu sehen, bevor wir in den Weltraum geflogen sind.
"Eine absolut herausragende Mission"
tagesschau.de: Wie spannend war es für Sie, die Mission zum Aufbau der ISS zu fliegen?
Cabana: Ich habe mich sehr gefreut, dass ich die erste Mission zur Montage der Raumstation leiten durfte. Das war eine absolut herausragende Mission von Anfang bis Ende. Wir starteten im Dezember 1998 und brachten "Unity" hoch. "Unity" war der amerikanische Knotenpunkt, der sich in der Nutzlastbucht von unserem Space Shuttle "Endeavour" befand. Unsere Mission war der erste amerikanische Flug zur Internationalen Raumstation.
Ich denke, "Sarja" und "Unity" - das waren wirklich tolle Namen für beide Module. "Sarja" bedeutet "Sonnenaufgang" auf Russisch. "Sonnenaufgang" mit Blick auf einen neuen Tag und "Unity", also "Einheit". Wenn man sich anschaut, was das Verbindungsmodul "Unity" zusammenhält, dann hat man auf der einen Seite das US-Labor, auf der anderen Seite "Sarja", die Luftschleuse und die Traversenstruktur, die an "Unity" befestigt ist. Sie ist das Herzstück der Raumstation.
Bob Cabana war Kommandant des Shuttles "Endeavour", das den ersten Flug zur ISS unternahm.
"Sergej, komm her"
tagesschau.de: Sie sind Hand in Hand mit Ihrem russischen Kosmonautenkollegen in die ISS geschwebt. Hatten Sie das von Anfang an so geplant?
Cabana: Es gab eine Menge Reporter, und alle wollten das wissen. Ich habe nicht einmal der Besatzung gesagt, wer als erster die Station betreten wird. Als es dann an der Zeit war, die Raumstation zum ersten Mal zu betreten, sagte ich, als wir die Luke öffneten: "Sergej, komm her."
Wenn man sich anschaut, wie wir hineingegangen sind, sind Sergej und ich Seite an Seite durch die Luke gegangen. Ich hielt das für sehr wichtig. Wenn wir eine internationale Raumstation haben wollen, müssen wir als internationale Besatzung einsteigen. Es gab keine "erste Person". Ich hatte das Privileg, der erste Amerikaner zu sein, und Sergej war der erste Russe. Aber wir betraten die Station Seite an Seite, und zwar durch jede Luke, die wir öffneten.
"Drei Weltraumspaziergänge"
tagesschau.de: Auf Sie und Ihre Kollegen wartete viel Arbeit im All. Können Sie erzählen, was genau Sie machten?
Cabana: Wir machten drei Weltraumspaziergänge, um alle kritischen Strom- und Datenanschlüsse zu verbinden. Eine Antenne auf dem "Sarja"-Modul ließ sich nicht ausfahren, und wir mussten helfen, sie auszufahren, und dann aktivierten wir die Raumstation in der Umlaufbahn. Wir hatten einen Computer auf dem Flugdeck der Raumfähre, mit dem wir die Raumstation ansteuerten, um die Systeme zu aktivieren und sie zum Leben zu erwecken.
Wir haben nicht wirklich viel Zeit in der Raumstation verbracht. Es waren nur zwei Tage, und wir hatten eine Menge zu tun, zum Beispiel das Entfernen der Startsicherungsbolzen und der Paneele, die der Station mehr Struktur verliehen, um die Startlasten zu tragen und um sie für die erste Astronautenbesatzung an Bord vorzubereiten.
"Grundstein für unsere Partnerschaft"
tagesschau.de: War Ihnen damals schon klar, wie grundlegend wichtig und historisch Ihre Arbeit im Weltraum war?
Cabana: In dem Logbucheintrag, den die gesamte Besatzung unterschrieben hat, heißt es zu Beginn: "Aus kleinen Anfängen entstehen große Dinge". Es ging um unsere Zukunft und darum, was wir von der Zusammenarbeit erwarten. Und ich glaube wirklich, dass das der Fall war.
