Astronaut Alexander Gerst
interview

ESA-Astronaut Gerst "Jeder von uns hat einen Traum"

Stand: 31.03.2021 15:38 Uhr

Alexander Gerst war 2008 einer von 8413 Bewerbern für die Aufnahme in das ESA-Astronautenkorps. Im tagesschau.de-Interview wirbt er für den außergewöhnlichen Beruf und ermutigt Interessierte, es ihm gleichzutun.

tagesschau.de: Herr Gerst, die ESA sucht neue Astronautinnen und Astronauten. Für wen ist dieser Job etwas? 

Alexander Gerst: Ich denke, man sollte sich bewerben, wenn man schon immer den Traum hatte, einmal die Erde von außen zu sehen, wenn man neugierig ist und Spaß an Technologien und an Abenteuer hat. Aus meiner Sicht geht es bei der Bewerbung nicht in erster Linie darum, welche Chance man sich ausrechnet, den Job zu bekommen. Jeder von uns hat einen Traum, und man ist es seinem 80-jährigen Ich schuldig, diesem Traum einmal eine faire Chance zu geben. Das habe ich vor zwölf Jahren auch getan, und es hat sich gelohnt. In jedem Fall wird man aber bei so einem Auswahlverfahren sehr viel über sich lernen. Es ist ein spannendes Abenteuer, dabei zu sein. 

Astronaut Alexander Gerst
Zur Person: ESA-Astronaut Alexander Gerst
Alexander Gerst ist seit 2009 Mitglied des ESA-Astronautenkorps. 2014 und 2018 flog er an Bord einer russischen Sojus-Rakete zur Internationalen Raumstation ISS. Gerst wurde 1976 in Künzelsau geboren und ist Geophysiker, Vulkanologe und Astronaut.

Nächstes Ziel: der Mond?

tagesschau.de: Als Sie sich 2008 bei der ESA beworben haben, war ein Flug zur Internationalen Raumstation (ISS) die wahrscheinlichste Mission. Der zukünftigen Astronautengeneration stehen noch viele weitere Optionen offen.

Gerst: Die Destinationen, zu denen wir bald fliegen werden, sind diverser geworden. In Zukunft kommt der Mond dazu und später auch der Mars. Zunächst wird es für die neuen Astronautinnen und Astronauten jedoch in den Erdorbit gehen, etwa zur ISS, um dort Erfahrung zu sammeln. Missionen zum Mond sind noch einmal wesentlich komplexer, dafür ist diese Erfahrung wichtig. Die ersten Missionen zum Mond werden vermutlich also von den jetzigen erfahrenen Astronautinnen und Astronauten im Korps durchgeführt werden und nach und nach kommen die neuen Kolleginnen und Kollegen dazu. Das ist eine tolle Aussicht für die europäische Raumfahrt.   

tagesschau.de: Heißt das, dass wir auch Sie bald wieder im Weltraum sehen?

Gerst: Eine Sache, die man sich als Astronaut natürlich immer fragt, ist: Wohin geht der nächste Flug und wann wird das sein? Das ist eine Unsicherheit, mit der man leben muss. Ich wusste, als ich ausgewählt wurde, auch nicht, wann meine erste Mission sein würde. Ich hatte dann das riesige Glück, dass sie bald kam und sogar noch eine zweite. Ich bin weiterhin aktiv im Korps, und die naheliegende Perspektive ist natürlich eine Mondmission. Zunächst einmal müssen wir aber zusammen mit unseren internationalen Partnern den Lunar Gateway aufbauen. Das ist eine Raumplattform, die den Mond umkreist, als Basis für Missionen zur Mondoberfläche. Ich bin als Repräsentant des ESA-Astronautenkorps bei der Planung und der Konstruktion mit dabei. Das Projekt ist in vollem Schwung.

Außerdem leite ich bei der ESA ein Team, das zukünftige Strategien für die Exploration des Erdorbits ausarbeitet. Teil des Astronautenberufs ist aber auch, dass man sich, wenn man nicht konkret für eine Mission nominiert ist, in allen Bereichen fit hält. Ich mache natürlich Sport und habe zwischendurch Trainingseinheiten, zum Beispiel Flugtraining und Unterwasser-Training mit dem Raumanzug. Mir wird es also auch auf der Erde nicht langweilig. 

"Das ist ein riesiges Privileg"

tagesschau.de: Sie waren 2014 und 2018 für je sechs Monate auf der ISS. Was war verschieden an den Missionen? 

Gerst: Wenn man zum ersten Mal in den Weltraum fliegt, dann ist das ein besonderer Flug, weil man eine Grenze überschreitet, die man selbst noch nie überschritten hat. Man weiß nicht, wie man hinter dieser Grenze funktioniert, ob man für den Weltraum gemacht ist oder nicht. 

Eine zweite Mission ist ganz anders: Man geht entspannter ran, weil man sehr viel mehr Erfahrung hat und man weiß, dass man es kann. Darum bekommt man beim zweiten Mal oft auch eine etwas komplexere Mission, weil man mehr mentale Kapazitäten frei hat und dadurch etwas weiter aus seiner Komfortzone herauskann. Ich wurde deshalb als Kommandant der ISS nominiert. Das ist eine komplexe Aufgabe, man muss sich schon weit vor der Mission um seine Crew und das Trainingsteam kümmern, und man trägt eine große Verantwortung für den Erfolg der Mission. Und ich bin bei meiner zweiten Mission mit einer Astronautin und einem Astronauten in den Weltraum gestartet, die beide vorher noch nie im All waren.

Dieser graduelle Aufbau an Missionskomplexität ist auch der Grund, warum bei Flügen zum Mond erfahrene Astronautinnen und Astronauten ausgewählt werden, die schon gezeigt haben, dass sie da oben gut arbeiten können, und die für eine komplexere Mission mit größeren Unwägbarkeiten bereit sind, die natürlich auch ein etwas höheres Risiko bergen.

tagesschau.de: Was begeistert Sie am meisten am Beruf des Astronauten?

Gerst: Mich faszinieren viele verschiedene Aspekte: Da ist die internationale Zusammenarbeit mit sehr inspirierenden Individuen, den Missionsteams, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern, die in einem großen Projekt zusammenkommen. Aber was für mich noch großartiger ist, ist die Perspektive, die man als Astronaut dazugewinnt: den Blick aus dem Fenster des Raumschiffs auf unseren Planeten, kombiniert mit dem Verständnis dafür, wo man sich gerade befindet. Diese "Weltanschauung" ist dann im wahrsten Sinne des Wortes eine Perspektive von außen auf unsere Welt. Das ist ein riesiges Privileg, das fand ich großartig.

Das Interview führte Ute Spangenberger, SWR