Wenn man auf die Geschichte der Internationalen Raumstation zurückblickt: eine ständige Besatzung an Bord im Weltraum seit Oktober 2000 bis heute. Es ist absolut erstaunlich, was sie erreicht hat, eine internationale Zusammenarbeit in Partnerschaft. Von diesem kleinen Anfang an, von dieser ersten Mission an, sind die Dinge also extrem gut gelaufen. Eine großartige Vorbereitung, eine großartige internationale Zusammenarbeit, ein erstaunliches Team, das all dies möglich gemacht hat.
tagesschau.de: Wie wichtig war es damals, dass die USA und Russland die ISS zusammen aufgebaut haben?
Cabana: Ich halte es für entscheidend, dass wir unsere russischen Partner mit einbezogen haben. Zuvor gab es das "Shuttle-Mir-Programm", bei dem die Russen tatsächlich US-Astronauten zur Mir-Raumstation geflogen haben, um zu lernen, wie wir mit unseren russischen Partnern zusammenarbeiten können. Damit haben wir den Grundstein für unsere Partnerschaft gelegt.
Wenn ich mir die Partnerschaft bei der Internationalen Raumstation anschaue, ist es wirklich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Russland, die Vereinigten Staaten, Japan, Kanada und die Europäische Weltraumagentur alle Partner sind. Wir arbeiten alle gemeinsam daran, rund 400 Kilometer über der Erde, mit einer Besatzung, die jeden Tag dort oben ist. Das ist schon ziemlich beeindruckend. Ich denke, die Internationale Raumstation hat den Standard dafür gesetzt, wie wir im Weltraum zusammenarbeiten und die Welt jenseits unseres Heimatplaneten erforschen.
"Gute Zusammenarbeit"
tagesschau.de: Seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine steht Russland im Weltraum weitgehend isoliert da, gemeinsame Projekte etwa mit der ESA wurden abgesagt. Wie läuft die Zusammenarbeit auf der ISS?
Cabana: Ich kann sagen, dass wir sehr professionell mit unseren russischen Partnern zusammenarbeiten, um den sicheren Betrieb der Internationalen Raumstation zu gewährleisten. Unsere Kontrollteams und unsere Astronauten in der Umlaufbahn arbeiten gut zusammen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir vorankommen wollen, und es ist wichtig, dass wir in diesem einen Bereich weiterhin kooperieren. Wir verlassen uns auf die Russen bei der Antriebskontrolle. Sie verlassen sich auf uns, wenn es um die Energieversorgung an Bord der Internationalen Raumstation geht, wir sind verbunden. So ist die Raumstation konzipiert worden. Um weiterhin erfolgreich zu sein, müssen wir also zusammenarbeiten können.
"Der hellste Stern am Himmel"
tagesschau.de: Wenn die ISS von der Erde aus manchmal am Nachthimmel zu sehen ist, gehen Sie raus und schauen hoch?
Cabana: Ich tue es nicht jedes Mal, wenn sie vorbeikommt, aber gelegentlich. Die Station ist der hellste Stern am Himmel. Es ist einfach absolut erstaunlich, wie hell sie ist, wenn man sie vorbeiziehen sieht. Und dann dieser Gedanke: Ich war dort oben, es gibt sieben Menschen, die dort gerade arbeiten und im Weltraum leben.
Ich bin in Minnesota aufgewachsen. Mein Cousin hat mir ein Bild geschickt. Es war in der Zeitung von Duluth, Minnesota, nach unserer Mission. Es war, nachdem wir von der Raumstation abgedockt hatten. Und es waren zwei Sterne am Himmel zu sehen. Es waren die Raumstation und die Raumfähre "Endeavour". Und das kam auf die Titelseite der Zeitung in Duluth.
Und für mich spricht das dafür, wer wir sind. Unser Bestreben zu erforschen, zu lernen, und ein sichtbares Zeichen dafür zu haben. Raketenstarts sind für mich etwas ganz Besonderes. Es ist mir egal, ob Menschen an Bord sind oder nicht. Jedes Mal, wenn eine Rakete den Planeten Erde verlässt, ist das ein Ereignis. Ich wünschte, jeder könnte an dieser Begeisterung teilhaben und sehen, was es bedeutet, den Weltraum zu erforschen und zu betreten. Das ist unsere Zukunft, und wir müssen sie gut gestalten.
Das Gespräch führte Ute Spangenberger, SWR